Sven Giegold

EU-Gipfel: Sicherheitsagenda ist keine Antwort auf soziale Probleme

Die Ergebnisse des EU-Gipfels in Bratislava kommentiert Sven Giegold, Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Europäischen Parlament:

 

“Mit der Sicherheitsagenda von Bratislava reagieren die Regierungschefs auf den Rechtspopulismus, aber nicht auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Europas. Europa wird derzeit zu einer Sicherheitsunion, während soziale wie auch wirtschaftliche Aufgaben auf der Strecke bleiben. Zwar ist der gemeinsame Schutz vor Terrorismus eine zentrale Aufgabe unserer Zeit. Aber Europa wird über die Sicherheitspolitik und die Abschottung der Außengrenzen kein positives Gemeinschaftsgefühl entwickeln können. Europas Regierungen bleiben Lösungen für die hohe Arbeitslosigkeit, den Investitionsstau und strukturelle Schwäche ganzer Regionen schuldig. Erst im Dezember sollen einige dieser dringlichen Probleme diskutiert werden. Um Vertrauen zurückzugewinnen, muss Europa nicht nur Sicherheitsunion sondern auch Investitionsunion werden – notfalls in der Zusammenarbeit eines Teils der Mitgliedsländer.

Doch der Gipfel hatte auch seine guten Seiten: Es ist ermutigend, dass sich alle 27 Regierungschefs dazu bekannt haben, dass die Probleme Europas nur gemeinsam gelöst werden können. Mit der Sicherheitsunion wurde aus einer europäischen Krise wieder ein gemeinsames Projekt entwickelt, das allerdings friedenspolitisch und menschenrechtlich ausgestaltet werden muss. Ein weiterer Zerfall der Union nach dem Brexit scheint nun unwahrscheinlicher, aber um den Preis einer einseitigen und bescheidenen Agenda. Aus dieser historischen Krise findet Europa nur mit gemeinsamen Antworten, die sich wieder an unseren Grundwerten orientieren. Es ist fatal, dass Menschenrechte, Klimaschutz, Demokratie und soziale Rechte in der Erklärung nicht auftauchen. Vage Ankündigungen zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sind zu wenig für die Zukunft der Union.

Der Gipfel war eine Demonstration der realen Machtverhältnisse. Anders als in den Europäischen Verträgen vorgesehen, hatten die Staatschefs der Mitgliedsländer allein die Initiative in der Hand. Das Initiativrecht der EU-Kommission war trotz Junckers Rede zur Lage der Union faktisch irrelevant. Das Zentrum der Verhandlungen lag in Berlin und nicht in Brüssel. Es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin viel Zeit auf die Vorbereitung des Bratislava-Gipfels verwendet hat. Aber die deutsche Dominanz im Verhandlungsergebnis ist langfristig Gift für den Zusammenhalt der Union. Die Erklärung der Staatschefs der südlichen Mitgliedsstaaten mit ihren Forderungen nach mehr gemeinsamen Investitionen wurde ignoriert. Deutschland hat fraglos eine besondere Verantwortung für die Weiterentwicklung der EU. Wer am Steuerruder steht, muss die eigenen kurzfristigen Interessen zurückstellen und im Interesse der europäischen Idee insgesamt für Alle handeln. Daher ist fatal, dass bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion nichts voran geht und die deutsche Bundesregierung zur Blockade beiträgt. Die Investitionsschwäche trotz Niedrigzinsen zeigt, dass die Stabilität des Euros durch die Arbeitsverweigerung der Eurostaaten gefährdet ist.

Eine starke EU braucht jedoch auch eine starke EU-Kommission und ein starkes Europaparlament. Die Zustimmung zu Europa hängt nicht nur an politischen Ergebnissen der europäischen Zusammenarbeit. Wir müssen auch die Demokratie über Bürgerbeteiligung, Transparenz und europäische Öffentlichkeit stärken. Europa gehört nicht nur den Hinterzimmern des Rates. Als ersten Schritt sollte das Sekretariat des Rates transparent machen, welches Mitgliedsland und welche Interessensgruppen welche Forderungen auf dem Weg nach Bratislava vertreten haben. Juncker darf sich auch jetzt von den Regierungschefs nicht abhängig machen, sondern muss Europa durch Gesetzesinitiativen auch in Zukunft voranbringen.”

Die Abschlusserklärung des Bratislava-Gipfels finden Sie hier: http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2016/09/pdf/160916-Bratislava-declaration-and-roadmap_en16_pdf/

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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