Sven Giegold

EU-Klimagesetz: Mitgliedstaaten bremsen Ambition, rechnen Klimaziel mit Tricks schön

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Interessierte,

leider begann der heutige Mittwoch, 21 April 2021, mit sehr ernüchternden Nachrichten. Nach 15 Stunden intensiver Verhandlungen zwischen dem Europaparlament, den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission steht das erste europäische Klimagesetz. Doch was ein Meilenstein für den Klimaschutz hätte sein sollen, entpuppt sich als Mogelpackung. Die starke Verhandlungsposition des Europaparlaments, für die auch wir Grüne – und ganz besonders mein Kollege Micha Bloss – gestritten hatten, wurde leider an entscheidenden Stellen durch die Mitgliedstaaten stark verwässert. Angefangen bei den Klimazielen für 2030 und 2050, über fossile Subventionen und das Treibhausgas-Budget bis zum Recht auf Klimaschutz – überall weniger Ambition. Ein schockierendes Ergebnis, das leider lange nicht  für das 1,5 Grad-Ziel reicht. Für dieses Resultat, das den Europäischen Green Deal in seinem Kern aushöhlt, ist ganz entscheidend die deutsche Bundesregierung verantwortlich. Die Große Koalition hatte die klimaschädliche Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten während ihrer EU-Ratspräsidentschaft in 2020 ausgehandelt.

Das Klima-Versprechen der EU ist nun in großer Gefahr! Doch wir wollen die Green Deal retten. Gemeinsam mit Micha Bloss fordern wir die EU Kommission, die Bundesregierung und die EU-Staaten auf, ihre Verantwortung für den Planeten und die junge Generation endlich ernst zu nehmen. Unterschreibt deshalb jetzt unsere Petition “Rettet den Europäischen Green Deal!“ und teilt sie breit mit Euren Kontakten.

2030 Klimaziel mit Rechentrick

Offiziell wurde heute morgen ein EU-Klimaziel von 55 Prozent CO2-Minderung bis 2030 beschlossen. Dieses Ziel wird jedoch mit einem Rechentrick schöngerechnet. Denn es ist ein “netto”-Ziel, bei dem erstmals auch CO2-Senken, z.B. Wälder, in die Berechnung einfließen werden. Damit erreichen wir faktisch nur 52,8 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990. Das bisherige Ziel der EU liegt bei -40%. Zudem ist die Berechnung der CO2-Speicherung durch mehr Wälder auf jede Menge zu optimistische Annahmen gestützt. Der Klimawandel verursacht schon heute mehr Waldbrände, Dürreperioden und Schädlingsbefall – es ist also völlig ungeklärt, wo diese CO2-Senken entstehen sollen und wie sicher der Kohlenstoff in ihnen gespeichert wird. Das Parlament kämpfte für ein ambitioniertes Ziel von -60% bis 2030, das dem europäischen Treibhausgas-Budget passend zum 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens näher kommt (auch wenn wir Grüne entsprechend der Empfehlungen der Klima-Wissenschaft mit -65% noch mehr wollten). Am Ende beugte sich das Parlament jedoch der unter der deutschen Präsidentschaft ausgehandelten Position der Mitgliedstaaten. Die Christdemokraten waren von Anfang an gegen stärkere Klimaschutzambitionen. Die Koalition im Europaparlament Pro-Klimaambition aus Sozialdemokrat*innen, Liberalen, Grünen und Linken fiel dann jedoch in den letzten Tagen in sich zusammen. Insbesondere der liberale Vorsitzende des EU-Umweltausschusses, Pascal Canfin, schwenkte auf die Position der Mitgliedstaaten um. Die sozialdemokratische Verhandlungsführerin für das Parlament feiert heute gar ein netto-Ziel von 57%, denn sie berechnet weitere – absolut hypothetische Senken – mit ein. Auch die EU-Kommission war keine Hilfe für das Parlament: sie unterstützte das Netto-Ziel für 2030.

In einem Moment, wo die USA mit einem starken Ziel in den Kampf gegen den Klimawandel zurückkehren, schraubt die EU ihre Ambitionen herunter.

Weitere Details des EU-Klimagesetzes:

  • Klimaneutralität für alle EU Mitgliedsstaaten in 2050: Es gibt – wie vom Rat unter deutscher Präsidentschaft gefordert – nur ein EU-weites Ziel für Klimaneutralität. Das EU-Parlament wollte, dass nicht nur die EU als ganzes, sondern auch jeder einzelne Mitgliedstaat bis 2050 klimaneutral sein soll. Diese Forderung konnten wir nicht durchsetzen.
  • Ende aller fossilen Subventionen: Es gibt weiter kein rechtlich bindendes Ziel für das Ende aller fossilen Subventionen, wie es das Europaparlament gefordert hatte. Die EU-Kommission wird jedoch nun die Definition fossiler Subventionen konkretisieren. Dies könnte die Grundlage für weitere Schritte sein.
  • EU Treibhausgas-Budget: Die Forderung des Europaparlaments nach einem Treibhausgas-Budget wird umgesetzt für die Jahre 2030-2050. Auf dieser Basis soll ein neues Emissionsreduktionsziel für 2040 festgelegt werden.
  • Europäischer wissenschaftlicher Klimarat: Das Europaparlament konnte durchsetzen, dass ein wissenschaftlicher Klimarat eingerichtet wird. 15 Wissenschaftler*innen sollen in Zukunft EU-Ziele bewerten und und Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele vorschlagen.
  • Das Recht auf Klimaschutz konnte vom Europaparlament nicht gegen den WIderstand der Mitgliedstaaten durchgesetzt werden.

Es ist noch nicht vorbei – Rettet den Europäischen Green Deal!

Wir Grüne werden uns weiter vehement für das Pariser Klimaabkommen einsetzen. Die Folgen des Klimawandels sind schon jetzt so dramatisch, dass wir entschieden umsteuern müssen. Wer das nicht versteht, gefährdet in Europa Arbeitsplätze und ganze Lebensgrundlagen hier und vor allem in anderen Teilen der Welt. Starke und verbindliche Klimaziele Europas sind die Basis für zukunftsfähige Investitionen der europäischen Wirtschaft und damit der Garant für langfristige Jobs und wirtschaftliche Stärke.

Um den Green Deal zu retten, braucht es nun mehr denn je den Schulterschluss und die Kraft der Zivilgesellschaft. Gerade jetzt muss der Druck auf die Bundesregierung, die weiteren Mitgliedstaaten und die EU-Kommission aufrechterhalten werden, innerhalb und außerhalb der Parlamente.

Denn es ist noch nicht vorbei: Wir geben nicht auf! Im Sommer wird das größte Klimagesetzespaket vorgestellt, das es je in der EU gab. Dann werden die Klimaregeln für Autos, Energieeffizienz von Gebäuden und der entscheidende CO2-Preis festgelegt. Dieses Paket muss Europa auf den 1,5 Grad-Pfad bringen. Hier entscheidet sich der Europäische Green Deal in der Umsetzung und hier werden wir kämpfen. Unterschreibt deshalb unsere Petition “Rettet den Europäischen Green Deal!“. Ich werde gemeinsam mit Micha Bloss und allen Grünen im Europaparlament mit aller Kraft für ambitionierten Klimaschutz einstehen – und hoffe dabei auf Ihre und Eure Unterstützung.

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

Rubrik: Klima & Umwelt, Wirtschaft & Währung

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