Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,
gestern Abend, am 19. Mai, hat sich das Europaparlament geschlossen dafür ausgesprochen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Steuerbehörden künftig mit mehr Geld und Ressourcen zu unterstützen. Das ist ein starkes Zeichen für die Vertiefung der Zusammenarbeit von nationalen Steuerbehörden in Europa und darüber hinaus. Als Berichterstatter habe ich die Neuauflage des Fiscalis Programms seit 2018 eng begleitet und gemeinsam mit meinen pro-europäischen Kolleg*innen im Parlament konnten wir das Programm an entscheidenden Stellen weiter verbessern. Die Fortführung des Fiscalis Programms leistet einen wichtigen Beitrag für die effektive Arbeit unserer Steuerbehörden und damit für mehr Steuergerechtigkeit in Europa. Diesen grünen Erfolg möchte ich mit Euch und Ihnen teilen. Dafür habe ich die wichtigsten Hintergründe und Errungenschaften des Parlaments aufgeschrieben:
Um Steuerungerechtigkeiten anzugehen gibt es grundsätzlich zwei Wege, beide sind wichtig. Zum einen die Reform der Steuerregeln, so wie die Pläne zur Reform der Unternehmensbesteuerung in Europa, die die Kommission diese Woche vorgestellt hat.
Zum anderen der gleichmäßige Vollzug von bestehendem Steuerrecht. Wir haben leider im Binnenmarkt immer noch vielfach aggressive Steuervermeidung, Steuerflucht und Steuerbetrug. Bis heute sind unsere Steuerbehörden national, der Binnenmarkt ist aber europäisch und die Steuerbeziehungen häufig international. Deshalb ist es so wichtig, dass die Steuerbehörden in Europa eng zusammenarbeiten können, um Steuerbetrug, Steuerflucht und aggressive Steuervermeidung wirksam zu bekämpfen.
Seit 1993 gibt es ein spezielles Programm der EU, um die Kooperation zwischen Steuerbehörden zu fördern. Das neue Fiscalis Programm sichert den Fortbestand und die Vertiefung dieser bestehenden Kooperationsmöglichkeiten bis 2027, im Rahmen des nächsten Mittelfristigen Finanzrahmens. Dafür stehen für die nächsten sieben Jahre 269 Millionen Euro zur Verfügung: hauptsächlich zur Investition in gemeinsame IT Systeme, Weiterbildung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Steuerfahnder*innen, sowie für den Austausch über die besten Erfahrungen in diesem Bereich. Im Zeitraum 2014 – 2020 waren 223,2 Millionen Euro aus dem Haushalt für das Fiscalis Programm bereitgestellt worden. Wenn man bedenkt, dass Großbritannien nun leider aus der EU ausgetreten ist, dann ist das eine deutliche Steigerung der Mittel im Vergleich zu den sieben Jahren davor.
Dank des Fiscalis-Programms konnten signifikante Mehreinnahmen erzielt werden. Laut Angaben der Kommission alleine zum Beispiel im Jahr 2015 Rückforderungen in Höhe von 591 Millionen Euro, die durch dieses Programm möglich waren. Das heißt, in einem Jahr nehmen wir doppelt so viel ein, als das gesamte Programm über sieben Jahre kostet. Hier zeigt sich, wie sinnvoll es ist, in gemeinsame IT Systeme zu investieren. Es ist einfach billiger zum europaweiten Austausch von steuerrelevanten Daten gemeinsame IT Lösungen zu entwickeln, anstatt das jedes Land für den bilateralen Austausch eigene Systeme entwickelt. Außerdem ist es auch gut für die Unternehmen in Europa, wenn sie zum Beispiel im “VAT Information Exchange System” nachschauen können, ob ihre Geschäftspartner in anderen Ländern tatsächlich ordentlich für die Umsatzsteuer registriert sind. Das hilft im Kampf gegen den sehr teuren Umsatzsteuerbetrug, selbst wenn es seit 20 Jahren nicht gelingt, hier eine gesetzliche Reform auf EU-Ebene durchzubringen. Es kommt also darauf an hier weiterzugehen. Das ist gerade auch wichtig für den automatischen Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden, so wie er in der europäischen Richtlinie zur Verwaltungszusammenarbeit in Steuerfragen vorgesehen ist. Zu der Umsetzung dieser Richtlinie hat das Parlament in einem anderen Bericht intensiv gearbeitet und musste leider feststellen, dass es bei der Erfüllung der Vorschriften immer noch hakt – wir werden hier also dranbleiben müssen.
Ich war als Berichterstatter für das Fiscalis Programm federführend für das Europaparlament an den Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission beteiligt. Den guten Vorschlag der Kommission konnten wir dabei in relevanten Punkten weiter verbessern, in einer guten Diskussion mit den Verhandlungsführer*innen für die Kommission und die Mitgliedstaaten. Hier die wichtigsten Erfolge:
- Das neue Programm legt klare Prioritäten fest, wohin die Zusammenarbeit gerichtet werden soll – nämlich genau auf die Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung, Steuerflucht und Steuerbetrug mit einer Aufzählung konkreter Ziele.
- Wir haben die Bedeutung von gemeinsamen Steuerprüfungen hervorgehoben, die über Ländergrenzen hinweg stattfinden und deutlich effektiver sind, als wenn nur Informationen ausgetauscht werden. Denn hier drohte ein Mangel an Finanzmitteln.
- Ebenso haben wir dafür gesorgt, dass Vertreter*innen von Steuerbehörden aus Entwicklungsländern an diesem Programm teilnehmen können.
- Was mir besonders wichtig war und was wir jetzt auch in diesem gemeinsamen Beschluss erreicht haben, ist, dass es jährliche Fortschrittsberichte gibt, in denen auch dargelegt wird, welche Defizite durch die Zusammenarbeit aufgedeckt wurden. Das hilft uns anschließend bei der Gesetzgebung nachzubessern und erzeugt öffentlichen Druck.
- Darüber hinaus konnten wir erreichen, dass die Expert*innen im Rahmen dieses Programms keine Interessenkonflikte haben dürfen. Genauso, wie das für die Einbeziehung von Expert*innen in anderen europäischen Programmen auch Standard ist oder zumindest sein sollte.
- Schließlich war es in der letzten Phase der Gesetzgebung noch wichtig, dass wir dafür gesorgt haben, dass es ein jährliches Treffen zwischen den Abgeordneten aus dem Europaparlament und dem Rat gibt. Ziel ist es, über die Fortschritte und Defizite zu reden, um die Kooperation in Steuerfragen kontinuierlich zu verbessern. Die Zusage zu diesen jährlichen Treffen mit dem Europaparlament ist ein wichtiger Schritt dahin, dass wir Volksvertreter*innen in Steuerfragen in Zukunft mehr Mitsprachemöglichkeiten bekommen. Dafür setze ich mich schon lange ein. Solche direkten Gespräche sind Neuland im Bereich der Finanzpolitik.
Da im Vorfeld der Plenardebatte keine Änderungsanträge und kein Widerspruch eingereicht wurde, ist das neue Fiscalis Programm gestern Abend (19. Mai) für angenommen erklärt worden. Das Europaparlament stellt sich damit geschlossen hinter die Vertiefung der Zusammenarbeit in Steuerfragen, so dass keine finale Abstimmung nötig war. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, beim Rat und bei der Kommission für die Fortschritte bedanken, die wir im Bereich der Steuerzusammenarbeit erreicht haben. Außerdem bedanke ich mich ausdrücklich bei Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, der während der Plenardebatte gestern Abend zugesagt hat, dass seine Abteilung Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten wird, wenn sie gegen wichtige europäische Vorschriften für die Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden verstoßen. Ich werde darauf dringen, dass er dieses Versprechen einhält und ihm schon bald eine entsprechende, traurige Liste von Beispielen vorlegen. Denn erst recht nach der Conona-Krise und angesichts der dramatisch gestiegenen Ungleichheit können wir uns grassierenden Steuerbetrug, Steuerflucht und aggressive Steuervermeidung wahrlich nicht mehr leisten.
Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold
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Link zur Plenardebatte: https://multimedia.europarl.europa.eu/de/event_20210519-0900-PLENARY_vd?start=20210519201539&end=20210519205342
Erklärung des Rates zu jährlichen Treffen mit dem Europaparlament: “Der Rat nimmt das Interesse des Parlaments an mehr Transparenz in Bezug auf die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich der Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung zur Kenntnis. Im Zusammenhang mit dem Rechtsrahmen der Verträge, dem die interinstitutionellen Beziehungen unterliegen, erkennt der Rat den Mehrwert an, der dadurch entsteht, dass auf der Grundlage der jährlichen Fortschrittsberichte der Kommission ein jährlicher Gedankenaustausch mit dem Europäischen Parlament und der Kommission über die aus dem Programm „Fiscalis“ gewonnenen Erkenntnisse geführt wird.”
Weitere Informationen zum Weg des Gesetzestext’ im Parlament diese Woche (Abstimmung im Wirtschaft- und Währungsausschuss am Montag, 17. Mai, und Empfehlung für die zweite Lesung) hier: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0167_DE.html#title2
Alle Dokumente im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungsverfahren (auf Englisch) hier: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2018/0233(COD)
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P.S.: Eil-Petition: “Rettet den Europäischen Green Deal” – Das Jahrhundertprojekt des Green Deals droht zu scheitern. Denn EU-Staaten und allen voran die deutsche Bundesregierung blockieren jede Ambition beim Klimaschutz. Aber noch haben wir gemeinsam die Chance den Green Deal zu retten. Helft mit Eurer Unterschrift und ladet andere dazu ein: www.change.org/save-the-green-deal