Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
es ist wirklich kaum auszuhalten: In Zeiten leerer Kassen durch die Corona-Krise lassen sich die Mitgliedstaaten Milliarden durch die Lappen gehen, weil sie nicht konsequent europäisch zusammenarbeiten. Denn noch immer ist es viel zu einfach, Einkommen und Vermögenswerte vor den Steuerbehörden in Europa zu verstecken.
Seit einem Jahr haben sich mein Team und ich in die Gründe und Abgründe der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Steuerbehörden in Europa eingegraben. Denn die Weiterentwicklung des europäischen Steuerrechts ist wichtig, doch der Vollzug ist entscheidend. Als Berichterstatter für gleich drei Berichte des Europaparlaments in diesem Themenbereich habe ich kürzlich meinen Umsetzungsbericht zur Zusammenarbeit der Steuerbehörden in Europa (“Richtlinie über die Verwaltungszusammenarbeit der Steuerbehörden”) veröffentlicht. Während die Schattenberichterstatter*innen ihre Änderungsanträge vorbereiten, möchte ich Ihnen und Euch die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchungen gerne vorstellen!
Die europäische Richtlinie über “die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung” (kurz DAC) gibt es bereits seit 2011. Diese Richtlinie hat den Grundstein dafür gelegt, dass sich die Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von Steuervermeidung, Steuerflucht und Steuerbetrug gegenseitig tatsächlich unterstützen. Sie wurde bereits sechs mal erweitert – und die Kommission arbeitet bereits an einem Vorschlag für die achte Version der Richtlinie. Bisher hat das Europäische Parlament jedoch nie die Effektivität dieser Richtlinien bewertet. Umso wichtiger nun Bilanz zu ziehen: Wie gut ist die Richtlinie und ihre ersten drei Erweiterungen umgesetzt worden? Wie gut klappt die Zusammenarbeit der Steuerbehörden in der Praxis? Und wo sieht das Parlament Veränderungsbedarf? Mein Berichtsentwurf bildet die Grundlage für den ersten Umsetzungsbericht des Europäischen Parlaments im Bereich Wirtschaft und Währung überhaupt. Die Arbeiten liefen in guter Zusammenarbeit mit den Schattenberichterstatter*innen aller anderen Fraktionen. Das ist ein wichtiger erster Schritt dahin, dass das Europäische Parlament seine politische Kontrollfunktion auch im Bereich der Steuerzusammenarbeit ausüben kann. Wie dringend notwendig diese Aufsicht ist, ist bei unseren Nachforschungen gleich in mehrfacher Hinsicht offensichtlich geworden.
Was haben wir herausgefunden?
Bevor wir überhaupt angefangen haben, wurde unsere Arbeit bereits sabotiert: Die Mitgliedstaaten (mit der löblichen Ausnahme von Schweden und Finnland!) haben sich geweigert, dem Parlament Zugang zu den entscheidenden Informationen über die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedsländern zu gewähren. Die EU-Kommission hat das EU-Recht parlamentsunfreundlich ausgelegt und den Zugang zu diesen ihnen vorliegenden Informationen ebenso verweigert. Und das, obwohl das Europaparlament laut den europäischen Verträgen das Recht und die Verantwortung hat, die Kommission in ihrer Arbeit zu kontrollieren. Aufgrund fehlender Informationen konnten wir daher keine wirklich vollumfängliche Untersuchung durchführen und können das Ausmaß und den Nutzen der ausgetauschten Steuerinformationen nur erahnen. Aber es spricht Bände, wenn die Mitgliedstaaten sich nicht in die Karten schauen lassen wollen: Aus den wenigen Informationen, öffentlichen Studien, einem Bericht des EU-Rechnungshofes sowie einer Studie im Auftrag des wissenschaftlichen Dienstes des Europaparlaments sowie verschiedener Hinweisgeber*innen wurde folgendes deutlich:
- Anders als vor 15 Jahren werden heute steuerrelevante Daten zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht. So fließen etwa Daten über Einkünfte und Vermögen auf einfach strukturierten Bankkonten und Depots automatisch zwischen den Mitgliedstaaten. Diese Fortschritte wurden zwar in europäisches Recht gegossen, aber vor allem Dank des Drucks der USA, der G20 und der OECD sowie nach Skandalen wie LuxLeaks und PanamaPapers erreicht. Zudem müssen die Mitgliedstaaten nur solche Daten international austauschen, die für ihre eigenen Behörden einfach zugänglich sein. Es besteht keine Verpflichtung, weitere Daten zugänglich zu machen, um sie mit den Nachbarn teilen zu können. Die Richtlinie und ihre sechs Erweiterungen decken bisher folgende steuerrelevanten Informationen ab, wenn auch mit Schlupflöchern: Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Direktor*innenhonorare, Renteneinkünfte, Lebensversicherungsprodukte, und unbewegliches Vermögen (DAC 1); Finanzkonten und damit verbundene Einnahmen (DAC 2); Steuervorbescheide und Preisvorabsprachen, die steuerliche Begünstigungen mit sich bringen (DAC 3); nicht-öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung von Großunternehmen (DAC 4); Zugang der Steuerbehörden zu Informationen über wirtschaftliches Eigentum, wie sie im Rahmen der Anti-Geldwäsche-Vorschriften erhoben werden (DAC 5); grenzüberschreitende Vereinbarungen zu Steuerplanungszwecken (z. B. Erwerb eines verlustbringenden Unternehmens oder Operationen, die eine Umklassifizierung von Einkommen in eine Kategorie ermöglichen, die mit einem niedrigeren Steuersatz besteuert wird) und verpflichtende Offenlegungsregeln für Vermittler*innen (Anwälte, Berater*innen und Wirtschaftsprüfer*innen sowie Banken, Treuhänder, Versicherungsgesellschaften, Finanzberater*innen und andere Dienstleister*innen) (DAC 6); Einnahmen, die von Verkäufer*innen auf digitalen Plattformen generiert werden (DAC 7).
- Es werden immer noch zu wenige Informationen über bestimmte Arten von Einkommen und Vermögen ausgetauscht. Nur wenn alle steuerrelevanten Informationen automatisch über die Grenzen hinweg ausgetauscht werden, können die Mitgliedstaaten alle Einkommen und Vermögen, die ihre Bürger*innen grenzüberschreitend verdienen oder besitzen, gleichermaßen besteuern. Die bestehenden Richtlinien haben uns diesem Ziel näher gebracht. Aber insbesondere Immobilien, Treuhandgesellschaften, Anteile an Unternehmen unterhalb der 25%+ – Besitzgrenze, bestimmte Formen von Kapitalerträgen und Krypto-Werte sind bisher noch nicht Teil des automatischen Informationsaustauschs. Auch nicht-finanzielle Vermögenswerte wie Bargeld, Kunst, Gold oder andere Wertgegenstände, die in Freihäfen, Zolllagern oder Schließfächern aufbewahrt werden, sowie der Besitz von Yachten und Privatjets müssen bisher nicht grenzüberschreitend gemeldet werden.
- Die ausgetauschten Informationen werden zu wenig genutzt. Es nützt wenig, wenn immer mehr Informationen ausgetauscht werden, der Nutzen dieser übersandten Daten aber nicht ausgeschöpft wird. Unsere Untersuchungen legen den Mangel an ausgebildetem Personal und effektiver IT-Infrastruktur offen. Es fehlt außerdem an den nötigen Daten, um das Ausmaß der fehlenden Kapazitäten einschätzen zu können. Welche empfangenen Informationen wurden genutzt, welche nicht? Aus welchem Grund? Die Effektivität des Datenaustauschs für die Steuererhebung ist strukturell unüberprüfbar. Hier gibt es viel Nachbesserungsbedarf.
- Die Qualität der Informationen wird zu wenig kontrolliert. Bisher überprüfen nur wenige Mitgliedstaaten die Qualität der Daten, die sie austauschen. Diese Tatsache erhöht das Risiko erheblich, dass die gemeldeten Daten unvollständig oder ungenau sind. Fehlende Qualitätskontrollen sind umso bedenklicher angesichts der Tatsache, dass nur wenige Mitgliedstaaten die Informationen, die sie selbst von Finanzinstituten übermittelt bekommen haben, auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass nicht allen Marktteilnehmer*innen im Finanzbereich bei der Einhaltung von Vorschriften zu trauen ist, selbst wenn andere sich mit großem Engagement und Aufwand reinhängen.
- Bestehende europäische Regeln sind nur unzureichend umgesetzt worden. Die Effektivität und Vollständigkeit des Austausches von Steuerdaten hängt an der Korrektheit der Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten, die im Rahmen der Anti-Geldwäsche-Regeln erhoben werden. Doch gerade da hakt es. Die fehlerhafte Umsetzung und das Fehlen einer effektiven Durchsetzung der Anti-Geldwäsche-Richtlinien und die verbleibenden Schwächen im Anti-Geldwäsche-Rahmenwerk untergraben die Wirksamkeit des steuerlichen Informationsaustausches, Derzeit laufen 11 Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten zur fehlerhaften Umsetzung der vierten Anti-Geldwäsche-Richtlinie sowie 16 (!) Vertragsverletzungsverfahren anlässlich der fehlerhaften Umsetzung der fünften Richtlinie gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Und das ist leider nur die Spitze des Eisbergs, denn viele eklatante Mängel werden von der Kommission weiterhin geduldet. So hat Deutschland beispielsweise ein wesentlich schlechteres Transparenzregister als Luxemburg, weshalb ein #OpenDeutschland analog der #OpenLux Enthüllungen wohl kaum möglich wäre. Diese Versäumnisse haben unmittelbare Auswirkungen auf die Effektivität der Steuerkooperation. Auch sind die Daten in den Transparenzregistern oft veraltet und unvollständig.
- Auch die Umsetzung internationaler Standards ist nicht zufriedenstellend. International führen sowohl das “Global Forum” für Steuerkooperation der OECD als auch die “Financial Action Task Force” (kurz: FATF) Überprüfungen durch. Zwischen 2010 und heute hat die FATF 18 Mitgliedstaaten daraufhin überprüft, wie effektiv sie gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorgehen. Das Ergebnis: Keines (!) der 18 Mitgliedsländer hat bei allen wichtigen Indikatoren zufriedenstellend abgeschnitten. Ein ähnliches Bild zeichnet die OECD: 10 Mitgliedstaaten haben die internationalen Standards zum automatischen Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden nicht vollständig umgesetzt. Mängel in der Umsetzung beim Informationsaustausch auf ausdrückliches Ersuchen eines Partnerlandes wurden bei insgesamt 18 europäischen Mitgliedstaaten festgestellt. Das ist ein Armutszeugnis. Trotzdem hat die EU-Kommission wegen dieser Missstände keine Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
- Unterschiedliche Standards führen zu vermeidbarer Bürokratie. Die verpflichteten Finanzinstitute müssen neben dem EU- und OECD-Standard auch noch abweichende Regeln der USA (“FATCA”) einhalten. Dies führt zu unnötiger Bürokratie. Ebenso machen diverse Schwellenwerte die Erfassung der Daten nicht wirklich einfacher.
Was schlagen wir vor?
Alle steuerrelevanten Informationen müssen konsequent ausgetauscht werden. Damit das gelingt, braucht es mehrere Verbesserungen:
- Bisher sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, alle Arten von Einkommen und Vermögen, die schon jetzt von der Richtlinie erfasst werden, auszutauschen. Das heißt, obwohl sechs Einkommens- und Vermögenskategorien von der Richtlinie erfasst werden (z.B. Einkommen aus Arbeit und Rentenbezüge), haben neun Mitgliedstaaten im Jahr 2017 nur über drei der sechs Kategorien Informationen weitergegeben. Das muss sich ändern.
- Des weiteren muss die Richtlinie auf die oben genannten Vermögenswerte (Yachten, Krypto, etc.) erweitert werden, wieder verbunden mit der Verpflichtung, diese auch konsequent auszutauschen. Das gilt vor allem für den automatischen Zugang zu Informationen, wenn EU-Bürger*innen Immobilien- und Firmenanteile erwerben.
- Um den Austausch von qualitativ hochwertigen Informationen zu gewährleisten, müssen sich die Mitgliedstaaten verpflichten, aktiv Informationen bereitzustellen. Das heißt, die Mitgliedstaaten müssen an der Qualität und Verfügbarkeit von Daten arbeiten und können sich nicht nur auf bereits vorhandene Daten verlassen. Die EU-Kommission muss mit Vor-Ort-Besuchen prüfend tätig werden. Die zum Informationsaustausch verpflichteten Akteure brauchen einfachen Zugang zu einem EU-Verifizierungssystem für die Steueridentifikationsnummern (TIN).
- Damit die ausgetauschten Informationen auch wirklich den tatsächlichen Eigentümern zugeordnet werden können, braucht es außerdem eine konsequente Erfassung der wirtschaftlich Berechtigten. Bisher werden viel zu oft nur die rechtlichen Eigentümer erfasst, was auch ein Anwalt sein kann, der im Auftrag einer vermögenden Familie einen Fonds verwaltet. Das greift aber zu kurz, denn das Fondsvermögen muss der Familie zugeordnet werden – sie sind die wirtschaftlich Berechtigten, die über das Vermögen und die Gewinne verfügen können.
- An diesem Beispiel lässt sich auch erklären, warum auch Unternehmensanteile unter der 25%+-Grenze gemeldet werden müssen: unter den derzeitigen Regeln können vier oder mehr Familienmitglieder ein Unternehmen besitzen, ohne, dass diese steuerlich hoch-relevante Information erfasst, geschweige denn ausgetauscht wird.
- In diesem Zusammenhang muss auch überprüft werden, ob die Berichtspflichten für Finanzinstitute und andere Vermögensverwalter erweitert werden sollten. Ähnliches gilt für die Offenlegung von steuerlichen Begünstigungen für einzelne Unternehmen, sogenannte “tax rulings”, für deren Austausch es immer noch Lücken gibt..
- Die ausgetauschten Daten dürfen nicht einmal für alle Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Die EU-Staaten, aus denen die Daten übersandt wurden, müssen die Verwendung etwa zur Bekämpfung von Geldwäsche und organisierter Kriminalität ausdrücklich im Einzelfall genehmigen.
Um verlorene Steuereinnahmen in Milliardenhöhe eintreiben zu können, müssen die Mitgliedstaaten ihre Kapazitäten ausbauen. Untersuchungen des Europäischen Rechnungshofs belegen die Bedeutung von hoch entwickelten IT-Systemen, die große Datenmengen effektiv verarbeiten können und automatisierte Aufgaben übernehmen. Beim Ausbau der Kapazitäten in den Mitgliedstaaten steht die Europäische Union schon jetzt unterstützend zur Seite. Diese Unterstützung sollte ausgebaut werden und durch ein europäisches Monitoring-System ergänzt werden. Dieses System soll den Umfang der ausgetauschten Informationen pro Vermögens- und Einkommensart erfassen, sowie die hinzugewonnen Steuereinnahmen aufzeichnen. Das bedeutet aber auch, dass die Mitgliedstaaten viel transparenter machen müssen, welche Informationen sie wie und mit welchem Ergebnis nutzen. Der Weg der Steuerinformationen muss nachvollziehbar sein. Hier schlagen wir vor, dass jeder Datensatz mit einem Fähnchen des Landes versehen wird, das die Informationen bereitgestellt hat. Damit der Nutzen dieser europäischen Nachbarschaftshilfe endlich nachvollziehbar und messbar wird.
Die Mitgliedstaaten müssen die Informationen der Finanzinstitute konsequent überprüfen und Falschinformationen ahnden. Dahingehend braucht es einen einheitlichen Maßnahmenkatalog, um die Sanktionen in der EU zu vereinheitlichen. Die Arbeit der Finanzinstitute und der staatlichen Kontrolleur*innen kann durch einen europaweiten Überprüfungsmechanismus für Steueridentifikationsnummern erleichtert werden. Wenn die Bank sofort die Steuernummer einer Person überprüfen kann, dann wird Falschinformationen ein Riegel vorgeschoben.
Mitgliedstaaten müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie im Rahmen des steuerlichen Informationsaustausches gewonnene Informationen auch für andere Zwecke der Strafverfolgung verwenden wollen. Bekämpfung von Kriminalität braucht keinen grenzüberschreitenden Genehmigungsvorbehalt zwischen EU-Staaten.
Die korrekte und umfassende Umsetzung bestehender Steuer- und Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung ist Voraussetzung für eine sinnvolle Erweiterung der Kooperation zwischen Steuerbehörden. Es ist Aufgabe der Europäischen Kommission, die Umsetzung und korrekte Anwendung von EU-Recht zu überprüfen und entsprechend zu ahnden. Diese Aufgabe sollte die Kommission konsequent erfüllen und weitere Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Außerdem sollte die Kommission jedes Jahr die Verwaltungszusammenarbeit der Steuerbehörden analysieren und ihre Ergebnisse veröffentlichen. Dann muss das Europäische Parlament nicht mehr auf Informationen internationaler Organisationen zurückgreifen, um mehr über die Umsetzungsmängel in den europäischen Mitgliedstaaten zu erfahren. Die Mitgliedstaaten dürfen sich nicht länger hinter einer Mauer fehlender Informationen verschanzen. Die europäischen Steuerzahler*innen und ihre Vertreter*innen im Europaparlament haben ein Recht darauf zu erfahren, wie gut die Steuerbehörden arbeiten und Verbesserungen einzufordern.
Standards vereinheitlichen, Schwellenwerte und Ausnahmen abschaffen. Um den bürokratischen Aufwand zu senken, sollte die EU im Rahmen der OECD versuchen, die amerikanischen FATCA-Regeln mit den EU- und OECD-Standards (“CRS”) zu vereinheitlichen und Schlupflöcher und Lücken zu schließen. In Europa sollten wir alle Schwellenwerte und Ausnahmen streichen. Einfache und umfassende Regeln sind einfacher und effektiver als ein System voller Lücken. Die Steuerbehörden können im digitalen Zeitalter selbst filtern, welche Daten für sie interessant sind.
Vertragsverletzungsverfahren sofort einleiten. Der EU-Kommission liegen aus drei Quellen genaue Informationen über die unzureichende Umsetzung von EU-Recht im Bereich der Steuerkooperation vor. Das Global Forum der OECD hat ebenso Mängel dokumentiert wie die FATF. Darüber hinaus haben die Mitgliedsstaaten direkt an die EU-Kommission berichtet. Nun muss die EU-Kommission ihren Auftrag als Hüterin der Verträge einlösen und Vertragsverletzungsverfahren einleiten.
Demokratische Konsequenzen: Dokumentenzugang! Das Europaparlament darf die Entscheidung zur Verweigerung des Dokumentenzugangs keineswegs auf sich sitzen lassen. Ich werde darauf dringen, dass alle Rechtsmittel durch das Parlament ausgeschöpft werden, um die EU-Kommission zu zwingen, uns die Dokumente zu geben. Notfalls durch den Europäischen Gerichtshof. Erst mit diesen Dokumenten über die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedsstaaten kann ein ordentlicher Umsetzungsbericht erstellt werden!
Mehrheitsentscheidungen in Steuerfragen. Sieben Reformen an einer Richtlinie, die erst 10 Jahre alt ist, sind zu viel der Bürokratie. Da Steuerfragen in der EU einstimmig im Rat der Mitgliedsländer ohne Mitentscheidung des Europaparlaments entschieden werden, ist der Fortschritt bei der Zusammenarbeit in Steuerfragen eine Schnecke. Daher müssen wir als Europaparlament im Rahmen der nun beginnenden Konferenz zur Zukunft Europas darauf dringen, dass Entscheidungen im Steuerbereich im Mehrheitsverfahren samt Parlamentsbeteiligung entschieden werden. Der langsame Fortschritt schafft nur Steuerverluste und vermeidbare Bürokratie.
Mein Fazit.
Noch immer werden viele Informationen über Einkommen und Vermögenswerte nicht systematisch grenzüberschreitend geteilt und noch weniger werden die geteilten Informationen tatsächlich genutzt. Das staatliche Versagen, Steuereinnahmen insbesondere von den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung einzutreiben, vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich weiter. Diese anhaltende Steuerungerechtigkeit untergräbt nicht nur das Vertrauen in unsere Demokratie. Sie ist schlicht nicht mehr haltbar angesichts leerer Kassen in der Corona-Krise und gleichzeitig nötiger öffentlicher Investitionen für eine zukunftsfähige Wirtschaft und Infrastruktur. Deshalb fordere ich die Kommission auf: Nutzen Sie die jetzt ohnehin geplante achte Überarbeitung der Richtlinie für einen großen Wurf! Trippelschritte reichen nicht, um den Steuerbetrüger*innen das Handwerk zu legen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Kommission die Untersuchungsergebnisse des Parlaments entsprechend berücksichtigt.
Und an die Adresse der Mitgliedstaaten kann ich nur dem Appell des Europaparlaments vom 10. März wiederholen: Geben Sie sich endlich selbst die Mittel in die Hand, um nicht gezahlte Steuern einzutreiben! Das Europaparlament präsentiert Ihnen den Weg hin zu mehr Steuereinnahmen auf dem Silbertablett – und das ganz ohne Steuererhöhungen. Bei der Parlamentsabstimmung im März haben sich die pro-europäischen Parteien mit einer großen Mehrheit für eine konsequente Erweiterung der Richtlinie, effektive Sanktionen und eine systematische Überprüfung ihrer Umsetzung ausgesprochen. Jetzt ist die Zeit, die Steuerzusammenarbeit auf ein neues Level zu heben.
Bitte um Mithilfe
Unten finden Sie meinen gesamten Bericht samt meiner eigenen Änderungsanträge, die ich erst später nachreichen kann. An Expert*innen, Insider*innen und Praktiker*innen habe ich nun eine Bitte: Senden Sie mir bis zum 11. April konkretes (!) Feedback und Hinweise zu meinem Bericht, die ich mir genau ansehen werde, um die geplanten Änderungsanträge an dem Bericht weiter zu verbessern.
Weiterer Ablauf
Gemeinsam mit den Änderungsanträgen der Schattenberichterstatter*innen werde ich versuchen einen breit getragenen Bericht zu erstellen. Die Schattenberichterstatter*innen haben bis zum 15. April Zeit, um ihre Änderungsanträge einzureichen. Auf der Basis der eingereichten Änderungsanträge erarbeiten wir dann gemeinsam sogenannte Kompromiss-Änderungsanträge, die von einer möglichst breiten Mehrheit mitgetragen werden. Über diese gemeinsame Position wird dann am 27. Mai im Ausschuss für Wirtschaft und Währung abgestimmt. Die Plenarabstimmung ist für Juni geplant. Auf der Basis dieser Parlamentsposition werden wir dann auf die EU-Kommission und den Rat der Mitgliedsländer zugehen, um möglichst viele der Empfehlungen auch umzusetzen. Ich werde dranbleiben!
Mit entschlossenen europäischen Grüßen
Sven Giegold
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Mein Berichtsentwurf (auf Englisch) kann hier heruntergeladen werden: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/ECON-PR-663101_EN.html?redirect
Allerdings konnte ich nur einen Teil meiner Untersuchungsergebnisse als Berichtsentwurf einreichen, da es feste Vorgaben zur maximalen Länge solcher Texte gibt. Unter folgendem Link ist daher mein vollständiger Berichtsentwurf einsehbar: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2021/03/1221618EN_AM_GREENSEFA.pdf Die Absätze in normaler Schrift entsprechen meinem eingereichten Berichtsentwurf. Die Teile in Fett und Kursiv werde ich – nach bisherigem Stand – als Änderungsanträge nachreichen.
UPDATE: hier mein Berichtsentwurf mit allen Änderungsanträgen, die ich am 16. April eingereicht habe:
https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2021/04/1221618EN_AM_GREENSEFA_FINAL.pdf
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P.S. Petition: Digitalsteuer Jetzt! – Geschäfte schließen, Amazon & Co machen Riesengewinne, zahlen aber kaum Steuern: Die Digitalsteuer muss jetzt kommen! Gemeinsam haben wir die Chance, die Blockade bei der Digitalsteuer endlich zu überwinden: Bitte unterschreibt unsere Petition und teilt sie mit Euren Kontakten! https://www.change.org/digitalsteuer-jetzt