Die Verhandlungen über den EU-Haushalt für die Jahre 2014 bis 2020 haben den Punkt der Entscheidung erreicht. Gestern hat der Rat dem Europaparlament seinen abschließenden Vorschlag unterbreitet. Das Volumen des EU-Haushalts beträgt rund 1% der jährlichen europäischen Wirtschaftsleistung. Die Mitgliedstaaten – darunter vor allem Deutschland und Großbritannien – konnten in den aktuellen Verhandlungen Kürzungen durchsetzen. Daher ist zum ersten Mal in der Geschichte der EU die Summe des zukünftigen Haushalts niedriger als das momentane Finanzvolumen. Nächste Woche werden die Unterhändler des Europaparlaments und dann die Abgeordneten und ihre Fraktionen entscheiden, ob sie den Vorschlag der Mitgliedsstaaten annehmen.
Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament kommentiert den Stand der Verhandlungen:
„Beim neuen EU-Haushalt haben vor allem Besitzstandswahrer und nationale Eigeninteressen deutliche Spuren hinterlassen. Damit bleibt die Chance ungenutzt, mit Hilfe des EU-Haushalts einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Überwindung der Eurozonen-Krise zu machen.
Die Mitgliedstaaten haben unter Führung von Deutschland und Großbritannien den Großteil ihrer politischen Energie darauf verwendet, eine Kürzung des Haushalts durchzusetzen. Auch der Vorschlag des Europaparlaments die Mitgliedsländer durch die Erhebung eigener Steuern und Abgaben mit sozial-ökologischer Lenkungswirkung zu erheben, wurde von der Bundesregierung abgeschmettert.
Damit hat die Bundesregierung den krisengebeutelten Mitgliedstaaten die Solidarität verweigert. Währenddessen profitiert Deutschland seit Krisenausbruch dreifach von den panischen Kapitalabzügen aus der Peripherie: Die Kosten von Krediten für Unternehmen sind historisch niedrig. Die Refinanzierungskosten für unsere Staatsschulden entlasten die öffentlichen Haushalte. Und der relativ schwache Euro stärkt vor allem die deutsche Exportwirtschaft.
Die Mär des vermeintlich stabilen Bankensektor und der „boomenden“ Wirtschaft ist hier größtenteils Augenwischerei! Die Merkel-Regierung hat bisher kaum Strukturreformen umgesetzt, um die deutsche Wirtschaft wirklich nach vorne zu bringen. Deshalb ist Deutschland aus wirtschaftlicher Sicht lediglich relativ betrachtet attraktiver geworden. Krise und Instabilität der Märkte in Südeuropa haben Deutschland zum Einäugigen unter Blinden gemacht. Panische Fluchtreaktionen und die Suche der Investoren nach sicheren Häfen sind die Triebfeder für Deutschlands günstige Finanzierungssituation. Allein in den letzten beiden Jahren konnten die öffentlichen Haushalte der Bundesrepublik von stark gesunkenen Zinsenausgaben von rund 23 Milliarden Euro profitieren.
Es ist beschämend, dass die Merkel-Regierung nicht bereit ist, zumindest einen Teil dieser ohne eigenen Einsatz erhaltenen Profite zum Ankurbeln der Wirtschaft in den Krisenländern zu nutzen. Im Zuge der Eurozonen-Krise ist Deutschland bei der Stabilisierung der Krisenländer zwar hohe finanzielle Risiken eingegangen, vor allem versteckt in der Bilanz der EZB. Damit haben wir unsere Banken und Finanzinvestoren vor Verlusten bewahrt und so unsere Währung vor dem Kollaps bewahrt. Den Menschen in den Krisenländern wurde bislang aber nicht ernsthaft geholfen. Im Gegensatz dazu ermöglicht der EU-Haushalt gezielte Investitionen in Krisenländern und in gemeinsame Zukunftsinvestitionen, die den Menschen zu Gute kommen und die dramatische Arbeitslosigkeit bekämpfen. Für die wahltaktisch getriebene Verweigerung von Solidarität und Zukunftsorientierung werden wir in Europa und besonders als Deutsche teuer bezahlen. Unsere Zukunft liegt in Europa und Europa wird nur weiter zusammenwachsen, wenn es zusammensteht und gemeinsam profitiert.
Auch die Prioritäten des neuen EU-Haushalts sind überholungsbedürftig. Eine Stärkung der Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Bildung wären eine gute Basis für ein nachhaltiges europäisches Wachstumsmodell und den Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Anstatt diese Chance zu nutzen, wurde hier der Rotstift angesetzt. Beim Agrarbudget und dem Milliardengrab Atomfusionsreaktor ITER blieb jedoch im Kern alles beim Alten. Wenn in Spanien Hunderttausende auf die Straßen gehen, weiß man das gekonnt zu ignorieren. Wenn die Agrarkonzerne einmal laut grunzen, wird man schwach.“