Sven Giegold

Ex-Vorsitzende des ECON wechselt zur Londoner Börse: Sharon Bowles verkauft ihren guten Ruf und schadet dem Ansehen der EU

Sharon Bowles, die ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments, ist praktisch ohne jede Sperrfrist zur Finanzbranche gewechselt. Seit dem 14. August ist sie Mitglied des Vorstands der Londoner Börse (London Stock Exchange). Als Ausschussvorsitzende war sie ungewöhnlich einflussreich und allgemein geachtet.

Der ECON steht im Zentrum der parlamentarischen Bearbeitung aller europäischen Gesetze zur Regulierung der Finanzmärkte nach der Krise. Fast alle entscheidenden Verhandlungen zwischen Europaparlament, Mitgliedsländern und EU-Kommission hat Sharon Bowles persönlich geleitet. Sie hat den ECON nach außen vertreten, auch bei den Treffen der Finanzminister (EcoFin). Sie kennt alle Akteure, alle Tricks und Kniffe. Ihr Seitenwechsel ist ein Skandal. Es ist bitter zu sehen, wie sie ihren guten Ruf an die Londoner Börse verkauft.

Zutreffend und unumwunden schreibt die Londoner Börse: „Sharon bringt umfangreiches Wissen über Europäische politische und regulatorische Entwicklungen mit, die unser Geschäft beeinflussen. Ihre Erfahrung und Einblick wird für unsere Unternehmensgruppe von großem Wert sein, da wir in einem immer komplexerem regulatorischen Umfeld arbeiten“.

Sharon Bowles verwandelt Wissen, das sie im öffentlichen Auftrag erworben hat, nun in eigenes Einkommen und zum Nutzen eines privaten Unternehmens. Damit bringt sie nicht nur sich selbst, sondern auch die EU in Misskredit. Schon jetzt sind immer mehr Bürgerinnen und Bürger verstört und frustriert über den starken Einfluss mächtiger privater Sonderinteressen auf europäische Entscheidungen. Sharon Bowles‘ Seitenwechsel wird den schlechten Ruf der Brüsseler Institutionen in dieser Hinsicht weiter verschlechtern.

Besonders problematisch ist, dass sie für die Liberale Fraktion (ALDE/FDP) federführende Verhandlerin der Europäischen Marktrichtlinie (Mifid II) war. Diese Richtlinie regelt große Teile des europäischen Rechtsrahmens für die Börsen in Europa und damit auch der London Stock Exchange. Wie bei den meisten EU-Gesetzen im Finanzmarktbereich kommt es nun auf die Details der Umsetzungsgesetzgebung an. Viele hundert sogenannte delegierte Rechtsakte werden in den nächsten Monaten und Jahren beschlossen. Sie entscheiden letztlich darüber, wie wirksam die Gesetze sein werden. Eine entscheidende Rolle beim Abfassen dieser Gesetze spielen die europäischen Finanzaufsichtsbehörden (EBA, ESMA, EIOPA). So setzten Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Konservative/Christdemokraten strengere EU-Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation im Rahmen der Mifid II durch. Liberale und Rechtskonservative waren immer skeptisch. Ob diese Regeln wirksam sind, entscheidet sich nun an den delegierten Rechtsakten. Nun kündigt Sharon Bowles auf twitter an, sich auch um den Kontakt zu den Aufsichtsbehörden für die Londoner Börse zu kümmern. Damit kann sie nun die entscheidenden delegierten Rechtsakte für die Umsetzung der EU-Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation negativ beeinflussen.

Der Seitenwechsel von Sharon Bowles ist nur ein Beispiel einer unsäglich langen Liste von Top-EU-Politikern, Beamten und Kommissaren zu privaten Lobbys:

http://corporateeurope.org/revolvingdoorwatch und
https://lobbypedia.de/wiki/Seitenwechsler_auf_EU-Ebene

Auch in Deutschland zeigt sich das gleiche Bild. Die Lobbypedia zeigt eine lange Liste von Seitenwechslern und Seitenwechslerinnen: https://lobbypedia.de/wiki/Seitenwechsler_im_Überblick. Die fragwürdige Drehtür ist also nicht nur ein Problem in der EU, sondern auch in den Mitgliedsländern und in Deutschland.

Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zu stärken, braucht es in der EU und in den Mitgliedsländern dringend Sperrfristen oder Karrenzzeiten zwischen einem öffentlichen Amt oder Mandat und einer Tätigkeit bei mächtigen Sonderinteressen und Konzernen. Drei Jahre wären eine angemessene Abkühlphase. Das Beispiel von Sharon Bowles zeigt, dass dies nicht nur für Regierungsmitglieder und hohe Beamte gelten darf, sondern auch ParlamentarierInnen umfassen muss. Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen, gemeinsam mit NGOs wie Lobbycontrol und Transparency International.

Ironisch ist, dass ich mit Sharon Bowles und anderen Abgeordneten vergleichsweise strenge Sperrfristen für die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden gegen die Mitgliedsländer durchgesetzt habe. Nun verstößt sie selbst gegen den Geist dieser Regeln. Genauso wäre ihr Seitenwechsel für EU-Kommissare wegen der geltenden Sperrfrist von 18 Monaten unzulässig.

Unzureichend ist, was die Bundesregierung wohl derzeit plant: Sperrfristen nur für Mitglieder der Regierung. Diese Regeln sind gerade auch für uns Abgeordnete und für Beamte notwendig. Hier muss die Große Koalition nun in Deutschland liefern und sich auch für entsprechende Regeln in den EU-Institutionen einsetzen.

Gespannt bin ich schließlich noch, ob sie wenigstens auf die Zahlung eines Übergangsgelds verzichtet. Sie war für rund 10 Jahre Mitglied des EU-Parlaments. Damit stehen ihr 10 Monate lang die Fortzahlung von Abgeordnetendiäten zu und zwar unabhängig davon, ob sie inzwischen oder weiterhin Einkünfte hat, wie jetzt von der Londoner Börse.

Weitere Information:

Presseinformation der Londoner Börse

Spiegel-Online-Bericht über den Seitenwechsel von Bowles

Euractiv-Bericht über meinen Streit auf twitter mit Sharon Bowles