Sven Giegold

Abschlussbericht zur Zukunft der Kapitalmarktunion: Viele Industriewünsche, keine europäische Vision

Heute veröffentlichte die hochrangige Expertengruppe der EU-Kommission ihren Abschlussbericht mit Empfehlungen zur Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion. Die Expertengruppe aus Behörden, Finanzbranche und wenige Verbraucher- und Investorenschützer*innen wurde eingesetzt, nachdem das Projekt Kapitalmarktunion in den letzten Jahren kaum vorangekommen war. Diverse Richtlinien und Verordnungen wurden zwar beschlossen, aber die großen Hemmnisse für die Integration des Kapitalmarkt nicht beseitigt.

Dazu erklärt Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament:

“Der Expertenbericht ist kein großer Wurf geworden. Die Methode, einen große europäischen Entwurf durch eine breit besetzte Expertengruppe zu erarbeiten, ist bei der Kapitalmarktunion an ihre Grenzen gestoßen. Anders als bei der Expertengruppe Sustainable Finance entstand kein überzeugendes Bild, das europäische Ideale mit wirtschaftlichen Interessen verbindet. Die Expertengruppe leitet die Rolle des Kapitalmarkts nicht aus einer sozialen Marktwirtschaft ab. Es bleibt ein Geheimnis der Expertengruppe, in welchen Sektoren der Wirtschaft wir welche Typen von Kapitalmarktakteuren wollen. Die Kapitalmarktunion wird jedoch nur Akzeptanz finden, wenn der Kapitalmarkt demokratisch und sozial eingebettet ist. Starke europäische Kapitalmärkte brauchen auch klare Grenzen. Zum Beispiel: Immobilien und Land sollte nicht in die Hände von Finanzinvestoren, die nach kurzfristigen Gewinnen und Steuerdeals streben. Die Expertengruppe hat die Chance verpasst, eine kontinentaleuropäische Vision für den Kapitalmarkt nach dem Brexit zu entwerfen. 
An vielen Stellen findet sich im Bericht eine Sammlung von Industriewünschen ohne klaren europäischen Mehrwert. Es fehlt dagegen eine konsequente Vision für einen europäischen Kapitalmarkt. Genauso entwickelt der Bericht keine Vorstellung davon, wie man zu günstigen und rentablen Kapitalmarktprodukten für alle Anlegerinnen und Anleger kommt. Europa braucht langfristig orientierte Kapitalsammelstellen, die die europäische Industrie stärken, statt immer mehr Kapital in Indexfonds zu sammeln, die nicht in der EU kontrolliert werden. Völlig unklar bleibt auch, wie eine Mischung aus Wettbewerb, Informationseffizienz und Regulierung exzessive Gehälter und Gewinnansprüche im Bereich des Kapitalmarkt einhegen kann. 

Die Expertengruppe benennt in ihrem Bericht wichtige Herausforderungen wie die Fehlberatung bei der Geldanlage und große Zurückhaltung der Sparer bei Kapitalmarktanlagen. Die Empfehlungen sind allerdings zu zurückhaltend und teils widersprüchlich: Der Formelkompromiss, die problematische Provisionsberatung nur zu untersuchen, greift zu kurz. Kunden sollten das für sie beste, nicht das für den Berater lukrativste Produkt angeboten bekommen. Finanzbildung wird nie das Vertrauen von Sparern in Kapitalmarktanlagen stärken, wenn Menschen berechtigte Angst haben müssen vor Fehlberatung. Anlagemöglichkeiten in exzellente Finanzprodukte müssen gerade auch denen einfach offenstehen, die keine Finanzexperten werden wollen oder können.
Die Uneinigkeit der Experten beim Thema europäische Aufsicht ist enttäuschend. Der bisherige Flickenteppich ist ein zentraler Grund für die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarkts. Zu viele Mitglieder der Expertengruppe wollten offensichtlich ihre jeweiligen kleinen nationalen Sonderregeln nicht riskieren. In Finanzkriminalitäts- und Verbraucherschutzskandalen hat sich die Ineffizienz der europäischen Finanzaufsicht oft genug gezeigt. Wir brauchen endlich starke europäische Kapitalmarktaufseher mit unabhängigen Entscheidungsstrukturen und direkter Aufsichtskompetenz. Ohne echte Fortschritte bei der gemeinsamen Aufsicht bleiben auch die anderen Empfehlungen der Expertengruppe Stückwerk.”

Link zum Expertenbericht (Auf Englisch): https://ec.europa.eu/info/files/200610-cmu-high-level-forum-final-report_en

P.S.: Herzliche Einladung zum international und prominent besetzten Webinar “Das Virus der Finanz-Deregulierung”, das am heutigen Mittwoch ab 18 Uhr stattfindet. Mit Expert*innen und Nichtregierungsorganisationen diskutieren wir aktuelle Versuche, die europäische Finanzmarktregulierung im Schatten der Corona-Krise zurückzudrehen. Anmeldung hier.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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