Sven Giegold

MiFID-Erfolg: Gegenwind für die Deregulierung von Finanzmärkten

Am Mittwoch, den 28. Oktober 2020 verabschiedete der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments seine Position zum so genannten „MiFID quick fix“, mit dem die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) geändert werden soll. Die MiFID legt die wichtigsten Regeln für Börsen, Handelsplattformen, den Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten und Regeln für die Spekulation mit Waren fest. Der Gesetzesentwurf der Europäischen Kommission schlug vor, mehrere Regeln aus dem bestehenden Rechtsrahmen für Anlegerschutz, Transparenz und Marktintegrität zu streichen oder aufzuweichen. Nach Ansicht der Kommission würde eine Lockerung dieser Vorschriften die Finanzmärkte in die Lage versetzen, die wirtschaftliche Erholung von der Covid-19-Pandemie besser zu unterstützen. Viele der Maßnahmen haben jedoch keinen erkennbaren Bezug zur aktuellen Krise, wie von uns Grünen, anderen politischen Fraktionen und verschiedenen NGOs kritisiert wurde. Der christdemokratische Berichterstatter Markus Ferber hat in seinem Berichtsentwurf die Vorschläge der Kommission noch einmal wesentlich erweitert und weitere Ideen von den Wunschzetteln der Finanzdienstleister übernommen.

 

Die Abstimmung im Ausschuss ist ein kleiner Erfolg für uns Grüne und eine veritable Niederlage für den Berichterstatter. Nachdem er von uns, den Sozialdemokraten und der Linken, massiven Gegenwind bekommen hatte, musste der Berichterstatter bei den meisten seiner eigenen Vorschläge zurückrudern und Kompromisse vorlegen, die seine vorgeschlagenen Erweiterungen weitgehend ausklammerten. Im Ergebnis ist der Kompromissbericht viel näher am ursprünglichen Kommissionsvorschlag als an seinem Berichtsentwurf. Darüber hinaus folgte der ECON-Ausschuss unserer Linie und verweigerte dem Berichterstatter die notwendige Mehrheit, um in interinstitutionelle Verhandlungen einzutreten, was dem Plenum des Europäischen Parlaments die Möglichkeit gibt, den Bericht in seiner Novembersitzung weiter zu verbessern. Wir Grünen stimmten im Ausschuss gegen den Kompromissbericht und werden nun auf einen akzeptablen Kompromisstext für das Plenum hinarbeiten.

 

Ein alternativer Kompromiss, der von uns vorgelegt wurde, hatte auch aufgrund eines Fehlers auf der Abstimmungsliste keine Mehrheit erhalten. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten hatten wir vorgeschlagen, das System der Positionslimits für Warenpositionen der MiFID II weitestgehend beizubehalten und nicht, wie von der Europäischen Kommission und dem Berichterstatter vorgeschlagen, den größten Teil davon zu streichen. Trotz des Fehlers wurde unser Antrag auf Wiederholung der Abstimmung abgelehnt, und der Kompromiss des Berichterstatters wurde mit einer Mehrheit von nur einer Stimme angenommen. Das ist der maßgebliche Grund, warum wir darauf bestehen mussten, den Bericht ins Plenum zu bringen. Wir werden den alternativen Kompromiss in der Plenarsitzung im November erneut vorlegen.

 

Die vorgeschlagenen Änderungen zu den Positionslimits für Waren sind für uns Grüne der entscheidende Knackpunkt. Um exzessive Spekulationen mit Agrar-, Energie- und anderen Rohstoffen einzudämmen, hatte die MiFID II einen Regelungsrahmen eingeführt, der Obergrenzen für die von den Marktteilnehmern gehaltenen Rohstoffpositionen festlegt. Dies war das Ergebnis einer breiten Mobilisierung der Zivilgesellschaft, der Kirchen und der Kritiker*innen der Finanzialisierung von entscheidenden Rohstoff- und Finanzmärkten. Gemäss „Kompromiss K“ des Berichterstatters soll dieser Rahmen vollständig abgeschafft und durch einen neuen Mechanismus ersetzt werden, der nur für ausgewählte Rohstoffe auf der Grundlage bestimmter quantitativer Kriterien und neuer Level-2-Gesetzgebung Obergrenzen festlegt. Ohne eine angemessene Folgenabschätzung blieb völlig unklar, ob der neue Rahmen alle relevanten Rohstoffe einschließen würde und ob das ursprüngliche Ziel, Marktmissbrauch zu verhindern und exzessive Spekulationen auf entscheidenden Märkten einzuschränken, noch erreicht würde. Während das bestehende Regime der Positionslimits sicherlich ein Kandidat für vernünftigen Bürokratieabbau ist, argumentierten wir Grüne, dass es unverantwortlich wäre, einen so weitreichenden Regimewechsel ohne angemessene Untersuchungen in einem überstürzten Schnellverfahren zu beschließen. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten schlugen wir daher einen alternativen, auch von der Linken unterstützten „Kompromiss Ka“ vor, der das derzeitige Regime mit einigen gezielten Änderungen versehen würde, um mehr Flexibilität für neue Energiekontrakte zu schaffen. Der Kompromiss würde der Kommission auch ein erneuertes Mandat erteilen, einen umfassenden Bericht über das Regime vorzulegen, bevor substanzielle rechtliche Änderungen daran in Erwägung gezogen werden, wie es bereits in Artikel 90f der MiFID vorgesehen ist.

 

Ernest Urtasun, Schattenberichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion für den MiFID quick fix, erklärt:

 

„Es ist ein großer Erfolg, dass es eine Mehrheit im ECON-Ausschuss ablehnt, Regeln zu Anlegerschutz und Marktintegrität in einem überstürzten Verfahren ohne angemessene Prüfung abzuschaffen. Wir Grüne sind offen für Veränderungen, die zur Bewältigung der Coronakrise beitragen, aber wir lehnen es entschieden ab, die Pandemie als Vorwand zu benutzen, um die Finanzmarktregeln zu schwächen. Der im Ausschuss angenommene Bericht geht immer noch zu weit, und das Plenum des Europäischen Parlaments muss nun seine Chance nutzen, den Bericht weiter zu verbessern. Am wichtigsten ist, dass wir die Regeln zu den Positionslimits für Rohstoffe beibehalten, die exzessive Spekulationen einschränken.”

 

„Aufgrund eines Fehlers in der Abstimmungsliste wurde über einen alternativen Kompromissvorschlag von Grünen und S&D zu den Positionslimits für Rohstoffe nicht ordnungsgemäß abgestimmt. Die Pandemie liefert keine Rechtfertigung für die Abschaffung des gesamten Regelungsrahmens ohne eine ordentliche Folgenabschätzung. Stattdessen haben wir vorgeschlagen, nur gezielte Änderungen an den bestehenden Regeln für eine begrenzte Anzahl von Verträgen vorzunehmen. Trotz des Fehlers im Abstimmungsverfahren ist unser Antrag auf Wiederholung der Abstimmung abgelehnt worden. Wir werden nun erneut versuchen, den Text im Plenum zu ändern.“

 

Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, erklärt:

 

„Es ist gut, dass der ECON-Ausschuss dem Berichterstatter hinsichtlich seiner einseitigen Vorschläge die Unterstützung verweigert. Es war von Anfang an nicht überzeugend, dass die Absenkung von Anlegerschutzstandards und geringere Markttransparenz wesentlich zur wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie beitragen sollten. Angesichts der Schwere der gegenwärtigen wirtschaftlichen Verwerfungen in Europa sind die makroökonomischen Auswirkungen des gesamten Capital Markets Recovery Package der Europäischen Kommission höchst fragwürdig. Anstatt sich von Lobby-Wünschen ablenken zu lassen, sollten sich die EU-Institutionen auf wirksame Unterstützungsmaßnahmen für Bürger und Unternehmen während der Krise konzentrieren und mit dem Europäischen Green Deal auf eine nachhaltige Zukunft für Europa hinarbeiten. Wir brauchen eine echte und ausgewogene MiFID-Reform. Aber diese echte MiFID-Reform muss beides erreichen: Unnötige Bürokratie abbauen und die Verbraucher besser schützen. Die Coronavirus-Krise für eine einseitige MiFID-Reformagenda zu nutzen, ist weder angemessen noch hilft sie der notwendigen MiFID-Reform.”

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Rubrik: Wirtschaft & Währung

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