Beschluss:
Der Kreistag schließt sich den Forderungen des Positionspapiers der kommunalen Spitzenverbände und des Verbands der kommunalen Unternehmen vom Oktober 2014 insoweit an, als sie im Besonderen die möglichen negativen Folgen der Abkommen für den Ortenaukreis betreffen.
Er regt deshalb an, dass die Bundesregierung, der Bundestag und das Europäische Parlament bei den Verhandlungen für das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) und TiSA (Trade in Services Agreement) darauf hinwirken,
… dass die kommunale Daseinsvorsorge von der Marktzugangsverpflichtung ausge-schlossen wird,
… dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten rechtsstaatlich zustande ge-kommene Regulierungen bezüglich kommunaler Zuwendungen und öffentlicher Auf-gaben nicht angreifen können,
… dass geltende Standards hinsichtlich Verbraucher- und Umweltschutz nicht redu-ziert werden und künftige Standardverbesserungen möglich bleiben.
… dass die Verhandlungen weitestgehend transparent geführt und die Landkreise an der Entscheidungsfindung auf EU-Ebene beteiligt werden.
Der Kreistag bittet den Landrat, im Verbund mit anderen Landkreisen bei der Umset-zung dieser Ziele konstruktiv mitzuwirken.
Begründung:
Neben den erhofften positiven Auswirkungen durch den Abbau von Handelshemmnissen für den Wirt-schaftsstandort Ortenau bergen das derzeit von der EU-Kommission mit den USA verhandelte Frei-handelsabkommen TTIP, das mit Kanada ausverhandelte Abkommen CETA und das mit mehreren Ländern verhandelte Dienstleistungsabkommen TiSA erhebliche Risiken durch die möglichen negati-ven Auswirkungen auf regionaler und lokaler Ebene der EU-Mitgliedsstaaten. All diese Abkommen greifen in zahlreiche Bereiche ein, in denen der Ortenaukreis über umfangreiche eigene Kompetenzen verfügt und die für ihn von besonderer Bedeutung sind.
Die in TiSA geplante Deregulierung und Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen und Investitionen berühren kommunale Hoheitsrechte wie die Organisationsfreiheit, dies vor allem aufgrund der weitreichenden Marktzugangs-, Nichtdiskriminierungs- und Investitionsschutzregeln.
Öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wie die der Eigenbetriebe im Bereich der Gesundheit (Ortenau Klinikum), der Müllentsorgung (Abfallwirtschaft Ortenaukreis) sowie zahlreicher Unternehmen in Privatrechtsform, an denen der Kreis beteiligt ist (Ortenauer Energieagentur, Schwarzwald Tourismus GmbH, Medizinische Versorgungszentren) sind somit der Gefahr erheblicher Einschrän-kungen ausgesetzt.
Der Erhalt von derzeit neun Klinikstandorten in der Ortenau zur Sicherung der medizinischen Versor-gung der Bevölkerung in der Fläche ist nachhaltig nur in öffentlicher Trägerschaft möglich. Der bereits heute spürbar steigende Druck durch private Krankenhausketten auf Landkreise wie beispielsweise in Calw durch Entschädigungsklagen aufgrund von Betriebszuschüssen des Krankenhausträgers wird durch die vorgesehenen Investor-Staat-Klagerechte erheblich zunehmen. Zur Aufrechterhaltung der dezentralen Strukturen und zum Fortbestand von erfolgreichen Fachdisziplinen wie Urologie, Orthopädie und Kinderheilkunde im Ortenau Klinikum, die ein über die Kreisgrenzen hinaus wirkendes Leis-tungszentrum in der Region darstellen, gilt es solche unkalkulierbaren Risiken sowohl für den Kreis- als auch für den Klinikhaushalt auszuschließen.
Gleichermaßen sind die Kreiskompetenzen in der Abfallwirtschaft gefährdet. Der innovative Weg des Ortenaukreises unter Federführung des Zweckverbandes Abfallbehandlung Kahlenberg (ZAK) mit der Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage in Ringsheim ist in seiner Art beispiellos und wird aufgrund der erfolgreichen ökologischen wie ökonomischen Bilanz inzwischen weltweit vermarktet. Eine uneingeschränkte Liberalisierung des Marktes im Bereich der Abfallwirtschaft hat auch hier nicht vorhersehbare Auswirkungen auf die weitreichenden abfallwirtschaftlichen Ziele unseres Landkreises.
Die vorgesehene Angleichung von Produktstandards wird in weiten Teilen der Landwirtschaft zu einer Absenkung der Verbraucher- und Umweltschutzstandards führen. Bauern und Winzer im Ortenaukreis werden durch die Konkurrenz industriell erzeugter Massenprodukte weiter unter Druck geraten. Viele – für den Ortenaukreis charakteristische – kleinbäuerliche Betriebe werden mit der Vermarktung ihrer regionalen Erzeugnisse (z. B. Echt Schwarzwald), die einen wichtigen Wirtschaftsfaktor in der Ortenau darstellen, in noch stärkere Bedrängnis geraten.
Der Kreistag des Ortenaukreises begrüßt grundsätzlich den Abbau von Handelshemmnissen, die durch das Zustandekommen von Freihandelsabkommen, die von der EU mit anderen Ländern abgeschlossen werden, erreicht werden. Diese dürfen jedoch durch verringerte Organisationskompetenz des Landkreises eine nachhaltige Fortentwicklung und eine faire Gestaltung des Wirtschaftsstandortes Ortenau nicht einschränken.
Offenburg, 27. Oktober 2015