Die EU ringt um eine Digitalsteuer. Internetgiganten wie Google und Apple würden dann dort besteuert, wo sie Gewinne machen – also auch in Deutschland. Finanzminister Scholz will mit einer europäischen Lösung bis 2021 warten. Europa-Spitzenkandidat der Grünen Sven Giegold hält das für keine gute Idee. Im Interview mit n-tv.de spricht er über fairen Wettbewerb, Milliardeneinnahmen und Solidarität.
n-tv.de: Apple, Facebook & Co zahlen in der EU kaum Steuern, obwohl sie hier viele Milliarden verdienen. Bei einer Digitalsteuer warnten europäische Internetfirmen kürzlich aber vor doppelter Besteuerung und Willkür. Trifft die Digitalsteuer am Ende die Falschen?
Sven Giegold: Nein, wir haben ja einen hohen Freibetrag. Da muss ein Startup, was Schutz braucht, lange dran stricken, bis es auf diese Summen kommt. Insofern ist jede Panik, dass man dadurch Innovationen in Europa hemmt, völlig unangebracht. Die Benachteiligung kleinerer Digitalunternehmen gegenüber Riesen wie Amazon, Google & Co soll damit verschwinden, die sich bei den Steuern einen schlanken Fuß machen. Während die normalen Unternehmen 23 Prozent Körperschaftssteuer bezahlen, sind es für die großen Digitalkonzerne 9,5 Prozent. Das Steuersystem ist da ungerecht.
Besteuert werden sollen Unternehmen mit einem weltweiten Gesamtumsatz von 750 Millionen Euro, wovon mindestens 50 Millionen Euro in der EU erzielt werden.
Realpolitisch wird es auch keine niedrigere Schwelle geben. Fakt ist aber, dass selbst bei dieser hohen Schwelle Deutschland blockiert.
Sind Sie eigentlich für eine niedrigere Schwelle?
Ja, denn 750 Millionen Euro – das trifft nur echte Großunternehmen. Zudem könnte sonst der Vorwurf aufkommen, dass man gezielt nur amerikanischen Großkonzerne damit treffen will.
Gibt es eine begründete Angst vor Vergeltung aus Washington?
Von Angst sollten wir uns da wirklich nicht treiben lassen. Was die amerikanische Firmen machen, ist aggressive Steuervermeidung in Europa und wenn man sich dagegen wehrt, sollte man keine Angst haben. Umgekehrt würde Amerika ja auch reagieren.
Die USA könnten die Digitalsteuer als eine Retourkutsche für den Handelskonflikt mit der EU verstehen.
Der Grund für die Digitalbesteuerung ist aber nicht die Handelspolitik. Es ist der unfaire Wettbewerb, der innerhalb Europas zwischen den digitalen Großkonzernen und anderen Unternehmen entsteht. Zudem entgehen uns ohne eine Digitalsteuer rund fünf Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Mit diesem Geld könnten eine Menge sinnvoller Investitionen getätigt werden.
Werden Unternehmen ihre höheren Kosten nicht einfach auf die Verbraucher umwälzen?
Natürlich ist es möglich, dass ein Teil der Kosten weitergegeben wird. Nehmen wir das Beispiel Facebook: Das Soziale Netzwerk ist für die meisten Nutzer kostenlos. Bei einer Besteuerung der Gewinne würden viele davon gar nichts merken, es sei denn, sie sind selbst Werbetreibende. Auf einem Großteil der Steuerlast wird Facebook selbst sitzen bleiben. Das wird den Gewinn des Konzerns schmälern, und genau das wollen wir. Mit der Digitalsteuer treffen wir letztlich die Aktionäre von Facebook wie Mark Zuckerberg, der in Europa Geschäfte macht, aber dafür nichts bezahlt.
Bei Facebook ist es greifbarer – Nutzer aus EU-Länder haben auf der Plattform ihre Accounts und liefern Daten. Wie lässt sich bei einem Internetkonzern wie Google überhaupt erfassen, dass Umsätze in Europa stattfinden?
Die Werbekunden der Konzerne müssen am Ende ihre Rechnungen zahlen. An Zahlungsflüssen lässt sich daher schon ablesen, in welchen Ländern Gewinne gemacht werden. Die Steuern müssen von den Unternehmen nach dem Ort der jeweiligen Nutzer berechnet werden.
Sie haben eine Petition gegen den Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz gestartet, der vorerst in der OECD für eine weltweite Mindestbesteuerung kämpfen will. Was ist daran falsch?
Der Vorschlag von Scholz ist ein Warten auf Sankt Nimmerlein. Nur wenn Europa vorangeht, werden wir Fortschritte im internationalen Steuerrecht sehen – wenn wir das nicht machen, gibt es da auch keine Bewegung. Die neue Position der Großen Koalition mit der Einführung einer europäischen Digitalsteuer weitere zwei Jahre zu warten, kostet uns zehn Milliarden Euro Einnahmen. Es ist ein Trauerspiel.
Etliche EU-Mitgliedsländer wie Irland sind aber gegen eine Digitalsteuer. In der Vergangenheit hat sich Irland lange gewehrt, 13 Milliarden Steuergelder von Apple einzufordern, nachdem die EU-Kommission die irischen Steuervergünstigungen als rechtswidrig eingestuft hat. Wie wollen Sie die Iren da von einer Digitalsteuer überzeugen?
Die Iren treiben das Geld ja jetzt ein, weil sich das europäische Recht am Ende durchgesetzt hat. Was die Digitalsteuer betrifft, ist das eigentlich ganz einfach: Wenn einzelne Länder nicht mitmachen, dann wird die Digitalsteuer von den Ländern eingeführt, die das wollen.
Sie sind für einen Alleingang einzelner Mitgliedsstaaten?
Nein, ich bin für eine europäische Lösung. Wir haben schon jetzt zehn nationale Digitalsteuern, die würden wir vereinheitlichen und damit vereinfachen. Aber ich bin dagegen, dass man Milliardeneinnahmen verpasst, wenn man Steuerdumping einfach hinnimmt. Im Moment ist es so, dass die Länder, die bei der Einstimmigkeit nicht mitmachen wollen, auch die Mitgliedsstaaten sind, in denen die großen Digitalunternehmen ihre europäischen Sitze haben. Sie beuten den Rest Europas steuerlich aus. Wenn sich die Mitgliedsländer wie Irland oder Luxemburg weigern, dann sollten wir diese Blockade europäischer Solidarität beenden. Das schafft nur einen fairen Wettbewerb in der EU. Das Schöne an der Digitalsteuer ist: Man kann sie auch sinnvoll national oder besser durch ein gemeinsames Vorgehen aller handlungswilligen Länder einführen. Die Unternehmen, die dort ihre Briefkastenfirmen unterhalten, werden damit trotzdem besteuert.
Mit Sven Giegold sprach Nikola Endlich
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Quelle: n-tv.de – Zuerst erschienen am 14.11.18 auf https://www.n-tv.de/wirtschaft/Mit-der-Digitalsteuer-treffen-wir-Zuckerberg-article20720898.html. Alle Rechte verbleiben bei n-tv.