Interview für die Website der NRW-Grünen:
Eigentlich braucht das massiv überschuldete Griechenland schnell eine neue Milliardenhilfe. Aber: Die EU kann sich nicht einigen. Streit gibt es vor allem in der Frage, wie und in welcher Höhe private Gläubiger an dem 110-Milliarden-Euro-Hilfspaket beteiligt sein sollen. Verschiedene Varianten liegen dabei auf dem Tisch. Sollen alte Staatsanleihen einfach in neue umgetauscht werden? Oder soll Griechenland die Anleihen zurückkaufen? Und muss die EU mit sogenannten Eurobonds nicht eigentlich noch viel weiter gehen?
Wir sprachen über diese Fragen mit Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der GRÜNEN im Europaparlament.
Jetzt sind auch noch Italien und Spanien in den Strudel der Finanzmärkte geraten. Sven, wie beschreibst du die aktuelle Situation – ist das, was wir gerade erleben ein Flächenbrand?
Sven Giegold: Auf jeden Fall erleben wir gerade eine Krise des Euros, nicht nur die einiger Länder. Die Eurozone driftet ökonomisch immer weiter auseinander. Während zum Beispiel Deutschland wirtschaftlich gut dasteht, müssen andere Länder ihre Staatsschulden zu unakzeptablen Bedingungen refinanzieren. In einigen Ländern ist sind Arbeitslosigkeit und Armut dramatisch angestiegen.
Welche Rolle spielen dabei Finanzmärkte und Rating-Agenturen – steuern sie die Entwicklung mit?
Sven Giegold: Die Rating-Agenturen tragen eine große Verantwortung für die Krise, weil sie über lange Jahre Länder positiv benotet haben, die eine ungesunde ökonomische Entwicklung zeigten. Sie haben sie besser benotet, als sie eigentlich waren. Dadurch haben die Rating-Agenturen maßgeblich zur Entstehung der Kreditblase beigetragen, die Spanien, Griechenland, Irland und Portugal überhaupt erst in ihre Probleme getrieben hat.
Auch heute muss man einige Urteile bezweifeln – etwa die jüngste Abstufung Portugals und Irlands, während sich die Situation in diesen Länder jüngst eher verbessert hat. Die Ratingagenturen sind derzeit aber nicht die eigentliche Ursache des Problems, sondern ihr Symptom. Nichtsdestotrotz gehört ein Oligopol mit so viel wirtschaftlicher Macht, wie sie die drei amerikanischen Rating-Riesen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch haben, nicht in eine soziale Marktwirtschaft. Deshalb fordert das Europäische Parlament eine grundlegende Neuordnung des Rating-Marktes, darunter die Streichung von Ratings aus der Finanzmarktregulierung und die Einrichtung einer Europäischen Ratingstiftung. Die Kommission hat für die zweite Jahreshälfte starke Maßnahmen angekündigt.
Warum ist es eigentlich so wichtig, dass die Euro-Staaten Griechenland unterstützen?
Sven Giegold: Die Wahrheit ist: Wenn wir Griechenland retten, retten wir gleichzeitig das Bankensystem aller europäischer Länder, woran wiederum der Euro hängt. Wenn Griechenland seine Staatsschulden nicht mehr bedient, droht auch der Zusammenbruch weiterer Länder und schwere Schäden im europäischen Bankensystem. Griechenlands Staatsschulden sind untragbar hoch und müssen daher geordnet reduziert werden. Wir haben dazu einen detaillierten Plan vorgelegt. Ein abruptes Zudrehen des Geldhahnes ist aber völlig unverantwortlich, nicht nur aus griechischem, sondern auch aus deutschem Interesse. Schließlich ist damit die Errungenschaft der europäischen Integration selbst in Gefahr.
Müssen wir uns Sorgen um den Euro machen?
Sven Giegold: Ja. Wenn die europäischen Regierungen nicht mal in der Lage sind, einen Sondergipfel einzuberufen und sowohl in Deutschland als auch in Frankreich Regierungen an der Macht sind, die nicht zu überzeugenden gemeinsamen Initiativen in der Lage sind, dann wird einem angst und bange um Europa. Europa braucht eine echte europäische Wirtschaftsunion, um den Euro zu stabilisieren. Zum nächsten Krisengipfel sollten Deutschland und Frankreich nicht nur mit dem Scheckbuch anreisen, sondern mit einem Plan für gemeinsame Wirtschaftspolitik.
Du sagst: Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine europäische Wirtschaftsunion. Warum?
Sven Giegold: 17 Regierungen und 17 nationale Parlamente mit ihren jeweiligen nationalen Egoismen können einfach keine vernünftige Wirtschaftspolitik für die Eurozone hinlegen. Deutschland macht Lohndumping bei den Dienstleistungen und der Leiharbeit. Luxemburg, Österreich, Irland und die Niederlande beuten als Steueroasen ihre Nachbarn aus. Einige Länder nehmen den Schuldenabbau einfach nicht ernst. Am Schlimmsten jedoch ist die Kakophonie beim Krisenmanagement – der monatelange Streit richtet an den Finanzmärkten mehr an Unsicherheit an als die folgenden Rettungspakete wieder einfangen können. Deshalb müssen die Euroländer nun auch politisch dichter zusammenrücken. Dazu haben wir bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz eine Blaupause beschlossen.