Sven Giegold

Saubere Chemikalien: Umweltausschuss fordert Paradigmenwechsel und ökologische Transformation der Chemieindustrie

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Interessierte,

am gestrigen Montag hat der Umweltausschuss des Europaparlaments nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Chemiepolitik und Chemieindustrie gefordert. Im Ausschuss stimmten wir heute über einen Beschluss zu nachhaltigen Chemikalien ab. Bei meiner Kandidatur hatte ich angekündigt, gegen die Gefahren zu kämpfen, die von giftigen Chemikalien ausgehen. Daher freut es mich besonders, dass ich als frischgebackenes Mitglied des Umweltausschusses gleich an der ersten großen Richtungsbestimmung des neugewählten Europaparlaments zu nachhaltigen Chemikalien mitwirken konnte. Belastungen und Gefahren für Mensch und Umwelt, die von der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von tausenden Chemikalien ausgehen, müssen ein Ende haben. Ich bin daher besonders froh, dass wir mit zahlreichen grünen Änderungsanträgen den Schutz von Mensch und Natur sowie die Einhaltung unserer planetaren Grenzen in den Vordergrund rücken konnten. 

Um die Belastungen und Gefahren von giftigen Chemikalien zu bekämpfen, fordert der Umweltausschuss die EU-Kommission auf, das Ziel einer giftfreien Umwelt umzusetzen und die Nutzung von gefährlichen Chemikalien zu minimieren. Auf unsere grüne Initiative hin soll die Kommission dafür sorgen, dass jede Art von Verschmutzung verhindert oder auf ein Maß reduziert wird, das für die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht mehr schädlich ist. Gleichzeitig sollen diese Maßnahmen für eine ressourcenschonende, kreislauffähige, sichere und nachhaltige Wirtschaft und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Wirtschaft sorgen. 

Unser Umweltausschuss fordert, dass die Nachhaltigkeit von Chemikalien über deren Sicherheit hinausgehen soll. Er unterstreicht, dass die bevorstehende Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien auch den Abbau von Ressourcen, die Energienutzung bei der Herstellung von Chemikalien sowie Gesundheits-, Sozial- und Umweltstandards und Menschenrechte in der gesamten Lieferkette berücksichtigen muss. Nur wenn wir neben der Giftigkeit der Chemikalien auch die Gesamtmenge der benötigten Ressourcen reduzieren, können wir langfristig in den Grenzen unseres Planeten leben. Ein wichtiger Teil des Beschlusses des Umweltausschusses behandelt die Auswirkungen von Chemikalien auf die Kreislaufwirtschaft. Der Beschluss stellt fest, dass Produkte aus neuen Materialien und solche hergestellt aus recycelten Materialien die gleichen chemischen Standards erfüllen sollen und dass Recycling dementsprechend nicht die Fortsetzung der Verwendung gefährlicher Altstoffe rechtfertigt. So soll sichergestellt werden, dass keine gefährlichen Stoffe, die heute in Produkten enthalten sind, endlos im Kreislauf bleiben.

Der Beschluss des Umweltausschusses wird gerade innovativen, fortschrittlichen Unternehmen zugutekommen. Nur eine nachhaltige Industrie kann wettbewerbsfähig bleiben und weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen. Sollten wir die ökologische Transformation in der Chemieindustrie verschlafen, wird es den europäischen Chemieunternehmen ähnlich wie in zahlreichen anderen Schlüsseltechnologien ergehen: fortschrittliche Produkte werden anderswo hergestellt und nach Europa importiert. Doch wenn wir die ökologische Transformation als Chance für die Wirtschaft begreifen, wird saubere, ressourcenschonende Chemie auch in Zukunft Millionen Arbeitsplätze in Europa sichern. 

Zu konkreten Chemikalien verlangt der Umweltausschuss von der Kommission unter anderem:

  • Insbesondere für hormonverändernde Stoffe (wie z.B. Bisphenol-A), fordert das Parlament eine Reihe von Maßnahmen, um ihre Nutzung einzuschränken. Angefangen mit einer horizontale Definition dieser Stoffe, die von der EU-Kommission erarbeitet werden soll. Über die Einführung einer neuen Gefahrenklasse für hormonverändernde Stoffe. Bis hin zu neuen Gesetzesvorschlägen, um hormonverändernde Stoffe in Spielzeug, Materialien mit Lebensmittelkontakt und Kosmetika zu verbieten. Diese Substanzen sollen generell genau wie krebserregende oder reproduktionstoxische Stoffe behandelt werden – also in vielen Produkten stark eingeschränkt oder ganz verboten werden. 
  • alle Polymere (also z.B. Plastik) in das EU-Chemikaliengesetz REACH aufzunehmen und gemäß ihrer Gefährlichkeit zu regulieren. Bislang sind Polymere nicht Teil von REACH. Auch sollen für alle Chemikalien, die nur in relativ geringen Mengen in der EU hergestellt oder genutzt werden (1 – 10 Tonnen/Jahr) erstmals Informationsanforderungen gelten. Diese Anforderungen gibt es bisher nur für Chemikalien, die in größerer Menge produziert werden. 
  • Die Auswirkungen von besonders kleinen Stoffen, sogenannte Nanomaterialien, auf Gesundheit und Umwelt sollen Beschluss des Parlaments in allen relevanten Gesetzen bewertet und wenn nötig minimiert werden. 
  • Für perfluoralkylierte Substanzen (PFAS), die sogenannten “Ewigkeits-Chemikalien”, fordert das Parlament die EU-Kommission auf, einen Aktionsplan vorzulegen, um möglichst bald alle nicht unbedingt notwendigen Anwendungen zu verbieten. PFAS sind praktisch unzerstörbar und bleiben einmal freigesetzt über Jahrhunderte in der Umwelt. So sammeln sie sich über Zeit im menschlichen Körper und der Natur an – mit noch viel zu wenig erforschten Folgen. Da es mehr als 4700 verschiedene PFAS gibt, wäre ein generelles Verbot dieser Stoffe ein großer Schritt vorwärts von dem heutigen sehr langsamen Ansatz, eine einzelne Substanz nach der anderen zu verbieten.
  • Das europäische Gesetz zu Materialien in Kontakt mit Lebensmitteln soll grundlegend überarbeitet werden. Damit soll unter anderem festgelegt werden, dass alle besonders besorgniserregenden Stoffe in diesen Produkten verboten sind. Für alle Chemikalien in Kontakt mit Lebensmitteln sollen umfassende Sicherheitsbewertungen vorgenommen werden und Informationen zur Sicherheit der Substanzen sollen für Verbrauchern einfacher verfügbar sein. 

Der Umweltausschuss fordert die Kommission auch auf, mit ihrer Strategie den Einsatz von Tierversuchen in der Chemieindustrie zu minimieren, und zur Erhaltung und Wiederherstellung von Ökosystemen und biologischer Vielfalt beizutragen. 

Nirgends gibt es so strenge Chemikaliengesetze wie in Europa. Doch weite Teile der bestehenden EU-Chemikaliengesetze werden heute nicht vollständig umgesetzt und durchgesetzt. Deshalb fordert der Umweltausschuss die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, alle Gesetze umgehend umzusetzen und ausreichende Kapazitäten zur Verbesserung der Durchsetzung der EU-Chemikaliengesetzgebung bereitzustellen. Weitergehende Änderungsanträge der Grünen Fraktion, in denen die EU-Kommission unter anderem aufgefordert wird, ihre internen Arbeitsweisen zu überprüfen, um Vertragsverletzungsverfahren zu beschleunigen und EU-Instrumente vorzuschlagen, um die Mitgliedstaaten zur Umsetzung von EU-Recht zu drängen, wurden vom Umweltausschuss mit großer Mehrheit angenommen. 

Als Teil des Europäischen Green Deal verkündete die Europäische Kommission im Dezember 2019 ihre Ambition eines “Null-Schadstoff-Ziels für eine schadstofffreie Umwelt“. Ein wichtiges Element dieser Ambition wird die “Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien”, welche im Oktober 2020 von der EU-Kommission vorgestellt werden soll. Die Strategie wird erstmals seit 20 Jahren wieder einen ganzheitlichen Rahmen für Chemikalienpolitik in der EU setzen. Als Teil der neuen Strategie wird die EU-Kommission eine Reihe von Gesetzesänderungen vorschlagen. Um diesen gesetzlichen Maßnahmen eine Richtung zu geben, legt das Europaparlament im Vorfeld der “Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien” seine Position fest. Mit dem heutigen rechtlich nicht bindenden Beschluss werden der Kommission die politischen und praktischen Leitplanken für ihre Strategie dargelegt. Der Beschluss wurde im Umweltausschuss mit großer Mehrheit und allen Stimmen von Linken und Sozialdemokraten über Grüne und Liberale bis zu Christdemokraten angenommen. Die Abgeordneten der rechtskonservativen EKR-Fraktion und der rechtspopulistischen Identität & Demokratie-Fraktion enthielten sich. Die einzige Gegenstimme kam von der AfD. Das Plenum des Europaparlaments wird voraussichtlich am 10. Juli final über den Beschluss abstimmen. 

Nun ist es an der EU-Kommission, die konkreten Forderungen des Parlaments umzusetzen. Ich werde in den nächsten Monaten und Jahren darauf achten, dass die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission mit dem heutigen Beschluss des Europaparlaments zusammenpassen. Zusammen können wir die EU-Kommission zu mehr Ambition für nachhaltige Chemikalien drängen. Dafür werde ich mich weiter mit aller Kraft einsetzen. 

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

Link zum Beschluss (vorläufig nur auf Englisch verfügbar): https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2020/06/Chemicals-Strategy-Resolution_final.pdf

Rubrik: Europaparlament, Klima & Umwelt

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