Sven Giegold

EU-Drehtür-Regeln wirkungslos: Nur 0,62% der Wechsel von EU-Behörden zu Lobby-Organisationen untersagt

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

ein neuer Bericht der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) bringt Licht ins Dunkel der Brüsseler Drehtür-Wechsel und schockiert. Von 366 Anträgen für Wechsel von EU-Beamten von der EU-Kommission in die Privatwirtschaft und 597 Anträgen für eine Beschäftigung im Privatsektor während einer Freistellung in 2019 hat die EU-Kommission insgesamt nur 6 Wechsel oder 0.62% untersagt. Auch wenn viele Wechsel unproblematisch sein mögen: die wenigen Ablehnungen zeigen, dass die EU-Regeln zum Schutz vor Interessenkonflikten kaum umgesetzt werden. Bekannt sind viele problematische Lobby-Wechsel, bei denen wichtiges Wissen aus EU-Institutionen in Lobbyorganisationen abgewandert ist.

So zum Beispiel die Top-Kommissionsbeamtin Aura Salla, die in der Kommission zu Cyber-Sicherheit und Falschinformation gearbeitet hat und 3 Monate nach ihrem Ausscheiden bei der EU-KOmmission im Mai 2020 Chef-Lobbyistin von Facebook wurde. Oder auch Reinald Krüger, ehemals bei der Kommission zuständig für den Telekommunikationsmarkt, seit 2018 freigestellt, um als Lobbyist für Vodafone zu arbeiten. Besonders erschreckend dabei ist: Selbst bei solch brisanten Fällen mit konkreten Interessenkonflikten hat die Kommission nicht die vollen Möglichkeiten der Personalregeln ausgeschöpft. Statt lediglich Auflagen zu verhängen, die ohnehin schwer durchsetzbar sind, erlauben die Regeln auch, Wechsel aufgrund von schwerwiegenden Interessenkonflikten ganz zu untersagen für einen Zeitraum von 2 Jahren.

Diese neuen Erkenntnisse wiegen schwer, denn so fließt wichtiges Insiderwissen in die Privatwirtschaft. Gleichzeitig wird so die Demokratie untergraben und Vertrauen in öffentliche Institutionen zerstört. Bei so viel Insider-Informationen in Lobbyorganisationen fragen sich Bürger*innen zu Recht, wessen Interessen in EU-Institutionen Gehör finden.

Für eine bessere Anwendung der Drehtür-Regeln brauchen wir endlich eine unabhängige EU-Ethikbehörde. Das fordern wir Grüne und einige NGOs schon lange. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine solche Ethik-Behörde zugesagt. Im Europaparlament arbeitet mein grüner Kollege Daniel Freund als Berichterstatter im Verfassungsausschuss (AFCO) an einem Initiativbericht über eine solche Ethikbehörde. Der Berichtsentwurf soll im Dezember oder Januar vorgelegt werden. Sobald das Europaparlament seine Position für die Ethikbehörde festgelegt hat, sollte die EU-Kommission auf dieser Basis zügig einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, um dem unsäglichen Ausverkauf des öffentlichen Interesses durch Drehtür-Wechsel endlich den Riegel vorzuschieben.

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

 

Link zum neuen CEO-Bericht: https://corporateeurope.org/en/2020/10/facebook-friends-lobby-consultants

P.S.: MORGEN: Webinar “Der Weg zu 1,5 Grad”? – Vorstellung und Diskussion der 1,5°C-Studie des Wuppertal Instituts für Fridays For Future. Mit den Studienautor*innen Jenny Kurwan & Prof. Stefan Lechtenböhmer, Anke Herold (Öko-Institut), Michael Bloss MdEP & Oliver Krischer MdB. Moderation: Sven Giegold MdEP. Mittwoch, 28.10.2020, 20:00 Uhr. Gleich hier anmelden!

Rubrik: Brüssel, Demokratie & Lobby

Bitte teilen!