Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat heute Morgen seine Rechtsauffassung zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) vorgelegt. Die Meinung ist noch nicht gleichbedeutend mit dem Urteil, in den meisten Fällen folgt das Gericht aber dem Plädoyer des Generalanwalts. Die EZB hatte 2012 angekündigt, unter bestimmten Umständen unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten aufzukaufen, das so genannte OMT-Programm. Die rechtliche Einschätzung lässt sich teilweise auch auf neue mögliche Aufkaufprogramme zur Ausweitung der Geldmenge beziehen, die so genannte Quantitative Lockerung (Englisch “Quantitative Easing”). Ob die EZB diese Maßnahme gegen Deflation einsetzen wird, will sie am 22. Januar entscheiden.
Die Meinung des Generalanwalts kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:
“Der Generalanwalt stellt europäische Verantwortung vor die Klagewut von Euro-Skeptikern. Die Rettung des Euro ist rechtmäßig, im Grundsatz auch durch den Ankauf von Staatsanleihen. Der Ankauf von Staatsleihen auf Sekundärmärkten muss jedoch verhältnismäßig sein. Seine Anforderungen für die Verhältnismäßigkeit werden unter Ökonomen und Juristen noch Diskussionen auslösen. Die AfD und andere Gegner des Euro müssen endlich einsehen, dass es kein Rechtsbruch ist, unsere gemeinsame Währung zu bewahren.
Geschichte schreiben wird ein weiterer Teil des Urteils, denn der Generalanwalt meint: Die EZB darf den Euro verteidigen, aber sie muss raus aus der Troika. Wir Grünen im Europaparlament haben die Mitwirkung der EZB in der Troika stets kritisiert. Denn als unabhängige Institution der Geldpolitik darf sie nicht in die demokratiepflichtige Wirtschaftspolitik eingreifen. Wir freuen uns über die mächtige Unterstützung im EuGH.”
Den Schlussantrag des Generalanwalts finden Sie hier: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=161370&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=214354
Der lesenwerte Ausschnitt aus dem Urteil zur Troika:
- Das Vorbringen der Beschwerdeführer und der Antragstellerin der Ausgangsverfahren entbehrt nicht jeder Grundlage. Auch wenn die EZB behauptet hat, dass die Bindung des OMT‑Programms an die Erfüllung der Finanzhilfeprogramme eine von der EZB selbst festgelegte Bedingung sei, von der jederzeit abgegangen werden könne, haben die Beschwerdeführer und insbesondere die Antragstellerin Die Linke hervorgehoben, dass die EZB nicht einfach nur an die Erfüllung eines Hilfsprogramms anknüpfe, an dem sie gar nicht beteiligt sei. Vielmehr habe sie aktiven Anteil an der Konzipierung solcher Finanzhilfeprogramme. Diese „Doppelrolle“ der EZB als Inhaberin eines Darlehensanspruchs aus Staatsanleihen und als Überwacherin und Verhandlungsführerin im Rahmen eines Finanzhilfeprogramms, das für denselben Staat mit makroökonomischer Konditionalität gelte, lasse ihre Argumentation als äußerst fragwürdig erscheinen.
- Ich stimme diesem Vorbringen im Wesentlichen zu. Obgleich die EZB in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 die Durchführung des OMT‑Programms an die tatsächliche Erfüllung der im Rahmen eines Finanzhilfeprogramms eingegangenen Verpflichtungen bindet, steht außer Frage, dass die Rolle der EZB im Rahmen dieser Finanzhilfeprogramme darüber hinausgeht, dass sie sich diesen lediglich einseitig angeschlossen hätte. Die Regelung des ESM, aber auch die Erfahrung mit den durchgeführten oder noch in Durchführung begriffenen Finanzhilfeprogrammen belegen umfassend, dass die Rolle der EZB bei der Ausarbeitung, Billigung und regelmäßigen Überwachung dieser Programme bedeutsam, um nicht zu sagen entscheidend ist. Zum anderen hat, wie die Bundestagsfraktion Die Linke in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen ausgeführt hat, die Konditionalität der Finanzhilfeprogramme, die bisher gewährt wurden und an denen die EZB aktiv beteiligt war, erhebliche makroökonomische Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der betroffenen Staaten wie auch in der Euro-Zone insgesamt gehabt. Diese Feststellung dürfte bestätigen, dass die EZB mit ihrer Beteiligung an den genannten Hilfsprogrammen aktiv an Maßnahmen mitgewirkt hat, die unter bestimmten Umständen so zu verstehen sein könnten, dass sie über eine „Unterstützung“ der Wirtschaftspolitik hinausgingen.
- Tatsächlich überträgt der ESM-Vertrag der EZB vielfältige Aufgaben im Verlauf eines Finanzhilfeprogramms, einschließlich ihrer Beteiligung an der Aushandlung und an Aufgaben der Überwachung und Bewertung. So hat die EZB an der Ausarbeitung der Konditionen teil, die einem um Hilfe ersuchenden Staat auferlegt werden, und beteiligt sich überdies später an Aufgaben der Bewertung und Überwachung der Einhaltung dieser Konditionen, die für die tatsächliche Fortführung und etwaige Beendigung des Programms von großer Bedeutung sind. Diese Aufgaben teilt sich die EZB mit der Kommission, auch wenn der ESM-Vertrag Letzterer noch gewichtigere Funktionen überträgt.
- Um das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme einzustufen, ist es – wie bereits oben ausgeführt – unerlässlich, dass sich die verfolgten Ziele in diese Politik einfügen und dass die eingesetzten Instrumente solche der Währungspolitik sind. Die Bindung des OMT‑Programms an die Erfüllung der Finanzhilfeprogramme lässt sich durch ein zweifellos legitimes Interesse an der Ausmerzung jedes Schattens eines „moralischen Risikos“ rechtfertigen, das sich aus einer signifikanten Intervention der EZB auf dem Staatsanleihemarkt ergeben könnte. Der Umstand jedoch, dass sich dieses Organ aktiv am Ablauf der Finanzhilfeprogramme beteiligt, kann aus dem OMT‑Programm, soweit es einseitig mit diesen verknüpft ist, mehr machen als eine währungspolitische Maßnahme. Denn es ist nicht das Gleiche, den Ankauf von Staatsanleihen einseitig an die Erfüllung von Bedingungen zu knüpfen, die ein Dritter festlegt, und dies zu tun, wenn dieser Dritte nicht wirklich ein Dritter ist. Unter diesen Umständen kann sich der bedingte Ankauf von Staatsanleihen zu einem weiteren Instrument dieser Konditionalität wandeln. Und allein die Tatsache, dass er so wahrgenommen werden kann, als ein Instrument im Dienst der makroökonomischen Konditionalität, kann genügende Auswirkungen haben, um die mit dem OMT‑Programm verfolgten Ziele der Währungspolitik zu beeinträchtigen oder sogar zu entstellen.
- Sicherlich wird die EZB auf einen Staat, der einem Finanzhilfeprogramm unterliegt, immer Druck ausüben können, wenn sie, und sei es auch nur einseitig, das OMT‑Programm an die Erfüllung der im Rahmen des ESM ausgehandelten Konditionalität knüpft. Dennoch muss unterschieden werden zwischen einer Maßnahme, die das „moralische Risiko“ ausschließen soll, wie sie die einseitige Bindung an die in einem Finanzhilfeprogramm auferlegte Konditionalität sein kann, und einer Maßnahme, die, in ihrer Gesamtheit betrachtet, die EZB als ein Organ einschließt, das diese Konditionalität aushandelt und vor allem in direkter Weise mit überwacht.
- Insgesamt meine ich, dass die EZB bei der Ausgestaltung und Ankündigung des OMT‑Programms, soweit sich dieses in den größeren Rahmen einer Mitwirkung der EZB an Finanzhilfeprogrammen des ESM einfügt, die Folgen ihrer Mitwirkung an diesen Finanzhilfeprogrammen für die währungspolitische Natur des OMT‑Programms nicht richtig abgewogen hat.
- Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche unmittelbaren Konsequenzen sich hieraus für die Zuordnung des OMT‑Programms zur Währungspolitik der Union ergeben.
- Der obige Schluss hindert meines Erachtens die EZB nicht daran, sich an den Finanzhilfeprogrammen, wie sie der ESM-Vertrag vorsieht, regelmäßig zu beteiligen. Die Genehmigung eines Finanzhilfeprogramms schafft keineswegs die Voraussetzung dafür, dass später Umstände eintreten, die für die Aktivierung des OMT‑Programms durch die EZB erforderlich sind.
- Wenn nun die außergewöhnlichen Umstände entstehen sollten, die zum Einsatz des OMT‑Programms Anlass geben, ist es, damit dieses seine Funktion als innerhalb der Währungspolitik angesiedelte Maßnahme behält, von grundlegender Bedeutung, dass sich die EZB anschließend von jeder unmittelbaren Beteiligung an der Durchführung des für den betroffenen Staat geltenden Finanzhilfeprogramms loslöst. Die EZB wäre durch nichts daran gehindert, sich zu unterrichten und sogar angehört zu werden, aber keinesfalls zulässig wäre es, dass sie sich in einem Fall, in dem ein Programm wie das OMT‑Programm ausgeführt wird, weiterhin an der Überwachung des Finanzhilfeprogramms beteiligt, dem der Mitgliedstaat unterliegt, auf den gleichzeitig eine bedeutende Intervention der EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen ausgerichtet ist. Zusammenfassend meine ich, dass diese funktionale Distanz zwischen den beiden Programmen eingehalten werden muss, damit das OMT‑Programm seinen Charakter als eine währungspolitische Maßnahme wahrt, die ausschließlich der Wiederherstellung geldpolitischer Transmissionskanäle dienen soll.
- In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich daher im Ergebnis der Auffassung, dass das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme einzustufen ist, soweit sich die EZB, wenn das OMT‑Programm zur Anwendung gelangen sollte, jedes unmittelbaren Eingriffs in Finanzhilfeprogramme des ESM/der EFSF enthält.