Sven Giegold im Gespräch mit Dirk Müller
Sven Giegold fordert die Aufklärung des luxemburgischen Steuerskandals.
Am Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des luxemburgischen Steuerskandals führe kein Weg vorbei, sagte Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, im DLF. Der Steuerskandal könnte noch größere Dimensionen annehmen als bislang gedacht. Deshalb sei der Ausschuss unabdingbar.
Er könne den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, nur davor warnen, den Untersuchungsausschuss durch „Geschäftsordnungs-Tricksereien“ zu verhindern, sagte der Europa-Abgeordnete der Grünen, Sven Giegold, im DLF. Nachdem Schulz grünes Licht für die Untersuchung des Steuerbetrugs und der Steuerflucht großer Unternehmen nach Luxemburg gegeben hatte, drohten nun plötzlich formale Fehler am Mandat, die diesen Ausschuss verhindern könnten.
Schulz spiele mit der Glaubwürdigkeit der europäischen Politik, betonte Giegold. Vor dem Hintergrund, dass der Steuerskandal in Luxemburg wahrscheinlich noch größere Dimensionen annehmen könnte, als bislang gedacht, sei eine Untersuchung unabdingbar. Auch andere Staaten, beispielsweise die Niederlande, hätten fragwürdige staatliche Steuerbeihilfe geleistet. Seit Jahrzehnten gebe es einen „Klüngel zwischen Regierungen und großen Unternehmen“. Maßgeschneiderte Steuerbescheide seien an der Tagesordnung gewesen.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: 188 Unterschriften mussten zunächst einmal her im Europäischen Parlament, um über einen Untersuchungsausschuss zur Steueraffäre in Luxemburg zumindest abstimmen zu lassen. Die Affäre wird auch als Luxleaks bezeichnet. Multinationale Konzerne, die sich im kleinen Nachbarland einen schlanken Fuß machen konnten, indem sie Milliarden an Steuern gespart haben über viele Jahre hinweg. Alles unter einem Regierungschef und Finanzminister Jean-Claude Juncker, der jetzt Präsident der Europäischen Kommission ist. Genau hier liegt aber offenbar das Problem, denn die Konservativen wie auch die Sozialdemokraten im Parlament haben monatelang versucht, einen Untersuchungsausschuss klein zu reden, gar nicht erst zur Abstimmung kommen zu lassen. Doch seit vergangener Woche ist das etwas anders. Auch die beiden großen Fraktionen sind nun wohl offenbar bereit, das Ganze auf den Weg zu bringen. Was fehlte, das war noch eine rechtliche Prüfung. spätestens heute Nacht sollte es aber auch hier grünes Licht für einen EU-Ausschuss geben. Das ist aber offenbar nicht so. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Grünen-Finanz- und Wirtschaftspolitiker Sven Giegold, Mitglied im Europäischen Parlament. Guten Morgen nach Brüssel.
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Giegold, was ist passiert?
Giegold: Ja, es gibt einen heftigen rechtlichen Streit und der Hintergrund ist, dass der Rechtsdienst des Parlaments sagt, dass Änderungen an dem vorgelegten Mandat für den Untersuchungsausschuss nötig sind, dass solche Änderungen aber formal gar nicht mehr möglich sind. Das sind Geschäftsordnungstricksereien. Ich kann Martin Schulz nur warnen, das Vertrauen der Bürger in das Parlament dadurch zu riskieren, dass man einen solchen Ausschuss am Kleingedruckten scheitern lässt.
„Eine ganz neue Dimension“
Müller: Sie meinen jetzt ganz konkret Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments?
Giegold: Ja, denn ihm untersteht auch der Rechtsdienst. Natürlich ist er nicht verantwortlich für jede Meinungsäußerung seiner Juristen, aber letztlich die politische Verantwortung trägt er schon und am Donnerstag entscheidet die Konferenz der Präsidenten über die Einsetzung des Ausschusses, und wie wir jetzt herausgefunden haben, hat der Skandal in Luxemburg und in den anderen Ländern noch eine ganz neue Dimension, und deshalb muss das Mandat verändert und erweitert werden und darf nicht durch Tricksereien zum Scheitern gebracht werden.
Müller: Wenn wir das jetzt noch einmal zusammenfassen, Sven Giegold, wie Sie es gerade getan haben: Das Ganze ist nötig, diese Änderung, aber nicht möglich. Das habe ich richtig verstanden?
Giegold: Angeblich muss das Mandat exakt so bleiben, wie es von den 191 Abgeordneten vorgelegt wurde. Das bedeutet, man kann es nicht mehr erweitern, nicht mehr verändern. Diese Rechtsauffassung ist völlig neu, denn in der Vergangenheit, zum Beispiel bei dem Ausschuss zu einer großen Versicherungsgesellschaft – Equitable Life – da gab es auch einen Untersuchungsausschuss -, da wurde auch im Nachhinein das vorgelegte Mandat noch verändert. Insofern sind das Tricksereien und wir brauchen diesen Ausschuss und es ist natürlich möglich, dass das Plenum des Europaparlaments, genau wie die Konferenz der Präsidenten ein eigenes Mandat vorlegt.
„Martin Schulz hat sich über Monate gegen diesen Ausschuss engagiert“
Müller: Könnte ich das so notieren: Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, verhindert systematisch den Einsatz eines Untersuchungsausschusses?
Giegold: Martin Schulz hat sich über Monate gegen diesen Ausschuss engagiert. Aber er hat zuletzt ja, wie Sie es auch in der Einleitung richtig gesagt haben, grünes Licht gegeben. Und ich hoffe, dass er jetzt zu seinem Wort steht und dafür sorgt, mit den anderen Fraktionschefs zusammen, dass dieser Untersuchungsausschuss kommt, für den sich ja auch viele Mitglieder der sozialdemokratischen und der konservativen Fraktion gegen ihre Parteiführung engagiert haben.
Müller: Sie haben das jetzt nicht klar mit Ja beantwortet?
Giegold: Nein, weil wir so weit noch nicht sind. Alles entscheidet sich am Donnerstag.
Müller: Die Konservativen, welche Rolle spielen die jetzt?
Giegold: Die Christdemokraten haben von Anfang an – Jean-Claude Juncker ist ja ihr Parteimitglied -, waren von Anfang an gegen diesen Untersuchungsausschuss. Aber es ist einer ganzen Gruppe von deutschen Christdemokraten mit zu verdanken, dass wir die 192 Unterschriften zusammen bekommen haben, und insofern waren das mutige Abgeordnete.
Müller: Und das soll auch so bleiben?
Giegold: Ja, das hoffe ich. Allerdings wurde erheblicher Druck ausgeübt von der Fraktionsführung der Christdemokraten, sodass mehrere ihre Unterschriften inzwischen wieder zurückgezogen haben. Wir haben aber immer noch genug zusammen.
„Es geht nicht darum, alleine auf Juncker zu gucken“
Müller: Christdemokraten und Sozialdemokraten – das sind die beiden großen Fraktionen, die die absolute Mehrheit besitzen im Europäischen Parlament. Ist es für die nach wie vor ausgemachte Sache, dass man Jean-Claude Juncker unbedingt politisch schützen muss?
Giegold: Zunächst mal geht es bei diesem Untersuchungsausschuss gar nicht nur um Jean-Claude Juncker. Diese Steuer-Rulings, diese maßgeschneiderten Steuerbescheide für Großunternehmen, die gab es nicht nur in Luxemburg, die gab es in den Niederlanden, in Irland. Alleine in den Niederlanden wurden 2013 669 dieser sonder-maßgeschneiderten Steuererklärungen verabschiedet. Das heißt, es geht nicht darum, alleine auf Juncker zu gucken. Und wie wir jetzt wissen, ist das Ganze nicht nur eine fragwürdige staatliche Beihilfe mit Steuergeldern, sondern es war auch so, dass die Mitgliedsländer verpflichtet waren seit 1977, diese maßgeschneiderten Steuerbescheide automatisch den Partnerländern zuzuschicken.
Müller: Entschuldigung, dass ich da einhake. Meinten Sie ’97?
Giegold: Nein, nein, nein!
Müller: Seit ’77?
Giegold: Seit 1977 sind die Mitgliedsländer verpflichtet, solche maßgeschneiderten Steuerbescheide an die geschädigten Mitgliedsländer, deren Steuerbasis gesenkt wurde, zu übersenden, und zwar automatisch.
Müller: Aber dann ist das so alt, liegt das so weit zurück, dass sich keiner mehr daran erinnern kann?
Giegold: Das stimmt nicht! Wir wissen, dass es 2011 und 2012 in einer EU-Arbeitsgruppe unter Beisein aller Mitgliedsländer eine Diskussion darüber gab, wo noch mal festgestellt wurde, dass das nicht richtig umgesetzt wird. Die Mitgliedsländer haben aber trotzdem diese Ratsrichtlinie nicht umgesetzt und – das ist das eigentlich Pikante – die EU-Kommission hat das einfach laufen lassen. Die hat das nicht Umsetzen des Rechtes mit diesen Steuerbescheiden laufen lassen und Herr Juncker hat direkt nachdem der Luxleaks-Skandal bekannt wurde den Vorschlag als Reaktion gemacht, man solle doch europäisch verpflichtend machen, dass solche Steuerbescheide automatisch übersendet werden. Das ist eine Finte!
„Jahrzehntelanger Klüngel zwischen Regierungen und großen Konzernen“
Müller: Herr Giegold, wenn das niemand gemacht hat, dann stecken ja alle irgendwie unter einer Decke in diesem Zusammenhang?
Giegold: Genau! Das heißt, was wir jetzt herausgefunden haben, dass es sich um einen jahrzehntelangen Klüngel zwischen Regierungen und großen Konzernen handelt, die sich beim Steuerzahlen einen schlanken Fuß gemacht haben. Auch die Bundesregierung, auch Deutschland!
Müller: Auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer?
Giegold: Die waren nicht im Finanzministerium. Aber auf jeden Fall hätten die deutschen Finanzbehörden sich diese maßgeschneiderten Steuerbescheide besorgen können und die EU-Kommission auffordern können, diese entsprechenden Informationen herüberzuschicken. Das heißt, die EU-Kommission hat darauf verzichtet, das europäische Recht, was längst gilt, durchzusetzen, und die Mitgliedsländer haben darauf verzichtet, dieses Recht zu nutzen, damit Großunternehmen durch diese maßgeschneiderten Steuerbescheide Steuern sparen. Das Ganze ist eine ganz neue Dimension dieses Skandals. Das wissen wir erst seit sehr kurzer Zeit und deshalb brauchen wir diesen Untersuchungsausschuss und wir brauchen ihn mit einem erweiterten Mandat.
Müller: Sven Giegold heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk, Mitglied im Europäischen Parlament, dort zuständig für Finanzen, Wirtschaft und Währung. Danke nach Brüssel.
Giegold: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Interview ist hier anzuhören.