Sven Giegold

SZ: Überraschend unsicher

Überraschend unsicher

Süddeutsche Zeitung, 9.5.2014

AfD-Chef Lucke lässt sich bei einer Europawahl-Debatte von Sachfragen aus der Bahn bringen. Doch nur der Grünen-Abgeordnete Giegold weiß das zu nutzen

Hambacher Schloss – Buhen, Zwischenrufe, Ovationen. So viele Emotionen waren sicher nicht geplant gewesen im Demokratie-Forum des Hambacher Schlosses. Drei etablierte Europa-Parlamentarier von CDU, SPD und Grünen, die wiedergewählt werden wollen, hatten am Mittwochabend auf dem Podium gesessen, allesamt erfahrende Wahlkämpfer.

Sie hatten sich auf einen politischen Konkurrenten konzentrieren müssen: Professor Bernd Lucke, Spitzenkandidat auf den Listen der Alternative für Deutschland (AfD) zur Europawahl. Klare Verhältnisse, haben die Politiker zunächst vielleicht gedacht, ähnlich wie die gut 300 aus dem Bildungsbürgertum stammenden Zuhörer. Dann mussten vor allem die beiden Vertreter der großen Volksparteien lernen, dass er nicht mehr so wie früher funktioniert, der Wahlkampf von der Stange.

Was daran liegt, dass auch in Deutschland den Bürgern die europäische Krise in den Knochen sitzt. Lucke hat daraus die Lehre gezogen, dass die Gemeinschaftswährung abgeschafft werden sollte. Die politischen Kontrahenten wollen das Gegenteil: die Währungsunion besser ausstatten mit Rechten, Pflichten und Befugnissen. Wer auf eine geschlossene Front der Pro-Europäer gegen einen skeptischen Neuling gehofft hatte, sah sich schnell enttäuscht. Einerseits, weil Euro-Abschaffer Lucke überraschend unsicher war, wenn es um simpelste Fakten  zur Euro-Rettung ging. Statt Fragen zu beantworten, musste er sich ein ums andere Mal in Vorwürfe gegen den drohenden EU-Zentralismus flüchten – die freilich in Ovationen seiner Anhänger im Publikum ihre Fortsetzung fanden.

Ein bisschen Sorge hatten die Freunde der AfD schon vorher gehabt, dass ihr Kandidat auf der Bühne verbal untergehen könnte. Und so waren sie zahlreich auf das Hambacher Schloss gezogen, um Lucke notfalls lautstark unterstützen zu können. Ausgerechnet eine Frage aus dem Publikum brachte den AfD-Mann dann richtig aus der Bahn. Wie das denn genau funktioniere mit dem von der Europäischen Zentralbank beherrschten Euro- Rettungsfonds ESM und dann noch dem SSM, wollte ein Bildungsbürger wissen.

Ja, wie eigentlich? Unter den erstaunten Blicken seiner Kontrahenten begann Lucke zögerlich zu referieren über Kreditvergaben und Rettungsfonds – und vergaß dabei ganz zu erwähnen, dass der Rettungsfonds in den Händen der Euro-Länder ist und SSM nur die englische Abkürzung für die zentrale Aufsicht über die Banken der Euro-Zone, angesiedelt bei der Europäischen Zentralbank.

So gesehen hätte es den drei Europa-Abgeordneten leicht fallen müssen, beim Publikum, ihren potenziellen Wählern, zu punkten. Doch einzig dem Grünen Sven Giegold gelang es, die Schwäche Luckes für sich zu nutzen. Dieses Reden darüber, dass womöglich einige Länder aus dem Euro austreten sollten, das sei doch so, „als ob wir den Bürgern Knüppel in den Rücken werfen würden“, sagte Giegold. Wenn überhaupt jemand darüber reden dürfe, die Gemeinschaftswährung abzugeben, dann seien es die betroffenen Bürger, die Jobs verloren und kaum noch Geld hätten. „Wenn man in Deutschland darüber redet, und zwar immer noch, obwohl längst beschlossen ist, dass die Euro-Länder zusammen bleiben, dann verunsichert das mögliche Investoren“, kritisierte der grüne Wirtschaftsexperte. Welcher Investor gehe schon in ein Land, dessen monetäre Zukunft mit einem großen Fragezeichen versehen sei? Das Publikum dankt ihm mit Ovationen.

Noch etwas lehrte der Abend. Wer Skeptikern mit der Arroganz der Macht gegenübertritt und nicht bereit ist, in die Niederungen argumentativer Diskussion hinabzusteigen, wird unentschlossene Wähler in die Arme der Populisten treiben. Werner Langen (CDU) und Peter Simon (SPD) hatten am Mittwochabend vor allem Empörung gegen Luckes Thesen im Gepäck – entsprechend populistisch fielen ihre eigenen Argumente aus. Simon beschrieb Europa als ein Schiff im Sturm, das nach rechts oder links treiben könne, an dem man aber nicht noch sägen dürfe, „weil dann geht es gleich unter“. Zu den Sägenden, daran ließ Simon keine Zweifel, gehöre die AfD. Der bei diesem Vergleich noch zarte Zorn des Publikums steigerte sich ins Ohrenbetäubende, als Simon an anderer Stelle der AfD eine rechtsnationale Agenda unterstellte und sie der braunen Parteienlandschaft zuschlug. Beinahe ebenso laut fielen die Buh-Rufe aus, als Christdemokrat Langen im Brustton der Überzeugung erklärte, der Euro sei sicher, die Krisenpolitik über jeden Zweifel erhaben und alles sei gut. Punkt.

Nach zwei Stunden war die mit „Europa zwischen Traum und Trauma“ betitelte Diskussion am Ende. Für die Krise in der Ukraine blieb keine Zeit mehr. Bernd Lucke mischte sich unter das Publikum und erklärte im kleineren Kreis, was er im Europaparlament tun werde: nicht auf der Schmollbank sitzen. Er wolle sich der Fraktion der europäischen Konservativen und Reformisten anschließen, in der gegenwärtig die Konservativen etwa aus Großbritannien, Polen und Tschechien sitzen. Sicher, die britischen Tories, Regierungspartei von Premier David Cameron, seien noch nicht einverstanden. Aber er sei „in guten Gesprächen“ mit Tschechen und Polen. Keinesfalls würden sich die Neulinge von der AfD in die rechte Ecke drängen lassen.

CERSTIN GAMMELIN