Die EU-Kommission finalisiert gerade die delegierten Rechtsakte zur Ausgestaltung der Regeln für Sustainable Finance. Diese sogenannten Taxonomie-Regeln werden bestimmen, welche Finanzprodukte und Investitionen als grün und nachhaltig gelabelt werden dürfen und welche nicht. Das Europaparlament und die EU-Staaten haben lange verhandelt und am Ende einen guten Kompromiss gefunden. Doch wie geleakte Dokumente zeigen, macht die EU-Kommission bei der konkreten Umsetzung auf Druck einiger Mitgliedsländer jetzt eine Kehrtwende und plant die Kriterien abzuschwächen. Dadurch würden u.a. Investitionen in fossiles Gas als Sustainable Finance gelten. Auch jüngste Informationen vor der Sitzung der Mitgliedsländer in der Expertengruppe zu Sustainable Finance am 24. März deuten in diese Richtung. Im Laufe des Jahres wird die Kommission außerdem einen Vorschlag unterbreiten, wie sie mit Atomenergie in der Taxonomie umgehen wird. Derzeit erarbeiten Expertengruppen der Kommission eine Einschätzung, ob der anfallende radioaktive Müll ein Ausschlusskriterium für die Taxonomie darstellt. Skandinavische Staaten verlangen zudem Änderungen, um nicht-nachhaltige Waldwirtschaft als sustainable kennzeichnen zu können. Es steht zu befürchten, dass auch bei Atom und Wald die Glaubwürdigkeit von Sustainable Finance Schaden nimmt.
In einem von der Finanzexpertin Kristina Jeromin und dem Europaabgeordneten Sven Giegold initiierten offenen Brief an die zuständigen Kommissar*innen McGuinness und Dombrovskis fordern über 700 Unterzeichner*innen, darunter 200+ Expert*innen aus dem Sustainable Finance-Bereich, glaubwürdige Regeln statt der geplanten Abschwächung. Die EU-Kommission will die delegierten Rechtsakte Mitte April beschließen. Danach bräuchten Rat und Europaparlament eine qualifizierte Mehrheit, um die Entwürfe zurückzuweisen – ändern können beide die Texte nicht. Die EU-Kommission ist daher in einer entscheidenden Stellung.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:
“Die Unterschriften von 200 Expertinnen und Experten aus der Sustainable Finance-Branche sind ein Weckruf für die EU-Kommission. Die Branche will ein starkes Label für nachhaltige Investitionen und keinen Etikettenschwindel. Auf Druck einiger Mitgliedsländer will die EU-Kommission die Taxonomie-Regeln stark verwässern. Investitionen in fossiles Gas dürfen kein Nachhaltigkeitslabel bekommen. Nur ein Label mit glaubwürdigen Regeln kann den globalen Standard für Sustainable Finance setzen, den es angesichts der Klimakrise dringend braucht. Europa muss bei Sustainable Finance vorangehen statt mit einem Bein in der fossilen Vergangenheit zu verharren.
Die 200+ Unterschriften von Akteur*innen aus der Branche zeigen auch: Sustainable Finance ist eine Win-Win-Situation für das Klima und die Wirtschaft. Die EU-Kommission darf daraus keine Lose-Lose-Situation machen. Wirklich nachhaltige Unternehmen werden bestraft, wenn das Label auch für Gas-Investitionen gilt. Die EU-Kommission sollte auf die Branche hören und glaubwürdige Regeln beschließen. Ein Einknicken vor den Partikularinteressen mancher Mitgliedsländer würde großen Schaden für die wachsende Sustainable Finance Branche anrichten.”
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Offener Brief an die EU-Kommission für glaubwürdige Sustainable Finance-Regeln: https://actionnetwork.org/petitions/offener-brief-sustainable-finance/
Leak: EU considers expanding role of gas in green finance https://www.euractiv.com/section/energy-environment/news/leak-eu-considers-expanding-role-of-gas-in-green-finance/