Liebe Freundinnen und Freunde,
mit Johannes Bebermeier von T-Online habe ich darüber gesprochen, warum eine versuchte Verschiebung der Grünen nach rechts nicht funktioniert hat. Hier könnt Ihr das gesamte Interview nachlesen und teilen. In dieser Mail fasse ich Euch die wichtigsten Punkte zusammen. Bitte verbreitet auch meinen Post dazu auf Bluesky.
Grüne Politik muss nicht dauernd auf rechts gedreht werden.
Sie kann grün kommuniziert werden, ohne quietschgrün zu werden. Wenn wir für den Klimaschutz etwas durchsetzen, so tun wir das nicht zuerst aus wirtschaftlichen Gründen. Wir schützen die Natur auch um ihrer selbst willen. Auch die Ungleichheit ist für eine Demokratie zu groß geworden und braucht Korrektur auch durch Steuerpolitik. Die materielle Ungleichheit können wir auch beim Namen nennen, statt ausschließlich von “sozialem Zusammenhalt” zu sprechen. Dabei gilt auch: Kompromisse sollten wir künftig als Kompromisse benennen, statt nur die Erfolge darin zu verkaufen.
Ebenso gehört die Solidarität mit Flüchtlingen zu den Grünen genauso wie der Atomausstieg, der Naturschutz oder der Klimaschutz. Auch und gerade wenn die Angriffe auf unsere Schutzverantwortung immer schriller werden. Aus wirtschaftlicher Sicht ist gleichzeitig klar, dass wir pro Jahr eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen brauchen. Mit den derzeitigen Debatten zerstören wir aber das gesellschaftliche Klima, das wir brauchen, um diese Zuwanderung jemals zu bekommen. Das ist fatal. Die Probleme vor Ort bei der Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, in Schulen und Kitas, bei der Gesundheitsversorgung sind real. Doch die Antwort darauf ist nicht Druck auf Flüchtlinge oder Zuwanderung, sondern die Ausstattung der Kommunen, des Bildungs- und Sozialsystems, um die Knappheiten überwinden zu können.
Kurzum: Wir als Grüne können uns zutrauen, wieder grüner zu werden und grüner zu reden.
Wir müssen lebendig und kräftig und schärfer werden.
Und dabei brauchen wir uns nicht zu verstecken: Mit dem Green Deal haben wir in den drei Jahren der Ampel den größten ökologischen Fortschritt durchgesetzt, den Europa bisher gemacht hat: Von Kreislaufwirtschaft über Biodiversität bis hin zum Klimaschutz haben wir wahnsinnig viel erreicht.
Nun wird dieser Green Deal von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen sturmreif geschossen. Das geht leider im Getöse um Trump und die Zeitenwende derzeit unter. Dabei macht uns der Green Deal unabhängig von fossilen Autokraten überall auf der Welt. Europa gibt pro Jahr über 250 Mrd für den Import von Kohle, Öl und Gas aus. Stattdessen sollten wir in Sonne, Wind und Speicher und damit in unsere Energieunabhängigkeit investieren.
Ohne die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen hätte Putin seinen illegalen Krieg gegen die Ukraine nicht führen können. Die schnelle Abkehr von fossilen Brennstoffen samt eines Gasunabhändigkeitsplans ist daher auch ein geopolitisches Gebot.
Deshalb müssen wir den Green Deal jetzt verteidigen. Wir müssen schneller und beherzter umsteigen, nicht langsamer.
Da verbinden sich die wirtschaftlichen Interessen mit den Notwendigkeiten des Klimaschutzes. Das ist Wirtschafts- und Mittelstandspolitik im besten Sinne. Das Verbrenner-Aus zum Beispiel bedeutet natürlich für die deutsche Automobilindustrie eine große Umstellung. Gleichzeitig werden wir den Anschluss international verlieren, wenn wir nicht die elektrischen Alternativen in Europa konsequent ausgebaut bekommen.
Das gefährdet die Kommission gerade. Auch das Lieferkettengesetz wird gerade völlig entkernt. Produkte aus Ausbeutung und Naturzerstörung sollen auch künftig auf den europäischen Binnenmarkt kommen – zum Nachteil anständig wirtschaftender Unternehmen.
Bürokratieabbau etwa ist nicht Deregulierung und Freibrief zur Ausbeutung, sondern bedeutet, unsere sozial-ökologischen Schutzziele und fairen Wettbewerb mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand zu realisieren. Da können wir klar unterscheiden.
Ich bleibe überzeugt: Wir müssen den Green Deal verteidigen und weiterentwickeln. Wir müssen diese Themen laut stellen, statt Leisetreterei zu betreiben. Das wird der erste Test werden, ob wir Grünen mit all den neuen Mitgliedern dauerhaft kampagnenfähig sind, auch abseits des Wahlkampfs. Wir Grüne haben auch bei Menschen Chancen, die früher Angela Merkel oder die FDP gewählt haben. Und auf der anderen Seite haben wir wichtige Wählerpotenziale bei Menschen, die der kritischen Zivilgesellschaft nahestehen.
Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten Konzepte, die zugleich visionär und umsetzbar sind. Die haben wir zuletzt im grünen Regierungsprogramm festgehalten. Dies werden wir nun einfordern.
Denn die zahlreichen Krisen erfordern jetzt entschlossenes Handeln.
Mit europäischen grünen Grüßen
Sven Giegold