Sven Giegold

Auf zum automatischen Informationsaustausch 2.0: Grüner Aktionsplan für globale Steuertransparenz

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Interessierte,

am Mittwoch hatte ich das Vergnügen und das Privileg, auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Steuertransparenz während des OECD Global Forums zu sprechen. In den letzten 10 Jahren hat die OECD maßgeblich dazu beigetragen, dass Finanzkapital auch in dieser globalisierten Welt über Grenzen hinweg besteuert werden kann. Der Common Reporting Standard der OECD hat einen großen Beitrag zur Wiederherstellung realer Steuerhoheit vieler Staaten geleistet. Klar ist: Nur wenn wir international zusammenarbeiten, können wir sicherstellen, dass alle ihren Beitrag zur Allgemeinheit leisten. Ohne Ausnahme.

Während meines Beitrags beim Global Forum habe ich eine gemeinsame Vision skizziert: Alle Staaten sollten in der Lage sein, ihre Steuerzahler*innen auf einer gleichmäßigen und fairen Basis zu besteuern. Und ich bin überzeugt: Um diese Vision zu verwirklichen, müssen wir die Regeln zum automatisierten Austausch von steuerrelevanten Informationen ausbauen. Wir brauchen einen Common Reporting Standard (CRS) 2.0. Aber wie können wir die bestehenden Regeln verschärfen und Schlupflöcher schließen?

Auf dem Global Forum habe ich einen Aktionsplan mit sieben Punkten vorgeschlagen, von dem ich hoffe, dass er diese Debatte beflügeln kann. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir vorankommen und sicherstellen können, dass kein Fisch – unabhängig von seiner Größe – die Melderegeln für Vermögenswerte umgehen kann. Ich hoffe aufrichtig, dass das OECD Global Forum 2020 den Startpunkt für unsere gemeinsamen Bemühungen für mehr Steuertransparenz weltweit markiert.

Mit dieser E-Mail möchte ich diesen Aktionsplan mit Ihnen und Euch teilen und ich freue mich auf eine konstruktive Debatte.

Mit hoffnungsvollen europäischen Grüßen

Sven Giegold

 

Mein Aktionsplan für mehr Steuertransparenz kann hier heruntergeladen werden: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2020/12/Giegold_automatischer-Informationsaustausch-2-Punkt-0.pdf

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Auf zum automatischen Informationsaustausch 2.0

ein Beitrag von Sven Giegold, MdEP, während des Global Forums der OECD am 9. Dezember 2020 

Seit dem Ende des Bretton-Woods-Regimes in den frühen 1970er Jahren haben wir das Wachstum einer Offshore-Finanzwelt erlebt. Diese Entwicklung wurde von vielen als Beleg dafür interpretiert, dass wir Kapital einfach nicht mehr besteuern können. Früher oder später, so sagten sie, werden Kapitaleinkommen und Kapital selbst, besonders in seinen mobilen Formen, unmöglich zu besteuern sein und die Steuersätze werden sich letztlich gegen Null bewegen. Jahrzehntelang befanden sich Länder weltweit in einer Abwärtsspirale des Steuerwettbewerbs, um dem Finanzkapital zu gefallen – zum Nachteil ehrlicher Investor*innen und Steuerzahler*innen.

Vor sechs Jahren ist es der OECD mit dem “Common Reporting Standard” (CRS) gelungen, den Spieß umzudrehen. Dieser gemeinsame Standard für den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen hat bewiesen, dass die Steuersouveränität aller Staaten in Zeiten einer globalisierten Wirtschaft verteidigt werden kann. Diese Entwicklung war wirklich bahnbrechend: Die Staatengemeinschaft hat beschlossen zusammenzuarbeiten um sicherzustellen, dass auch Kapitaleigentümer*innen ihren Beitrag zur Allgemeinheit leisten. Im Jahr 2017 war der automatische Informationsaustausch endlich betriebsbereit. Schon beim Vergleich der Anzahl der ausgetauschten Informationen in den Jahren 2018 und 2019 sehen wir einen deutlichen Anstieg: Sowohl die Anzahl der Finanzkonten als auch das erfasste Gesamtvermögen haben sich verdoppelt, von 47 Millionen Konten im Jahr 2018 auf 84 Millionen Konten im Jahr 2019, die 10 Billionen Euro an Finanzvermögen abdecken. Ich hoffe sehr, dass sich dieser Trend in den Daten für 2020 fortsetzen wird!

Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass dieses wichtige, multilaterale Abkommen ohne die Vorarbeit der Obama-Biden-Regierung zustande gekommen wäre. Sie hat diesen Wandel in der internationalen Steuertransparenz mit dem “Foreign Account Tax Compliance Act” (FATCA) eingeleitet. Bevor FATCA im Jahr 2010 in Kraft trat, konnten wir uns weder in Europa noch international auf eine effektive Steuerkooperation einigen. Erst dank FATCA haben viele Länder ihren Widerstand gegen eine effektive Zusammenarbeit in Steuerfragen aufgegeben und sich auf einen umfassenden und automatischen Informationsaustausch eingelassen. Ich bin überzeugt: Europa hätte sich ohne das Vorbild der USA gar nicht erst auf einen so starken Standard für den automatischen Informationsaustausch einigen können. Im Europäischen Parlament arbeite ich derzeit als Berichterstatter an einem Bericht über die Umsetzung der ersten vier EU-Richtlinien zur Verwaltungszusammenarbeit in Steuerfragen, der europäischen Entsprechung zum CRS. Dazu freue ich mich über Hinweise und sobald mein Bericht fertig ist, werde ich diesen gerne mit Ihnen teilen.

Mit der Covid-19-Pandemie ist deutlich geworden, wie bitter nötig diese Steuereinnahmen sind. Wir werden die aktuelle Gesundheitskrise und die sich ankündigenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nur bewältigen können, wenn wir auf eine gerechte Besteuerung für alle bestehen können. Dazu müssen wir das souveräne Recht aller Staaten verteidigen, ihre Einwohner*innen auf einer fairen und gleichmäßigen Basis zu besteuern. Nur dann haben wir die Chance, die Investitionen zu tätigen, die wir brauchen, um unsere Volkswirtschaften wieder aufzubauen und die globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, in deren Mittelpunkt Klima- und Gerechtigkeitsziele stehen. Nur mit einer fairen und gleichmäßigen Besteuerung und echter Steuersouveränität für alle Länder werden wir die krassen Ungleichheiten, die wir derzeit erleben, begrenzen können. Nur mit finanzieller Transparenz können wir Kriminalität und Korruption im großen Stil erfolgreich bekämpfen.

Bei all dem Lob für das Erreichte sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, wie viel Arbeit wir noch vor uns haben: Mit dem CRS haben wir viele Fische gefangen, aber einige der größten Fische schaffen es immer noch, durch die Maschen des automatischen Informationsaustauschs zu flutschen. Das lässt sich leicht demonstrieren, wenn man sich die heutigen Steueroasen ansieht. Nach der Einführung des CRS und des FATCA ist das starke Wachstum der Offshore-Finanzwelt zum Stillstand gekommen, aber die Zahl der Briefkastenfirmen mit wenig wirtschaftlicher Substanz ist nicht gesunken. Und wir sehen immer mehr Anzeichen dafür, dass mobiles Kapital aus dubiosen Quellen von Banken und Wertpapieren zu nicht meldepflichtigen Kapitalformen wie Immobilien und Luxusgütern wechselt. Es ist hervorzuheben, dass es bei all dem nicht nur um einige kleine Inseln geht – Steuersümpfe sind integraler Bestandteil einiger der größten Finanzzentren der Welt. Deshalb halte ich es für absolut notwendig, an einer gemeinsamen Vision zu arbeiten. Eine Vision, die bekräftigt, dass alle Staaten in der Lage sein sollten, ihre Steuerzahler*innen auf einer gleichmäßigen und fairen Basis zu besteuern und so ihre Steuersouveränität in dieser globalisierten Welt wiederzuerlangen. Um diese Vision umzusetzen, brauchen wir einen automatischen Informationsaustausch 2.0.

Daher möchte ich einen Aktionsplan mit sieben Punkten vorschlagen, wie der automatische Informationsaustausch weiter ausgebaut werden kann:

  1. Informationen über wirtschaftlich Berechtigte müssen konsequent gemeldet werden. In den meisten Ländern gibt es heute de facto eine Meldeschwelle von 25 Prozent. Erst oberhalb dieser Schwelle muss ein*e wirtschaftliche*r Berechtige*r erfasst und gemeldet werden. Diese Grenze muss stark abgesenkt werden, um sicherzustellen, dass große Akteur*innen wie Family offices nicht mehr in der Lage sind, die automatische Meldung zu umgehen. Ebenso sollte es nicht mehr möglich sein, Direktor*innen als Strohmänner zu registrieren. Ein Finanzinstitut, das die Identität des wirtschaftlich Berechtigten der wirtschaftlich Berechtigten nicht kennt, sollte die Geschäftsbeziehung beenden. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass aktive Firmen nicht missbraucht werden können, um passives Einkommen zu verstecken. In der Tat sehe ich keinen triftigen Grund, warum irgendein Unternehmen von der automatischen Meldung aller wirtschaftlich Berechtigten von signifikanter Größe an die zuständigen Behörden ausgenommen sein sollte.
  2. Wir müssen sicherstellen, dass alle Länder qualitativ hochwertige Informationen erhalten. Um die vollständige Einhaltung der Meldepflichten zu gewährleisten, brauchen wir finanzielle und strafrechtliche Sanktionen sowie effektive Kontrollen. Idealerweise werden diese Kontrollen auch von unabhängigen Dritten durchgeführt.
  3. Kein Vermögen sollte von der automatischen Meldung ausgeschlossen werden. Nicht-finanzielle Vermögenswerte wie Immobilien, aber auch Luxusgüter wie Kunst und Schmuck müssen in den CRS 2.0 einbezogen werden. Ich bin auch besorgt über die Zunahme neuer Formen der Vermögensverwahrung, die den automatischen Informationsaustausch umgehen. Die zunehmende Zahl von Freihäfen, in denen solche Luxusgüter gelagert werden – auch in Europa – ist beunruhigend. Auch sie müssen verpflichtet werden, die dort gelagerten Vermögenswerte – egal welcher Art – zu melden. Gleiches gilt für Bankschließfächer.
  4. Die Erfassung von Krypto-Vermögenswerten wird in dieser digitalisierten Welt immer wichtiger werden. Die Regel sollte sehr einfach sein: Es darf keinen Unterschied zwischen der Behandlung von Krypto-Vermögenswerten und anderem Kapital geben. Akteur*innen sollten nicht in der Lage sein, an der Krypto-Finanzwelt teilzunehmen, ohne dass sie als wirtschaftliche Eigentümer*innen registriert werden. Das ist technisch anspruchsvoll, aber machbar.
  5. Niemand hat ein Anrecht darauf, seine Identität zu Steuerzwecken zu verschleiern. Es ist schon sehr zweifelhaft, dass man Staatsbürgerschaftsrechte überhaupt verkaufen kann. Aber angesichts der Tatsache, dass Visa und Pässe derzeit in einer Reihe von Ländern, auch in Europa, zum Verkauf stehen, müssen wir sicherstellen, dass diese Praxis nicht zu Steuerhinterziehung und Finanzkriminalität beiträgt. Den Ländern, in denen man tatsächlich steuerlich ansässig ist, dürfen aufgrund von goldenen Visa oder Pässen keine relevanten Informationen vorenthalten werden.
  6. Wir müssen über Gegenseitigkeit und die wichtige Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika sprechen. Im Moment gibt es keine vollständige Gegenseitigkeit unter FATCA. Das heißt, die USA bekommen mehr Informationen als sie an andere Staaten herausgeben. Um von diesem ungleichen Grad der Zusammenarbeit wegzukommen, bedarf es einer klaren Kommunikation. Solch offene Kommunikation gab es bereits während des Global Forums und dieser Missstand sollte bei den jeweiligen Peer-Reviews ebenso offen angesprochen werden. Es ist bedauerlich, dass ein solcher Mangel an Gegenseitigkeit überhaupt akzeptiert wurde. Wollen die USA eine Praxis aufrechterhalten, für die sie von den Bloomberg-Herausgebern als möglicherweise größte Steigbügelhalterin für Steuervermeidung von Nicht-US-Bürger*innen kritisiert wurde? Ich fordere unsere amerikanischen Freunde nachdrücklich auf, das Nötige zu tun, um die Registrierung aller wirtschaftlich Berechtigten sicherzustellen und nicht-amerikanische Einkünfte von US-Unternehmen in die Informationen einzubeziehen, die sie automatisch mit anderen Ländern teilen. Vielleicht könnte ein CRS 2.0 auch stärkere Anreize für echte Gegenseitigkeit erzeugen, denn einige dieser Ziele sind alleine einfach nicht zu erreichen. Wer von einem stärkeren CRS 2.0. profitieren will, muss den Standard voll umsetzen. Gleichzeitig ist klar: Ohne amerikanisches Engagement wird es viel schwieriger sein, den automatischen Informationsaustausch auf die nächste Stufe zu heben.
  7. Und zu guter Letzt: Wir brauchen mehr Register mit Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten von Vermögenswerten, die effektiv miteinander vernetzt sein müssen. Unternehmensregister, Immobilienregister und Bankkontenregister sollten qualitativ hochwertige Daten über wirtschaftlich Berechtigte enthalten und diese Register müssen international und barrierearm vernetzt sein. Gleichzeitig ist auch die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen – insbesondere für Forschungs- und Evaluierungszwecke – ein wichtiges Thema.

Mit all diesen Informationen können wir unsere gemeinsame Vision verwirklichen: Steuersouveränität und Steuergerechtigkeit überall auf der Welt. Dennoch sehe ich eine Bedrohung für diese gemeinsame Vision, die nicht unerkannt bleiben sollte: Die Einhaltung von Datenschutzregeln darf nicht als Vorwand zur Verhinderung von  Steuertransparenz eingesetzt werden! Natürlich dient die automatische Auskunft zu Steuerzwecken dem öffentlichen Interesse. Gleichzeitig müssen alle, die sensible Daten erhalten, hohe Datenschutzstandards sicherstellen, um die für Fairness und Steuerhoheit so wichtigen CRS-Regelungen zu schützen.

Ich hoffe aufrichtig, dass das OECD Global Forum 2020 den Startpunkt für unsere gemeinsamen Anstrengungen zur Schaffung einer gerechteren Welt markiert. Der CRS und FATCA haben bereits gezeigt, dass Kapital auch in einem globalisierten Finanzsystem selbstverständlich steuerpflichtig ist. Um jedoch die Steuersouveränität der Staaten vollständig wiederherzustellen, muss der automatische Informationsaustausch in zentralen Fragen weiter gestärkt werden. Ich hoffe, dass die sieben Schlüsselmaßnahmen, die ich oben vorgestellt habe, unsere Debatte bereichern können. Lassen Sie uns weiter gemeinsam für mehr Steuergerechtigkeit arbeiten.

Sven Giegold, MdEP, Koordinator der Grünen/EFA-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON), Berichterstatter für den Umsetzungsbericht des Parlaments zur EU-Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden in Steuersachen und Mitgründer des Tax Justice Network.

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P.S.: Einladung zum digitalen Adventsgottesdienst “…denn sie hatten keinen Raum – Gottesdienst in Verbundenheit mit den Schutzsuchenden an den Grenzen Europas” u.a mit EKD-Ratspräsident Heinrich Bedford-Strohm. Sonntag, 20.12.2020, 19 Uhr. Gleich hier anmelden!

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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