Sven Giegold

40. Kongress der Europäischen Grünen Partei: Grüne in Europa – Es geht wieder aufwärts

Über das Nikolaus-Wochenende kam im portugiesischen Lissabon die Europäische Grüne Partei (EGP) zu ihrem 40. Kongress zusammen. Über 600 Grüne aus 39 europäischen Ländern waren dabei. Zuerst geht es dabei um das gegenseitige Kennenlernen, sich zuhören und voneinander lernen. Es ist nicht immer einfach in der Europäischen Grünen Familie, aber so muss es auch sein. Aus vielen persönlichen Gesprächen, Workshops, Podien und Verhandlungen geht man immer schlauer raus, als man reingegangen ist.

Europapolitisch stand das Treffen unter dem Eindruck der neuen US-Sicherheitsstrategie, in dem die Trump-Regierung offen die Zerstörung des Europas als demokratische Rechtsgemeinschaft, wie wir sie kennen. Gleichzeitig arbeitet die Europäische Volkspartei – unter Führung des Christdemokraten Manfred Weber (CSU) – an der Beseitigung ökologischer und sozialer Errungenschaften Europas mit der extremen Rechten zusammen. Er arbeitet damit genau mit den Akteuren der Rechtsradikalen zusammen, die ein demokratisches und freies Europa bekämpfen und die Trump in seiner Sicherheitsstrategie als enger Partner von Europa sieht. Als Parteienfamilie der EGP stellen wir uns dieser Entwicklung entschlossen entgegen: Wir wollen ein Europa, das erfolgreich nachhaltig wirtschaftet – bei hohen sozialen und ökologischen Standards. Wir streiten für ein Europa, das offen bleibt für eine geregelte Migration und das solidarisch ist mit Geflüchteten. Wir setzen uns für ein Europa ein, das strategisch eigenständig ist und sich selbst verteidigen kann. Dabei haben wir in den letzten Jahren große Erfolge erzielt – wie dem Europäischen Green Deal und den EU-Digitalgesetzen DMA und DSA. Hier gibt es neben Rückschritten auch weitere Erfolge. So gelang es durch uns Grüne die EU für 2040 auf ein Klimaziel von minus 90% gegenüber 1990 zu verpflichten. In den nächsten Monaten erwarten wir wichtige Vorschläge der EU-Kommission, für die wir uns lange eingesetzt haben: Das Kreislaufwirtschaftsgesetz, die Reform der öffentlichen Beschaffung und strengere Klimaregeln für Autos von Firmen mit großem Fuhrpark.

Zwei wichtige Punkte zogen sich durch die Podien und Gespräche:

1️⃣ In vielen Ländern ist die Talsohle des antigrünen Rollbacks durchschritten. Grüne Parteien legen in Wahlen wieder zu und können auch gewinnen. So gelang in der kroatischen Hauptstadt Zagreb die Wiederwahl des Bürgermeisters Tomislav Tomašević. In Kopenhagen und weiteren dänischen Städten gewann Sisse Marie Welling eine Grüne die Oberbürgermeisterwahl, wie vorher schon in der lettischen Hauptstadt Riga. In Norwegen schafften Grüne erstmals den Sprung über die 4%-Hürde im nationalen Parlament. In England und Wales führen die Grünen die progressive Opposition gegen die rechtssozialdemokratisch regierende Labour Partei. Und in Deutschland gewannen Grüne wichtige Oberbürgermeisterwahlen in Würzburg, Münster und nun in Kiel.

Auch neue Mitgliedsparteien konnte die EGP begrüßen. In Slowenien ist nun die Partei VESNA Vollmitglied der EGP geworden. In Rumänien, dem 6. größten Mitgliedsland der EU, gewinnt die frische grüne Partei SENS immer mehr an Stärke. Damit stabilisiert sich eine erfreuliche Tendenz: In immer mehr europäischen Ländern gibt es erfolgreiche grüne Parteien. Bei den letzten Europawahlen gelang uns, aus mehr Ländern denn je grüne Abgeordnete ins Parlament zu bringen. Die grüne Familie in Europa wird bunter. Gerade im Baltikum und in den Ländern des Balkans gibt es grüne Erfolgsgeschichten. Gleichzeitig rücken auch die dortigen Probleme dichter an uns heran. So wurden Abgeordnete der neuen grünen Partei in Serbien, Zeleno-levi front, jüngst mit körperlicher Gewalt bedroht, als sie das serbische Parlament verlassen haben. Der Bundesvorstand hat darauf spontan am Wochenende mit einem Solidaritätsbeschluss reagiert, den ihr hier findet: (https://sven-giegold.de/serbien).

2️⃣ Überall in Europa suchen grüne Parteien neue und überraschend ähnliche Wege wie ökologische Themen wieder stärker im politischen Diskurs zu setzen sind. Es geht darum, wie die Politische Ökologie in einer neuen Zeit ein Update erfahren kann.  In einer Zeit geopolitischer Krisen aber auch sozialer Unsicherheiten wächst die soziale Spaltung überall in Europa. Klimaschutz und Biodiversität stehen nicht mehr so weit oben auf der politischen Agenda, wie noch vor einigen Jahren. Trotzdem sehen Bürger*innen überall in Europa weiter die überragende Bedeutung ökologischer Zukunftsfragen. Darauf geben grüne Parteien in vielen Ländern ähnliche Antworten.

In Frankreich kommunizieren die Grünen über eine „Écologie populaire“ soziale und ökologische Fragen gemeinsam. In Deutschland haben wir Bündnisgrünen mit einer „Ökologie für alle“ und einer „Mitmach-Ökologie“ die politische Ökologie neu mit der sozialen Frage verbunden. In England und Wales hat Zack Polanski den Grünen neuen Schwung gegeben, indem er die Klimakrise und den Ressourcenverbrauch der Reichen mit Antworten auf die sozialen Krisen wie gestiegenen Preisen und Mieten verbindet. Europaweit thematisieren Grüne, wie Erneuerbare und Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft zur Unabhängigkeit von Rohstoff- und Energieimporten beitragen können. Ökologische Politik kann so neue Wertschöpfung in Europa schaffen, statt Autokraten zu finanzieren.

In einem „Green and Social Lab” wird die EGP den Austausch der Parteien künftig intensivieren. 2026 soll daraus dann eine gemeinsame Kampagne entwickelt werden.

Doch beim Kongress der EGP geht es auch um Entscheidungen. In sechs Resolutionen haben wir wie bei nationalen Kongressen auch die gemeinsame Politik der EGP-Parteien festlegt. Dabei ging es um die politische Leitresolution „Bauen wir ein grünes und soziales Europa“, Krisenvorbereitung und -resilienz, Europas Verkehrsinfrastruktur verändern, Europäische Digitale Demokratie und Stopp Femizide sowie eine Resolution zum Krieg im Sudan. Die Texte der Resolutionen könnt Ihr in den nächsten Tagen auf Englisch hier nachlesen: https://europeangreens.eu/lisbon2025-adopted-documents/

Diesmal gab es keine gemeinsame Resolution zum Israel-Palästina-Konflikt. Während es beim letzten Kongress große Konflikte und Verwerfungen innerhalb der Parteienfamilie um das Thema gab, stand dieses Thema dieses Wochenende nicht im Vordergrund.  Viele Parteien haben den Beschluss auf unserer bündnisgrünen BDK in Hannover zum Nahen Osten begrüßt, den wir auf Englisch übersetzt (https://sven-giegold.de/en/middle-east-new/), allen Parteien zur Verfügung gestellt haben. Trotzdem bestehen die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen uns und anderen grünen Parteien weiter. Aus Sicht vieler anderer Parteien Gleichzeitig sehen wir deutschen Grünen ein gefährliches Abrücken vieler Parteien vom Existenzrecht Israels, einen großen blinden Fleck bei der Rolle des Irans und beim Schutz jüdischen Lebens in Europa wie im Nahen Osten. Insgesamt ist jedoch nicht zu übersehen, dass die Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt sowohl Deutschlands Ansehen in der Welt vielerorts Schaden zugefügt hat als auch das Ansehen von Bündnis90/Die Grünen. Wir arbeiten daran, diese Entfernung wieder zu verringern, ohne eigene Grundpositionen aufzugeben.

Insgesamt war es wohltuend, dass auf dem Kongress deutlich weniger Zeit mit kleinteiligen Antragsverhandlungen aufgewendet wurde. Hier hat die Reform des Antragsverfahrens und die vorgelagerten Onlinegespräche eine deutliche Entlastung gebracht. Die Zahl politischer Resolutionen war kleiner, die Zeit für Austausch und gegenseitiges Lernen größer. Und die beschlossenen Resolutionen sind überwiegend auch deutlich inhaltlich besser formuliert als in der Vergangenheit. So hatten wir als bündnisgrüne Delegation die Zeit, rund 20 Mitgliedsparteien der EGP bilateral zu treffen. Das war auch möglich, weil der diesmal vier von sechs Mitgliedern des Bundesvorstands vor Ort waren. Viele unserer Partnerparteien waren sehr froh, dass wir Dabei zeigt sich, dass wir auch in den Ländern, wo wir kleinere grüne Parteien haben, auf lokaler Ebene erfolgreich sein können und bspw. Bürgermeister in Kroatien und anderen Ländern stellen. Besonders intensiv war die Zusammenarbeit mit Frankreich, Österreich und den Niederlanden, was alle drei Partei sehr gewertschätzt haben und was wir weiter intensiv fortsetzen wollen.

Zum Vorstand der EGP gab es eine Nachwahl durch den Rücktritt der baltischen Vertreterin Elena Pinto. Gewählt wurde der litauische Parlamentsabgeordnete Tomas Tomalinas, den auch wir Bündnisgrüne als Vertreter des Baltikums aber auch der Grünen Partei im Osten Europas unterstützt haben. Dabei ging es uns vor allem darum, dass möglichst unterschiedliche Regionen Europas mit ihren Parteien im Vorstand vertreten sind.

Gewählt wurde auch die Wuppertaler Viola Liliane Pollmann als eine Vertreterin der EGP bei den Global Greens. Dieser lockere globale Zusammenschluss grüner Parteien ist gerade bei den internationalen Klima- und Biodiversitätskonferenzen ein wichtiger Ort der Zusammenarbeit. Lili war schon Co-Sprecherin der Global Young Greens (GYG) und wird uns nun sicher gut vertreten!

Sven Giegold, Stv. Bundesvorsitzender

Koordinator für Europa und Internationales

P.S.: Die deutsche Delegation beim EGP-Kongress bestand aus (inkl. Grüne Jugend, Bündnisgrüne im Europaparlament): Felix Banaszak, Pegah Edalatian, Heiko Knopf, Kathleen Wabrowitz, Torben Wöckner, Viviane Triems, Melsa Yildirim, Eka von Kalben, Christian Beck, Anna Cavazzini, Justus Dittmer, Daniel Freund, Thomas Künstler (Danke für Unterstützung bei diesen Text!), Philip Hiersemenzel, Terry Reintke, Elena Wlacil, Emil Streif, Gianna Morgenstern und als Delegationsleiter Sven Giegold

Rubrik: Bündnis90/Die Grünen, Deutsch

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