Soeben (1. Juni) haben sich die Verhandlungsführer*innen des Rats und des Europäischen Parlaments auf einen Kompromisstext für die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung von Großunternehmen geeinigt. Der Gesetzestext sieht vor, dass in Europa operierende Unternehmen mit einem konsolidierten Jahresumsatz von weltweit über 750 Millionen Euro in den letzten beiden aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren relevante steuerliche Informationen nach Ländern offenlegen müssen. Diese Informationen umfassen unter anderem die Nettoumsätze und Gewinne des Unternehmens, die Anzahl der Mitarbeitenden sowie die gezahlten Ertragsteuern und nicht ausgeschütteten Gewinne. Diese Informationen müssen für jeden EU-Mitgliedstaat offengelegt werden. Damit wird transparent, ob Unternehmen Steuern zahlen, die dem Ausmaß ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten in einem Land entsprechen. Die Offenlegungspflicht gilt auch für Steueroasen, die auf der entsprechenden “schwarzen Liste” der EU sind, als auch für Staaten, die mindestens 2 Jahre hintereinander auf der sogenannten “grauen Liste der Steueroasen” stehen. Von dieser Regelung wäre derzeit bspw. die Türkei betroffen.
Wir Grünen im Europaparlament führen seit zehn Jahren eine Kampagne für länderbezogene Steuertransparenz von Großunternehmen. Direkt nach dem Ausbruch der Finanzkrise gelang uns länderbezogene Steuertransparenz weltweit für Banken durchzusetzen, die in Europa Geschäfte machen. Anstoß für den Vorschlag der Kommission im April 2016 waren die Enthüllungen der Panama Papers. Das Europaparlament hat 2017 seine Verhandlungsposition zur öffentlichen länderbezogenen Steuerberichterstattung festgelegt. Im Februar 2021 beschloss der Rat endlich seine Verhandlungsposition für das sogenannten “Trilog”-Verfahren mit dem Parlament und der Kommission. Ende 2019 hatte die finnische Präsidentschaft bereits erfolglos versucht, einen fast identischen Text durch den Rat zu bringen. Die portugiesische Präsidentschaft schaffte den Durchbruch, weil Slowenien und Österreich diesmal zustimmten. Während der deutschen Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember 2020 hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine Abstimmung über die Ratsposition zu öffentlichem Country-by-Country-Reporting wiederholt verhindert. Deutschland enthielt sich bei der Abstimmung im Rat, was im Verfahren des Rates einer Ablehnung gleichkommt. Diese Haltung ist auf eine Blockade der CDU/CSU zurückzuführen. Dieser Erfolg war nur möglich, weil Transparenzfragen anders als der Bereich der Steuerpolitik in der EU im Mehrheitsverfahren und in Mitentscheidung des Europaparlaments entschieden wird.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:
“Die Einigung ist ein Meilenstein für Steuergerechtigkeit in Europa. Länderbezogene Steuertransparenz ist ein scharfes Schwert gegen Steuervermeidung. Wenn große Unternehmen ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Geschäftsland offenlegen müssen, wird Steuerdumping jedes Jahr für alle sichtbar. Damit führt aggressive Steuervermeidung für einzelne Unternehmen zu regelmäßigen Reputationsschäden. Europa wird damit weltweit zum Vorreiter für Steuertransparenz.
Es war ein langer Kampf für das Europäische Parlament, für die Zivilgesellschaft und für mich persönlich. Der Widerstand von Lobbyverbänden und mehrerer Regierungen war groß. Gerade die großen Unternehmensverbände haben gegen die Interessen ihrer kleineren Mitgliedsunternehmen Politik für unfairen Wettbewerb gemacht. Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung nicht Teil der Mehrheit für diesen Fortschritt ist. Die Enthaltung der Bundesregierung ist ein Bärendienst an der Steuergerechtigkeit. Hätte sich die Bundesregierung für die Steuertransparenz eingesetzt, wäre ein noch besserer Kompromiss möglich gewesen. So bleiben trotz des Fortschritts ein paar Wermutstropfen: Unternehmen müssen ihre Steuerzahlungen nur in EU-Ländern und Ländern von der EU-Liste der Steueroasen transparent machen. Steuerdumping beenden wir erst, wenn Unternehmen ihre Steuerzahlungen aus allen Länder veröffentlichen müssen. Dennoch: Europa ist immer Kompromiss und dieser Kompromiss ist einer der guten Sorte. Die innereuropäische Transparenz kann nun eine internationale Dynamik auslösen. Denn nun können sich weitere Länder einer Zone der Steuertransparenz anschließen. Dieser Fortschritt für die Steuergerechtigkeit ist auch der portugiesischen Ratspräsidentschaft zu verdanken.
Ich habe das internationale Tax Justice Network mitgegründet. Fast 20 Jahre mussten wir für öffentliche länderbezogene Steuertransparenz kämpfen. Auch ich hätte mir die weltweite Disaggregierung der Steuerinformationen gewünscht, die wir im Bankenbereich schon erfolgreich durchgesetzt haben. Dieser Kompromiss ist dennoch ein großer Fortschritt, denn ca. 80 Prozent der verlorenen Steuereinnahmen von Großunternehmen in der EU gehen auf europäische Steueroasen zurück. Die heutige Einigung deckt den Großteil der verlorenen Steuereinnahmen in der EU ab. Den Schwellen- und Entwicklungsländern nützt die heutige Vereinbarung dagegen wenig. Das Europaparlament wollte die weltweite Disaggregierung, aber die Mitgliedsländer waren strikt dagegen. Da die Mehrheit im Rat für den Vorschlag so knapp ist, war die Gefahr groß, dass der Vorschlag wie die Finanztransaktionssteuer auf einem ewigen Abstellgleis landet. Es ist in Europa klüger mit einem Kompromiss einen Anfang zu machen, als ewig auf eine vermeintlich ideale Lösung zu warten.
Das Europaparlament hat wichtige Zugeständnisse errungen, die dem Kompromisstext weitere Zähne verleihen. Das heute beschlossene öffentliche Country-by-Country-Reporting wird deutlich zeigen, wo sich die Großunternehmen vor ihrer gesellschaftlichen Verantwortung drücken.
Steuertransparenz nützt der Markteffizienz. Öffentliche Steuerberichterstattung ist ökonomisch sinnvoll, denn damit haben Investorinnen und Investoren die nötigen Informationen, um in nachhaltige Unternehmen zu investieren. Lokal verwurzelte Unternehmen müssen schon jetzt ihre Steuerdaten in ihrem Heimatland offenlegen, während Großkonzerne diese Transparenzpflicht weltweit erfüllen können. Dass diese Informationen Geschäftsgeheimnisse preisgeben können ist ein Scheinargument. Vielmehr drücken sich Großkonzerne vor fairen Unternehmenssteuern und spielen Staaten gegeneinander aus. Wir können uns diese Steuerausfälle sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich einfach nicht mehr leisten.”
Konkrete Fortschritte an der Position des Rates durch die Verhandlungen des Europaparlaments
Der Beschluss zur länderbezogenen Steuertransparenz ist schon an sich ein großer Erfolg des Europaparlaments, das erst die EU-Kommission und den Rat der Mitgliedsländer dahin getrieben hat. Auch auf den letzten Metern im Trilog konnte das Parlament trotz der engen Mehrheit im Rat einige weitere Zugeständnisse abringen:
- Die Offenlegungspflicht gilt für Staaten, die mindestens 2 (Verhandlungsstand vorher war 3 Jahre) auf der “grauen Liste der Steueroasen” der EU stehen.
- Das Parlament konnte die Schutzklausel von 6 auf 5 Jahre begrenzen. Die Schutzklausel ermöglicht es Unternehmen, die Informationen in begründeten Fällen für diesen begrenzten Zeitraum unter Verschluss zu halten, wenn sie ihre Geschäftsgeheimnisse glaubhaft gefährdet sehen.
- Die “Comply-or-explain”-Klausel des Rats wurde de facto gestrichen. Der Rat hatte die Option hinzugefügt, dass Tochtergesellschaften von multinationalen Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der EU sich dafür entscheiden könnten, keine Informationen zu veröffentlichen, wenn der Hauptsitz keine Informationen weitergeben würde. Das wäre ein größeres Schlupfloch als die Schutzklausel gewesen. Das EU-Parlament konnte durchsetzen, dass die europäische Tochtergesellschaft eines multinationalen Unternehmens mit Hauptsitz in einem Nicht-EU-Land alle verfügbaren Informationen veröffentlichen muss. Außerdem wird die Tochtergesellschaft verpflichtet, so viel wie möglich zur Verfügung zu stellen, wenn der Hauptsitz nicht kooperieren will. Dazu gehört auch die Verpflichtung, eine Erklärung zu veröffentlichen, in der darauf hingewiesen wird, dass der Hauptsitz nicht alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt hat.
- Die review clause-Klausel: Nach vier Jahren (vorheriger Verhandlungsstand 5 Jahre) werden der Schwellenwert von 750 Millionen Euro Jahresumsatz, der geografische Geltungsbereich, die Schutzklausel und die Informationen, die Unternehmen offenlegen müssen, auf ihre Wirksamkeit und Angemessenheit hin überprüft. Damit ist der Weg frei für einen weitergehenden Vorschlag der Kommission basierend auf den Ergebnissen der Überprüfung. Und in Europa begannen die meisten Regulierungen klein und entwickelten sich weiter.
- Das Parlament hat gefordert, dass die länderspezifischen Berichte kostenlos, in einer EU-Sprache, gemäß einer gemeinsamen Vorlage und in einem offenen Datenformat verfügbar sein müssen. Der Rat hat all dies akzeptiert. Damit sind die Daten möglichst niederschwellig für Journalist*innen, Forscher*innen und die interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Das wird auch die Arbeit des neu gegründeten EU Tax Observatory erleichtern.
- Die Umsetzungsfrist wurde von 2 Jahren auf 18 Monate verkürzt.
—
Quelle: “About 80% of the profits shifted out of the European Union are shifted to the E.U. tax havens, primarily Ireland, Luxembourg, and the Netherlands, while the profits shifted out of the United States are primarily shifted to the non-E.U. havens.” https://gabriel-zucman.eu/files/TWZ2020.pdf pp. 30-31
—
P.S.: Europe Calling “Too big to jail? Wirtschaftskriminalität effektiv bekämpfen”. Verantwortliche in Führungspositionen von Unternehmen können selbst bei schwerer Wirtschaftskriminalität nur selten individuell zur Verantwortung gezogen werden. Das muss sich ändert. Diskutiert mit unserem hochkarätigen Gästen – Prof. Dr. Kai Bussmann, Manuela Rottmann MdB & Lena Gumnior – Donnerstag, 03.06.2021 – 19:00 – 20:30 Uhr. Gleich hier anmelden!