Sven Giegold

Chemikalienstrategie: Europaparlament fordert Paradigmenwechsel für eine giftfreie Umwelt und Umbau der Chemieindustrie

Bevor die Europäische Kommission voraussichtlich im September 2020 die mit dem Grünen Deal angekündigte „Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien“ vorstellt, fordert das Europäische Parlament am heutigen Freitag in einer von den Grünen/EFA initiierten Resolution umfassende Verschärfungen und konkrete Verbote giftiger Chemikalien. Hormonverändernde Stoffe („endokrine Disruptoren“) in Kosmetika, Spielzeugen und Nahrungsmittelverpackungen und langlebige Fluorchemikalien in Beschichtungen von Trinkbechern, Pfannen und Kleidung sollen verboten werden. Bei meiner erneuten Kandidatur zum Europaparlament hatte ich angekündigt mich hier besonders – auch aus persönlicher Betroffenheit – zu engagieren. Es gilt als sicher, dass der Text heute Nachmittag mit einer großen Mehrheit aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken angenommen wird.

Wir fordern die Europäische Kommission auf, das europäische Chemikaliengesetz REACH zu verschärfen. Für neue Produkte und solche aus recycelten Materialien sollen dieselben Standards gelten, damit sich keine gefährlichen Chemikalien in die Kreislaufwirtschaft einschmuggeln. 

Der Schutz von Mensch und Natur sowie die Einhaltung unserer planetaren Grenzen sind der Kern des heutigen Beschlusses. Jede Art von Verschmutzung soll in Zukunft verhindert oder auf ein Maß reduziert werden, das für die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht mehr schädlich ist. Die bevorstehende Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien soll auch den Abbau von Ressourcen, die Energienutzung bei der Herstellung von Chemikalien sowie Gesundheits-, Sozial- und Umweltstandards und Menschenrechte in der gesamten Lieferkette berücksichtigen.

Der Beschluss des Europaparlaments weist einen zukunftsfähigen Weg für die europäische Chemieindustrie. Dem Chemiesektor soll es nicht wie anderen europäischen Schlüsselindustrien ergehen. Die besten Produkte müssen auch weiterhin in Europa produziert werden. Die vom Europaparlament geforderte ambitionierte nachhaltige Chemiepolitik ist deshalb eine Chance für die Industrie, in zukunftssichere und krisenfeste Technologien zu investieren.  

Giftige Chemikalien stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, können die menschliche Entwicklung negativ beeinflussen, Wirkungen von Impfungen vermindern, Infektionsgefahr und Cholesterinwerte erhöhen und zu einem verringerten Geburtsgewicht von Kindern führen. Der Beschluss des Parlaments kommt nur wenige Tage nachdem das Umweltbundesamt vor immer mehr Chemikalien im Blut von Kindern warnte. Bei jedem fünften Kind können langfristige Schäden durch Belastung der extrem langlebigen Stoffgruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen („PFAS“) nicht ausgeschlossen werden. Das Parlament fordert heute, die Nutzung aller 4700 PFAS Substanzen außer in unbedingt nötigen Anwendungen zu verbieten. 

Als Teil des Europäischen Green Deal verkündete die Europäische Kommission im Dezember 2019 ihre Ambition eines “Null-Schadstoff-Ziels für eine schadstofffreie Umwelt“. Ein wichtiges Element dieser Ambition wird die “Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien”, welche im Oktober 2020 von der EU-Kommission vorgestellt werden soll.

Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament erklärt:

„Wir Abgeordneten fordern nichts weniger als einen Paradigmenwechsel in der Chemieindustrie. Für den Schutz unserer Gesundheit und Umwelt müssen wir die Chemieindustrie umbauen. Wir brauchen eine Nulltoleranz-Strategie gegenüber giftigen Chemikalien in Europa. Nötig ist eine Stärkung des europäische Chemikaliengesetz. Es muss endlich auch Polymere wie Plastik regulieren. Es ist nicht hinnehmbar, dass umweltschädliches Plastik durch das Raster fällt. Das europäische Chemikaliengesetz muss effizienter werden. Statt mühsam einen gefährlichen Stoff nach dem nächsten zu verbieten, sollten wir Stoffgruppen als ganzes angehen. So könnten wir verhindern, dass giftige Umwelthormone wie Bisphenol-A durch die nahezu identischen Bisphenol-F oder S ersetzt werden. Die EU-Kommission muss jetzt Kriterien für saubere Chemikalien vorlegen und konkrete Ziele zur Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs festlegen. 

Richtschnur für die Europäische Chemikalienstrategie müssen das Vorsorgeprinzip und der Schutz von Mensch und Umwelt sein. Das Null-Schadstoff-Ziel nutzt einer giftfreien Umwelt und gesunden Verbraucherinnen und Verbrauchern. Nachhaltige Chemiepolitik schützt nicht nur unsere Gesundheit. Sie ist auch eine Chance für die europäische Chemieindustrie, in zukunftssichere und krisenfeste Technologien zu investieren. Saubere Chemie „Made in Europe“ macht die europäische Industrie zukunftsfest. Nur eine nachhaltige Industrie kann wettbewerbsfähig bleiben und die 1,2 Millionen Jobs in der europäischen Chemiebranche sichern. 

Nirgends gibt es so gute Chemikaliengesetze wie in Europa. Doch in der Praxis mangelt es an Durchsetzung. Die Mitgliedstaaten müssen endlich REACH konsequent umsetzen, um den besten Produkten bei der Marktdurchdringung zu helfen“

 

Hintergrund:

Die Ergebnisse der heutigen Abstimmung im Europaparlament werden um 18 Uhr bekannt gegeben. 

Weitere Informationen zum Inhalt der Resolution sind auch auf meinem Blog zu finden: https://sven-giegold.de/chemikalien-umweltausschuss-paradigmenwechsel/

Link zum Text der Resolution (es wurden keine gewichtigen Änderungsänträge beschlossen): https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0222_DE.pdf

Link zur Studie des Umweltbundesamtes zu PFAS: https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/kinder-jugendliche-haben-zu-viel-pfas-im-blut

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