Heute hat das Europaparlament über den Kommissionsvorschlag zur Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer (FTT) abgestimmt. Die Abgeordneten sprechen sich für eine FTT mit einer breiten Bemessungsgrundlage in der gesamten EU aus. Für Derivate liegt der geplante der Steuersatz bei 0,01%; bei Aktien und Anleihen bei 0,1%. Um Verlagerungen von Geschäften einzuschränken, will die Kommission die Steuer nicht am Ausführungsort des Geschäfts, sondern am Sitz des Auftraggebers erheben. Es wären damit auch Transaktionen steuerpflichtig, die außerhalb der EU durchgeführt werden.
Die Grünen unterstützen den Kommissionsvorschlag und konnten Vertreter aus den anderen Fraktionen gewinnen, ihre Änderungsanträge zur weiteren Einschränkung von Verlagerungsstrategien und Missbrauch mitzutragen. Das Parlament unterstützt und verschärft damit den Vorschlag der Kommission. Jetzt sind die Mitgliedsländer am Zug, die in Steuerfragen alleine entscheiden und das Europaparlament lediglich anhören müssen.
Die Abstimmung kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:
„Mit einer breiten Mehrheit hat das Europaparlament heute seine Position zur Einführung einer breiten Finanztransaktionssteuer in der Europäischen Union weiter verschärft. Angesichts der Blockadehaltung einiger EU-Länder fordert das Parlament, die Steuer notfalls in einer Koalition der Willigen. Dies ist ein Meilenstein, auf dem Weg zur Finanztransaktionssteuer, auf die ich seit über zehn Jahren hinarbeite.
Im Jahr 4 seit Ausbruch der Finanzkrise ist es noch immer nicht gelungen, den Finanzsektor relevant an den Kosten zu beteiligen. Gesetzgeber weltweit haben es nicht geschafft, die Märkte zu entschleunigen. Der starke Druck von Zivilgesellschaft, Europaparlament und einiger Regierungen konnte die Kommission im vergangenen Jahr überzeugen, einen Vorschlag zur Einführung einer umfassenden FTT vorzulegen. Jetzt müssen sich die Mitgliedstaaten rasch einigen und die Besteuerung von Transaktionen in ihren Ländern zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger umsetzen.
Wenn die britische Regierung sich im Rat weiterhin quer stellt und die notwendige Regulierung gegen die Mehrheitsmeinung in ihrer Bevölkerung blockiert, muss die Bundesregierung in einer Koalition der willigen Mitgliedstaaten in verstärkter Zusammenarbeit die Einführung der FTT durchsetzen. Das jedoch blockiert derzeit die FDP und Teile der CDU. Zudem wollen wir, dass ein substantieller Teil der Einnahmen in globale öffentliche Güter, wie Armutsbekämpfung und Klimaschutz, fließt. Beides wird nur gelingen, wenn Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Kirchen den Druck aufrecht erhalten, damit all die Kampagnen für eine Spekulationssteuer nicht kurz vor dem Erfolg noch scheitern.“
Grüne Kernpunkte der Richtlinie
Wir haben eine Reihe von Änderungen durchgesetzt, die den guten Kommissionsvorschlag weiter stärken:
- Das Wohnsitz-Prinzip, wie es von der KOM vorgeschlagen wurde, ist nicht streng genug, um Steuerhinterziehung effektiv zu verhindern, daher haben wir vorgeschlagen, es um Emissions- und Eigentumsprinzipien zu erweitern, wie es von Pro-FTT WissenschaftlerInnen angeregt wird. Dies hat breite Unterstützung gefunden.
- Bzgl. der Verwendung der Mittel haben wir sichergestellt, dass der Abschlussbericht ein positives Signal für die Finanzierung von globalen, öffentlichen Gütern, wie z.B. der Entwicklungshilfe und den Kampf gegen Klimawandel, setzt. Darüber ist unsere Forderung, dass die Einnahmen in den EU Haushalt fließen sollen, bevor sie weitergeleitet werden, in einen neutraleren Bezug zum Eigenmittel-Vorschlag eingegangen.
- Die KOM hat Devisentransaktionen mit Bezug auf juristische Argumente (aber ohne überzeugende Argumente) ausgenommen (was bedeuten würde, die Tobin-Steuer aus der FTT auszuschließen). Wir konnten die Abgeordneten auf Basis anderer Rechtsmeinungen dennoch davon überzeugen, die Tobin-Steuer mit aufzunehmen.
- Verstärkte Zusammenarbeit: Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten des Rats, dem Vorschlag als EU 27 anzunehmen, setzt der ECON-Bericht ein positives Signal in Richtung einer verstärkten Zusammenarbeit.
- Hochfrequenzhandel: Unser Versuch, stornierte Börsenorders in den Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehen, wurde in den Kompromiss, der auch die Überarbeitungs-Klausel umfasst, aufgenommen. Wir Grünen haben gefordert, dass eine Steuer erhoben wird, wenn im Durchschnitt die Zahl der stornierten Aufträge pro Börsentag 15 Mal so hoch ist, wie die Anzahl der ausgeführten Aufträge. Der Hochfrequenzhandel ist natürlich jetzt schon abgedeckt, wenn Transaktionen ausgeführt werden, aber ein wichtiger Teil des Casino-Spiels besteht jedoch darin, eine sehr große Anzahl von Aufträgen zu platzieren um die Märkte zu testen und diese dann wieder zurückzuziehen.
Negative Punkte:
Pensionsfonds wurden vollkommen ausgenommen. In den Kompromissverhandlungen haben wir vorgeschlagen, eine Übergangsfrist zu gewähren, innerhalb derer Pensionsfonds ihre Anlagestrategie in Hinblick auf langfristige Investitionen hätten anpassen können. Jedoch war das für EVP und ALDE nicht akzeptabel. Es ist wichtig hervorzuheben, dass laut einer OECD-Studie (1) Pensionsfonds mit konservativen Investment-Portfolios (was generell mit einer niedrigen Transaktionsfrequenz einhergeht) zwischen 2008-2010 am besten abgeschnitten haben. Eine umfassende FTT würde Pensionsfonds also anreizen, vernünftigere und erfolgreichere Anlagestrategien zu verfolgen.
Erfreulicherweise scheiterten aber Konservative und Liberale mit ihren Versuchen, alle Investmentfonds (UCITS) von der FTT auszunehmen.
Der Vorschlag der Kommission ist hier hinterlegt (2011) und die abgestimmten Änderungsanträge des Parlaments, die vom Rat aufgenommen werden sollen, gibt es hier.
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(1) OECD Pension Markets in Focus: http://www.oecd.org/document/35/0,3746,en_2649_34853_36082019_1_1_1_1,00.html