Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,
am 21. Januar hat das Europaparlament einen wegweisenden Beschluss zur Verbesserung der EU Liste der Steueroasen gefasst. Mit einer breiten Mehrheit von 587 Abgeordneten (bei 50 Gegenstimmen und 46 Enthaltungen) richten wir starke Forderungen an die Kommission und an den Rat, um die EU Liste der Steueroasen endlich zu einem machtvollen Instrument gegen Steuervermeidung und Steuerflucht auszubauen. Die Parlamentsresolution habe ich als Verhandlungsführer der Grünen/EFA-Fraktion ausgehandelt. Unsere Forderungen lassen sich mit einem Wort zusammenfassen: Konsequenz. Die Liste wurde 2017 mit dem klaren Ziel eingeführt, Steueroasen weltweit zu benennen und sie mit Sanktionen zu belegen, um den Verlust von Steuereinnahmen zu stoppen. Aber die Liste ist bisher ein zahnloser Tiger geblieben. Daher fordert das Europaparlament nun mit einer breiten Mehrheit strengere Kriterien, die konsequent angewandt werden – auf Steueroasen innerhalb und außerhalb der EU.
Dieses entschlossene Signal des Europaparlaments ist ein Weckruf, denn die Ausmaße der jährlichen Steuerverluste durch Steueroasen sind immens: Laut dem neuesten Bericht des Tax Justice Network gehen Regierungen weltweit jährlich direkte Steuereinnahmen in Höhe von 360 Milliarden Euro verloren, weil es immer noch möglich ist, Unternehmensgewinne und Privatvermögen in Steueroasen zu verlagern. Bezieht man die indirekten Verluste durch die Steuervermeidung von multinationalen Unternehmen mit ein, dann belaufen sich die jährlichen Steuerverluste weltweit sogar auf geschätzte 978 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund ist es nicht hinnehmbar, dass die Länder auf der aktuellen EU Liste der Steueroasen laut dem Tax Justice Network gerade einmal 2% der Steuervermeidung von Unternehmen ausmachen! Darum fordern wir im Parlamentsbeschluss wichtige Nachbesserungen, um Steueroasen weltweit endlich effektiv zu sanktionieren. Die Liste braucht mehr Biss!
Die EU Liste der Steueroasen wurde erstmals im Dezember 2017 veröffentlicht und seitdem regelmäßig aktualisiert. Die Liste ist das Ergebnis eines Überprüfungs- und Dialogprozesses der EU-Ratsgruppe “Verhaltenskodex Steuern” mit Drittländern. Dabei bewerten die EU-Mitgliedstaaten Drittländer nach Kriterien zu Steuertransparenz, fairer Besteuerung, Umsetzung von OECD BEPS-Maßnahmen und Prüfung der ökonomischen Substanz von Steuergestaltungen für Null-Steuer-Länder. Neben der eigentlichen Liste gibt es noch ein Beobachtungsliste für die Länder, die sich zu Änderungen verpflichtet haben. Die Entscheidungen der EU-Ratsgruppe “Verhaltenskodex Steuern” werden hinter verschlossenen Türen getroffen und unterliegen bisher keiner parlamentarischen Kontrolle.
Gemeinsam mit den anderen pro-europäischen Parteien haben wir einen starken, progressiven Beschlusstext erarbeitet, der an drei Hebeln ansetzt um das Potenzial der EU Liste endlich auszuschöpfen:
- Wir fordern strengere Kriterien um sicherzustellen, dass alle Steueroasen von der Liste erfasst werden. Erhebt ein Land keine oder nur eine sehr niedrige Unternehmenssteuer, dann muss es unverzüglich in die Liste aufgenommen werden – ohne wenn und aber. Außerdem muss das Kriterium der gerechten Besteuerung auch weitreichende Steuerbefreiungen und Schlupflöcher bei der Verrechnungspreisgestaltung von transnationalen Unternehmen erfassen – nicht nur offensichtlich begünstigende Steuermaßnahmen, die einzelne Akteure bevorzugen. Das ist aktuell nicht der Fall. Des weiteren brauchen wir eine Verschärfung des Substanzkriteriums. Das bedeutet, dass Staaten gesetzlich festschreiben müssen, dass steuerlich ansässige Firmen auch eine wirtschaftliche Substanz in diesem Land nachweisen müssen. Solch ein Substanzkriterium gibt es bereits, aber es ist entschieden zu lasch. Warum eine Verschärfung der Kriterien notwendig ist, lässt sich eindrücklich am Beispiel der Kaiman-Inseln belegen: Die Kaiman-Inseln wurden am 6. Oktober 2020 wieder von der EU Liste der Steueroasen gestrichen, nachdem sie minimale Substanzkriterien für Firmen und schwache Durchsetzungsmaßnahmen eingeführt hatten. Und das, obwohl die Kaiman-Inseln für 16,5 Prozent der weltweiten Steuerausfälle verantwortlich sind – und damit das Hoheitsgebiet, das anderen Ländern am meisten Schaden zufügt! Bis heute haben die Kaiman-Inseln eine Unternehmenssteuer von null Prozent. Deshalb muss die Höhe der Unternehmenssteuer zu einem Kernkriterium werden: erhebt ein Land keine oder nur eine sehr niedrige Unternehmenssteuer, dann muss es automatisch auf die Liste. Zusammen mit den Sozialdemokraten konnten wir außerdem erfolgreich einen Änderungsantrag einbringen, der unserer Forderung nach einem angemessenen effektiven Mindeststeuersatz für Unternehmen in der Größenordnung des durchnittlichen gesetzlichen Unternehmenssteuersatzes in der EU (21,7% in 2019) Nachdruck verleiht.
- Allerdings nützen strengere Kriterien nur dann etwas, wenn sie auch konsequent umgesetzt werden. Die Entscheidung, ob ein Land als Steueroase kategorisiert wird, muss transparent, kohärent und unparteiisch getroffen werden. Das ist wichtig, um die Möglichkeiten für politische Einflussnahme entschieden zu verringern. Die USA beispielsweise werden nur mit Samthandschuhen angefasst, obwohl auch sie aufgrund von stark eingeschränktem automatischen Informationsaustausch de facto eine Steueroase sind. Das muss sich ändern. Mit diesem Beschluss fordern wir Europaparlamentarier*innen den Rat auf, in Zukunft die Kommission damit zu beauftragen, Drittstaaten zu überprüfen und einen Vorschlag für die EU Liste der Steueroasen zu erarbeiten. Diese Liste muss öffentlich gemacht werden, bevor der Rat darüber entscheidet. Außerdem fordert das Europaparlament eine Beobachterrolle in der Verhandlungen der EU-Ratsgruppe “Verhaltenskodex Steuern”. Mittelfristig sollte der gesamte Prozess auf EU-Ebene formalisiert werden, am besten durch ein rechtlich bindendes Instrument. Mit diesen Maßnahmen wollen wir sicherstellen, dass die Entscheidung darüber, welche Länder als Steueroase sanktioniert werden, nach unabhängigen Kriterien getroffen wird. Die Steuerverluste, die den Mitgliedstaaten durch Steueroasen entstehen, müssen nachher die Bürger*innen ausbaden. Deshalb brauchen wir maximale Transparenz und eine unabhängige, konsequente Prüfung von Drittländern – unter Einbindung des Europaparlaments!
- Wir müssen aufhören, mit zweierlei Maß zu messen. Wir können keine konsequente Überprüfung von Drittländern fordern, ohne diesen Maßstab auch innerhalb der EU anzulegen. Damit macht Europa sich nicht nur unglaubwürdig, sonderns wir ignorieren auch einen entscheidenden Teil des Problems: Europäische Mitgliedstaaten sind für 36 Prozent aller Steuerverluste weltweit verantwortlich und schaden damit anderen! Das bedeutet, dass wir uns nicht nur auf Steuervermeidung in Drittländern fokussieren dürfen sondern auch bei uns ansetzen müssen. Im Beschlusstext fordern wir daher, dass die EU-Mitgliedstaaten an den selben Kriterien gemessen werden müssen wie Drittländer. Es kann nicht sein, dass Malta unbehelligt als Steueroase agieren kann, während Panama für dieselben Praktiken auf die EU Liste der Steueroasen gesetzt wurde!
In Folge des Brexit ist Großbritannien mit seinem “Spinnennetz an Steueroasen” in den Überseegebieten und den Gebieten, die unmittelbar der britischen Krone unterstehen, ein Drittland geworden. Dieses britische Spinnennetz ist für 37,4% aller Steuerverluste weltweit verantwortlich. In unserem Beschluss fordern wir daher eine gründliche Überprüfung Großbritanniens und seiner Hoheitsgebiete. Das ist besonders wichtig angesichts der Tatsache, dass der Entwurf des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Großbritannien kaum Zusagen gegen Steuerdumping enthält. Als Mitglied der EU waren die Steuerregeln des Vereinigten Königreichs eine kostspielige Belastung für die anderen Mitgliedstaaten. Wir können nicht akzeptieren, dass uns diese Belastung von einem Drittland auferlegt wird, insbesondere im Zusammenhang mit der durch den Covid verursachten Belastung der öffentlichen Haushalte.
Der soeben verabschiedete Bericht des Europaparlaments sendet ein weiteres wichtiges Signal. Wir sind uns bewusst, dass Steueroasen ärmere Länder überproportional hart treffen: Auch wenn reiche Länder insgesamt wesentlich mehr Steuerverluste zu verzeichnen haben, so sind diese Verluste in Relation zum öffentlichen Haushalt viel geringer als in ärmeren Ländern. In Deutschland beispielsweise entsprechen die verlorenen Steuereinnahmen 11,26 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen, auf dem afrikanischen Kontinent hingegen durchschnittlich 52,5 Prozent der Gesundheitsausgaben der Länder! Verantwortlich für diese hohen Verluste sind reiche Länder, unter anderem in Europa. Damit untergraben wir unsere eigenen entwicklungspolitischen Ziele. Deshalb fordern wir die Ratsgruppe “Verhaltenskodex Steuern” dazu auf, Entwicklungsländer stärker einzubinden und zu konsultieren. Zu diesem Zweck schlagen wir die Einrichtung einer Arbeitsgruppe mit Drittländern vor, die auch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft umfassen sollte, um den konstruktiven Dialog zu fördern.
Dieser Beschluss des Europaparlaments enthält also viele wichtige Punkte, um die EU Liste der Steueroasen so zu verbessern, dass sie endlich ihrem Namen alle Ehre machen kann. 587 der 683 Abgeordneten, die bei der Plenarsitzung (virtuell) anwesend waren, haben für den Beschluss gestimmt. Die Tatsache, dass wir so einen progressiven Bericht mit einer solchen Mehrheit verabschieden konnten, ist ein starkes Signal für mehr Steuergerechtigkeit.
Mit zuversichtlichen europäischen Grüßen
Sven Giegold
Hier der Link zum Beschlusstext (auf Englisch): https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2021/01/Beschlusstext-EN_EU-Liste-der-Steueroasen_2021-01-21.pdf
Eine deutsche Übersetzung wird in den kommenden Tagen hier verfügbar sein: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0022_DE.html
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