Sven Giegold

Starke Parlamentsposition: Zusammenarbeit in Steuerfragen nicht nur im digitalen Raum verbessern

Gestern Abend (Mittwoch, den 10. März) hat das Europaparlament mit großer Mehrheit eine starke Parlamentsposition für mehr Zusammenarbeit in Steuerfragen beschlossen. 568 Abgeordnete haben gestern für den Bericht gestimmt. Die 63 Gegenstimmen wurden mehrheitlich von Abgeordneten der rechtspopulistischen Fraktion “Identität und Demokratie” (inklusive der deutschen AfD) sowie der “Europäischen Konservativen und Reformer” abgegeben.

Im Juli 2020 hatte die Kommission ihren Vorschlag vorgestellt, wie die bestehende Richtlinie über die Zusammenarbeit der Steuerbehörden (DAC) verbessert werden kann, indem sie auf digitale Plattformen ausgeweitet wird. Dies ist bereits die siebte Überarbeitung der Richtlinie seit 2011. Über die Annahme des Vorschlags im Bereich der Steuerpolitik muss der Rat der Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden und dabei zwar die Position des Parlaments zur Kenntnis nehmen aber nicht berücksichtigen. Der Ministerrat hat bereits Ende letzten Jahres seine Position informell festgelegt und wartet nur noch auf die Parlamentsposition, bevor er seine offizielle Entscheidung bekannt gibt. Dennoch ist der Bericht des Europaparlaments ein wichtiger Beitrag für die Weiterentwicklung der europäischen Regeln zur Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden. Die achte Überarbeitung der Richtlinie vonseiten der Kommission ist bereits in Arbeit und wird im Laufe dieses Jahres erwartet. Als Berichterstatter werde ich den Forderungen des Parlaments in diesem Überarbeitungsprozess Nachdruck verleihen. Meinen Berichtsentwurf über die Umsetzung der ersten vier DAC-Richtlinien, mit detaillierten Vorschlägen zur Vertiefung der Zusammenarbeit der Steuerbehörden, werde ich in Kürze vorlegen. Auch dieser Bericht enthält wichtige Vorschläge dazu, wie wir faire Besteuerung in Europa erreichen können.

Sven Giegold, Berichterstatter des Parlaments für den gestern abgestimmten Bericht und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

“Das Europaparlament setzt ein starkes und geeintes Zeichen für eine bessere Zusammenarbeit der Steuerbehörden über Ländergrenzen hinweg. Das europäische Steuerrecht kommt im digitalen Zeitalter an. Eine Ausweitung der bestehenden Richtlinie auf digitale Plattformen ist dringend nötig aber die Prioritäten stehen Kopf. Es geht am Ziel vorbei, wenn die Steuerbehörden Informationen über unbezahlte Nachbarschaftshilfe auf online Plattformen erhalten, während Eigentümer von millionenschweren Immobilien immer noch nicht erfasst werden. Leider hat der Rat seine Position bereits beschlossen, ohne auf die Vorschläge des Parlaments zu warten. Der Ministerrat hat entschieden, die Umsetzung der neuen Richtlinie um ein Jahr nach hinten zu verschieben. Die erweiterte Richtlinie wird somit wahrscheinlich erst im Januar 2023 umgesetzt werden. Es ist unverantwortlich, in der Coronakrise auf dringend nötige Steuereinnahmen zu verzichten. Anstatt ihre Steuerbehörden ordentlich auszustatten schwächen die Mitgliedstaaten lieber die dringend nötigen Verbesserungsvorschläge der Kommission ab.  

Mit der Ausweitung der Richtlinie auf digitale Plattformen ist ein Schlupfloch geschlossen, aber es fehlt der große Wurf bei der Steuerzusammenarbeit. Der Informationsaustausch zeigt nur seine volle Wirkung, wenn alle Arten von Einkommen und Vermögen konsequent erfasst werden. Es erzeugt Politikverdrossenheit, wenn ehrliche Steuerzahler brav ihre Steuererklärung ausfüllen, während sich Steuertrickser hinter Briefkastenfirmen verschanzen können. Die EU-Kommission muss ihre Verantwortung in Zeiten steigender öffentlicher Verschuldung ernst nehmen und eine weitreichende Überarbeitung der Richtlinie vorantreiben.

Der Beschluss des Europaparlaments ist ein Appell an die Mitgliedstaaten: Geben Sie sich endlich die Mittel, um nicht gezahlte Steuern einzutreiben! Das Europaparlament präsentiert den Mitgliedstaaten den Weg hin zu mehr Steuereinnahmen auf dem Silbertablett – und das ganz ohne Steuererhöhungen. Mit großer Mehrheit haben sich die pro-europäischen Parteien für eine konsequente Erweiterung der Richtlinie, effektive Sanktionen und eine systematische Überprüfung ihrer Umsetzung ausgesprochen. Mit dieser starken Parlamentsposition werde ich mich dafür einsetzen, dass die Kommission die Vorschläge des Parlaments noch dieses Jahr in den Gesetzgebungsprozess einbringt.”

Der Parlamentsbericht ist hier einsehbar: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0015_DE.html

Hintergrund: 

Die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Steuerbehörden regelt seit 2011 den Austausch zwischen Mitgliedstaaten von Informationen darüber, wer in anderen EU-Ländern steuerpflichtige Einkünfte und Vermögenswerte hat. Mit der siebten Ergänzung der Richtlinie soll der automatische Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden auf digitale Plattformen ausgeweitet werden. Der neue Vorschlag beinhaltet wichtige Erweiterungen, um auch Anbieter*innen auf Plattformen wie Amazon, Airbnb oder Uber effektiv besteuern zu können. Unter der überarbeiteten Richtlinie müssen digitale Plattformen künftig steuerrelevante Informationen über ihre Nutzer*innen, z.B. Verkäufer*innen, Vermieter*innen oder Fahrer*innen, ans Finanzamt schicken. Diese Informationen werden dann auch zwischen den europäischen Mitgliedstaaten ausgetauscht. Damit soll gewährleistet werden, dass Unternehmen, die ihre Dienstleistungen über Plattformen anbieten, genauso Steuern zahlen wie traditionelle Unternehmen.

Allerdings hat der Ministerrat den Vorschlag der Kommission in wichtigen Punkten abgeschwächt. Die Kommission hatte richtigerweise angeregt, dass auch Privatpersonen eine grenzüberschreitende Steuerprüfung anregen dürfen – das hat der Ministerrat in seiner vorläufigen Entscheidung wieder gestrichen. Des Weiteren möchte der Ministerrat Unternehmen wie Hotelketten und Reiseveranstalter von der Meldepflicht ausnehmen, indem Anbieter*innen mit einer hohen Anzahl von Mietobjekten in einem Gebäude nicht gemeldet werden müssen. Wir haben es bereits jetzt mit vielen Schlupflöchern beim Austausch von Steuerinformationen zu tun, die die Wirksamkeit der Regeln untergraben. Mit diesem Bericht legt das Europaparlament eine Reihe von Vorschlägen vor, die weit über die Ergänzungen für digitale Plattformen hinausgehen.

Die wichtigsten Forderungen des Europaparlaments: 

  1. Weniger Bürokratie: Relevante Aktivitäten und meldepflichtige Plattformbetreiber müssen so definiert werden, dass der bürokratischen Aufwand für kleine Plattformen möglichst gering ist. Kleinste und nicht-kommerzielle Plattformen sollten aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden.
  2. Effektive Sanktionen: Wenn Plattformen ihrer Meldepflicht nicht nachkommen, sollen Mitgliedstaaten Strafen verhängen. Die überarbeitete Richtlinie sollte einen Strafenkatalog festlegen, um einheitliche Sanktionsmaßnahmen in ganz Europa sicherzustellen. Nur so kann die effektive und einheitliche Umsetzung der Meldepflicht für Plattformunternehmen in der gesamten EU gewährleistet werden.
  3. Auftrag zur Erweiterung der Richtlinie: Des Weiteren sollte eine Überprüfungsklausel eingefügt werden, die die EU-Kommission beauftragt, die Richtlinie umfassend zu überprüfen und zu erweitern. Das ist dringend nötig, denn wir stellen immer wieder fest, dass EU-Regeln im Kampf gegen Finanzkriminalität und Steuervermeidung umgangen oder nur unzureichend umgesetzt werden.
  4. Kooperationspflicht für Mitgliedsstaaten: Heute geben die Behörden eines Mitgliedsstaates nur für sie einfach verfügbare Informationen automatisch an andere EU-Mitgliedsländer weiter. In Zukunft sollen auch Informationen weitergegeben werden, die ein Mitgliedstaat mit vertretbarem Aufwand zur Verfügung stellen kann. Hier geht es besonders um die sorgfältige Erfassung der Einkunftsarten, die in den Mitgliedsstaaten selbst nur unzureichend besteuert werden.
  5. Steuerinformationen auch gegen andere Finanzkriminalität einsetzen: Es sollte den Mitgliedstaaten generell freistehen, die erhaltenen Informationen auch für nicht-steuerliche Zwecke zu verwenden. Bisher sieht die EU-Richtlinie vor, dass für solch einen Gebrauch eine Genehmigung durch die zuständige Behörde des übermittelnden Staates erforderlich ist. Das ist eine unverhältnismäßig hohe Hürde, denn gerade zur Bekämpfung von Finanzkriminalität und Geldwäsche sind solche Informationen sehr wertvoll.
  6. Umfassender Austausch von Steuervorbescheiden (“tax rulings”): Alle relevanten, grenzüberschreitenden Steuervorbescheide und Vereinbarungen zur steuersparenden Verrechnung von Gewinnen innerhalb eines multinationalen Unternehmens sollen in Zukunft ausgetauscht werden. Um das zu gewährleisten, muss der Informationsaustausch auf informelle Vereinbarungen mit den Finanzämtern sowie inländische Steuervorbescheide ausgeweitet werden. Nur so kann unfairer Wettbewerb in Europa verhindert werden.
  7. Transparenz bei der europäischen Steuerkooperation: Wir brauchen mehr Informationen darüber, wie gut die Zusammenarbeit der nationalen Steuerbehörden funktioniert und wo wir noch bessere Bedingungen für einen reibungslosen Informationsaustausch schaffen müssen. Die Mitgliedstaaten müssen bereits in regelmäßigen Abständen Bewertungen und Analysen zur Umsetzung und den Auswirkungen des automatischen Informationsaustauschs an die Kommission senden – nur sind diese Analysen bisher nicht öffentlich zugänglich. Die Kommission sollte einmal im Jahr anonymisierte Zusammenfassungen der statistischen Daten veröffentlichen, die sie von den Mitgliedstaaten erhalten hat.

P.S. Europe Calling „Geld vor Gemeinwohl? Wie wir unsere Demokratie gegen Korruption schützen können“ – Welche Regeln braucht unsere Demokratie gegen Korruption? Wie setzen wir sie durch? – Mit: Lobbycontrol, Campact, Abgeordnetenwatch, Transparency International & Britta Haßelmann MdB. Gemeinsam mit Daniel Freund MdEP. Mi, 17.3.21, 20:00 Uhr. Gleich hier anmelden.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

Bitte teilen!