Für alle, die am 21.6. nicht in Stuttgart dabei sein konnten und auch den Live-Stream verpasst haben, gibt es hier die gesamte Veranstaltung in 7 Teilvideos.
Der Entwurf des gemeinsamen Papieres von mir und Winfried Kretschmann wird derzeit noch um die Anregungen aus der Veranstaltung ergänzt und dann ebenfalls hier veröffentlicht.
1. Begrüssung und Input, Winfried Kretschmann, MdL:
2. Input, Sven Giegold, MdEP:
3. Anmoderation und Beitrag von Prof. Dr. Karl Gabriel, Institut für Christliche Sozialwissenschaft, Universität Münster:
4. Beitrag von Dr. Elisa Klapheck, Rabbinerin in der Jüdischen Gemeinde, Frankfurt am Main:
5. Beitrag von Yavuz Kazanc, Landesvorsitzender, Landesverband der Islamischen Kulturzentren in Baden-Württemberg e.V:
6. Podiumsdiskussion mit
– Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn, Staatsrätin a.D., Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen,
– Prof. Dr. Isolde Karle, Evangelisch-theologische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum,
– Dr. Kirsten Wiese, Humanistische Union:
7. Publikumsdiskussion mit allen Vortragenden:
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Kretschmann: Staat und Kirche nicht rigoros trennen
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Düsseldorf) sprechen sich gegen eine rigorose Trennung von Kirche und Staat aus. Sie favorisierten eine „kooperative Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften“, heißt es in einem am Freitagabend in Stuttgart vorgestellten Positionspapier. Religiöse Pluralität bewahre den Staat vor „Allmachtsphantasien“, umgekehrt fordere die Kooperation die Religionsgemeinschaften heraus, anschlussfähig an die Gesellschaft zu bleiben.
Kretschmann und Giegold verteidigen das Kirchensteuersystem. Es ermögliche im Gegensatz zu anderen Systemen die progressive Besteuerung, so dass Reiche mehr beitrügen als Andere. Außerdem bezahlten die Kirchen für diese staatliche Dienstleistung. Anderen Religionsgemeinschaften sollte es erleichtert werden, ihre Mitgliedsbeiträge ebenfalls über die Finanzämter einziehen zu lassen.
Auch das kirchliche Arbeitsrecht stellen die beiden Grünen-Politiker nicht grundsätzlich infrage. Allerdings gebe es in vielen Regionen Deutschlands ein „faktisches kirchliches Trägermonopol“, das es in katholischen Gegenden der lesbischen Ärztin oder dem wiederverheirateten Erzieher unmöglich machen könne, einen Arbeitsplatz zu finden. Freie Träger sollten nur so lange Vorrang haben, wie ihr Anteil am Sozialmarkt ihrem Anteil an der Bevölkerung entspreche. Außerdem sollte es auch in kirchlichen Einrichtungen ein Streikrecht geben.
Sonn- und Feiertage müssen dem Papier zufolge geschützt bleiben. In Zukunft werde aber ein besonderer Schutz für manche Feiertage, etwa durch Tanzverbote, wegfallen. Die Autoren wünschen sich weiterhin Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Dieser sei Voraussetzung für einen fundierten interreligiösen Dialog und schütze vor religiösem Extremismus.
Die beiden Grünen-Politiker greifen mit ihrem Papier in die Debatte ihrer Partei über ein künftiges Religionsverfassunsgrecht ein. Eine Kommission der bayerischen Grünen hatte im September 2010 dazu einen Bericht vorgelegt. Diesem Bericht werfen Kretschmann und Giegold vor, den Nutzen der Kirchen für die Gesellschaft und als Korrektiv für den Staat zu wenig zu berücksichtigen. Die baden-württembergische Landesregierung hat nach Kretschmanns Worten eine Änderung des Religionsverfassungsrechts nicht auf ihrer Agenda.
Bei der anschließenden Diskussion des Papiers forderte der Landesvorsitzende der Islamischen Kulturzentren in Baden-Württemberg, Yavuz Kazanc, ein Ende des Kopftuchverbots für Lehrerinnen. Dieses Verbot diskriminiere und unterdrücke praktizierende Musliminnen. Außerdem sollten die drei höchsten islamischen Feiertage staatlich geschützt und islamischer Unterricht an öffentlichen Schulen angeboten werden. „Wir wollen als Partner der Zivilgesellschaft endlich ernstgenommen werden“, sagte Kazanc.
Die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck forderte den Staat auf, sich für die innerreligiöse Freiheit einzusetzen. Sie habe vor Jahren gegen die jüdische Gemeinde in Berlin geklagt, weil diese in ihren Statuten nur Männer im Gemeindevorstand vorsah. Ein Gericht habe ihre Klage abgewiesen. „Der Staat fördert damit reaktionäre Tendenzen“, kritisierte Klapheck. (1291/22.06.2013)
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Winfried Kretschmann
23.06.2013
Die Grünen und die Kirchen: neues Positionspapier : Für eine freundliche Sicht
Bei den baden-württembergischen Grünen kam am Wochenende die Gretchenfrage auf: „Nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?“ Und zwei Parteimitglieder beantworteten sie ganz anders als andere zuvor.
Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident, und Sven Giegold, der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion im Europäischen Parlament, gaben dabei eine ganz andere Antwort als die bayerischen Grünen in einem Papier von 2010. Die Kretschmann-Giegold-Stellungnahme soll nach dem Willen ihrer Autoren dazu beitragen, die parteiinterne religionspolitische Debatte öffentlich und kontrovers zu führen.
Rückblende: Die bayerischen Grünen forderten vor drei Jahren in einem Papier, historisch gewachsene Rechte der christlichen Kirchen solle der Staat schrittweise ablösen. Konkordate seien nicht mehr zeitgemäß. Kirchliche Einrichtungen wie Kindergärten und Pflegedienste sollten dem normalen Arbeitsrecht unterworfen werden. Kritik gab es auch am Institut der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die beiden großen Kirchen waren empört, auch Politiker anderer Parteien ließen kein gutes Wort an dem Papier.
Nun taten sich zur Formulierung einer parteiinternen Gegenposition mit Kretschmann und Giegold zwei Grüne zusammen, die in den beiden großen Kirchen bestens vernetzt sind. Kretschmann ist seit Jahren Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Attac-Mitbegründer Giegold gehört der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) an.
Frommer, als man glaubt
Aus Kretschmanns Sicht sind indes „viele Grüne frommer, als man glaubt“. Dies zeige etwa die Haltung der Partei zur Embryonenforschung. Zwar sei religiöser Pluralismus anstrengender und schwieriger als etwa das in Frankreich praktizierte Modell des Laizismus, doch die deutsche Variante habe einen Mehrwert, von dem alle profitierten. Zudem müsse es immer der Anspruch seiner Partei sein, die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu stärken. Ausdrücklich äußerte sich der Ministerpräsident und Bundesratsvorsitzende als Parteipolitiker, denn Religionsverfassungsrecht stehe bei der baden-württembergischen Koalition „nicht auf der Agenda“.
Auch für Giegold steht fest, dass die Kirchen Haltungen prägten, „von denen wir alle profitieren und die deshalb auch förderungswürdig sind“. Die Debatte über die Kirchen sei deshalb auch eine Debatte über Gemeinschaften und Staat insgesamt. In diesem Zusammenhang wurde auch das Zitat des früheren Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde bemüht, wonach „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann“.
„Sehr fruchtbare Anstöße“
Trotzdem sangen Kretschmann und Giegold nicht nur Kirchenlieder: Für sie ist klar, dass der staatliche Umgang mit den Religionen geändert werden müsse, weil es, vor allem durch die Muslime in Deutschland, eine religiöse Pluralisierung gebe. Prinzipiell wollen Kretschmann und Giegold zwar am kirchlichen Arbeitsrecht festhalten, halten es aber nicht mit dem christlichen Auftrag für vereinbar, eine lesbische Ärztin oder einen wiederverheirateten Erzieher nicht zu beschäftigen. Auch das Streikrecht sei mit dem Tendenzschutz kirchlicher Arbeitgeber zu vereinbaren. Für „entbehrlich“ halten beide den Blasphemie-Paragrafen im Strafgesetzbuch. Nötig sei jedoch Respekt vor den innersten Überzeugungen anderer.
Zur Diskussion ihrer Thesen hatten Kretschmann und Giegold Experten verschiedenster Richtungen nach Stuttgart eingeladen. Der Münsteraner Soziologe Karl Gabriel bescheinigte dem Papier „sehr fruchtbare Anstöße“. Auch die liberale Rabbinerin Elisa Klappheck sprach von einem „guten Ansatz zur Beschreibung des Staat-Kirche-Verhältnisses“.
Für Kirsten Wiese von der Humanistischen Union ist in der Kretschmann-Giegold-Vorlage der Islam nur unzureichend berücksichtigt. Die katholische Tübinger Theologin Regina Ammicht Quinn plädierte für eine grundsätzliche Überprüfung kirchlicher Privilegien. Die Bochumer evangelische Theologin Isolde Karle warnte dagegen vor einem „Absolutismus der Gegenwart“. Wenn es viele kirchliche Angebote wie etwa Religionsunterricht nicht mehr gebe, habe „die Gesellschaft das größere Problem“.
Michael Jacquemain
(KNA)
http://www.domradio.de/nachrichten/2013-06-23/die-gruenen-und-die-kirchen-neues-positionspapier
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23. Juni 2013
Kirche und Staat
Prominente Grüne gegen rigorose Trennung
Stuttgart (idea) – Gegen eine rigorose Trennung von Kirche und Staat haben sich zwei prominente Mitglieder der Partei Bündnis90/Die Grünen ausgesprochen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Stuttgart) und der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion im Europäischen Parlament, Sven Giegold (Düsseldorf), stellten am 21. Juni in Stuttgart ein Positionspapier vor, das sich von anderen Stellungnahmen der Partei grundlegend unterscheidet. Während beispielsweise die Grünen in Bayern die historisch gewachsenen Bindungen zwischen dem Staat und den Kirchen schrittweise auflösen wollen, plädieren die Kretschmann und Giegold für eine „kooperative Trennung von Staat und Kirche“. Kretschmann zufolge erkennt der Staat den gesellschaftlichen Charakter von Religion ausdrücklich an. Dies sei die Grundlage dafür, dass die Kirchen durch den Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten an den Hochschulen und im Bildungswesen verankert seien. Giegold betonte ebenfalls, dass die Kirchen Haltungen prägten, „von denen wir alle profitieren und die deshalb auch förderungswürdig sind“. Die Politiker plädierten für Änderungen am kirchlichen Arbeitsrecht. Es sollte möglich sein, eine lesbische Ärztin oder einen wiederverheirateten Erzieher nicht zu beschäftigen. Auch das Streikrecht könne mit dem Tendenzschutz kirchlicher Einrichtungen vereinbart werden. Beide Politiker hoben hervor, dass religiöse Pluralität den Staat vor „Allmachtsphantasien“ bewahre und die Religionsgemeinschaften herausfordere, gesellschaftliche Entwicklungen wahrzunehmen. Zum religiösen Pluralismus in Deutschland gehöre auch der Islam. Kretschmann ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Giegold in der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentags
PS Sven Giegold: Der Bericht von idea ist an einer Stelle zum kirchlichen Arbeitsrecht falsch. Das entscheidende Zitat aus unserem Textentwurf heißt richtig: „Wir betonen noch einmal explizit: Aus unserer Sicht ist es nicht mit dem christlichen Auftrag vereinbar, eine lesbische Ärztin oder einen geschiedenen wiederverheirateten Erzieher nicht zu beschäftigen. Zudem meinen wir, dass das Streikrecht ein soziales Grundrecht darstellt, das auch mit dem Tendenzschutz vereinbar ist.“
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http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/politik/130623_gruene_religionspapier.php
Grüne stellen Gretchenfrage
Politik | 23.06.2013 – Stuttgart
Bei den baden-württembergischen Grünen kam am Wochenende die Gretchenfrage auf: „Nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?“. Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident, und Sven Giegold, der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion im Europaparlament, gaben dabei eine ganz andere Antwort als die bayerischen Grünen in einem Papier von 2010.
Die Kretschmann-Giegold-Stellungnahme soll nach dem Willen ihrer Autoren dazu beitragen, die parteiinterne religionspolitische Debatte öffentlich und kontrovers zu führen.
Empörung um früheres Positionspapier
Rückblende: Die bayerischen Grünen forderten vor drei Jahren in einem Papier, historisch gewachsene Rechte der christlichen Kirchen solle der Staat schrittweise ablösen. Konkordate seien nicht mehr zeitgemäß. Kirchliche Einrichtungen wie Kindergärten und Pflegedienste sollten dem normalen Arbeitsrecht unterworfen werden. Kritik gab es auch am Institut der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die beiden großen Kirchen waren empört, auch Politiker anderer Parteien ließen kein gutes Wort an dem Papier.
Nun taten sich zur Formulierung einer parteiinternen Gegenposition mit Kretschmann und Giegold zwei Grüne zusammen, die in den beiden großen Kirchen bestens vernetzt sind. Kretschmann ist seit Jahren Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Attac-Mitbegründer Giegold gehört der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) an.
Giegold: Wir profitieren von den Kirchen
Aus Kretschmanns Sicht sind indes „viele Grüne frommer, als man glaubt“. Dies zeige etwa die Haltung der Partei zur Embryonenforschung. Zwar sei religiöser Pluralismus anstrengender und schwieriger als etwa das in Frankreich praktizierte Modell des Laizismus, doch die deutsche Variante habe einen Mehrwert, von dem alle profitierten. Zudem müsse es immer der Anspruch seiner Partei sein, die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu stärken. Ausdrücklich äußerte sich der Ministerpräsident und Bundesratsvorsitzende als Parteipolitiker, denn Religionsverfassungsrecht stehe bei der baden-württembergischen Koalition „nicht auf der Agenda“.
Auch für Giegold steht fest, dass die Kirchen Haltungen prägten, „von denen wir alle profitieren und die deshalb auch förderungswürdig sind“. Die Debatte über die Kirchen sei deshalb auch eine Debatte über Gemeinschaften und Staat insgesamt. In diesem Zusammenhang wurde auch das Zitat des früheren Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde bemüht, wonach „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann“.
Nicht nur Kirchenlieder
Trotzdem sangen Kretschmann und Giegold nicht nur Kirchenlieder: Für sie ist klar, dass der staatliche Umgang mit den Religionen geändert werden müsse, weil es, vor allem durch die Muslime in Deutschland, eine religiöse Pluralisierung gebe. Prinzipiell wollen Kretschmann und Giegold zwar am kirchlichen Arbeitsrecht festhalten , halten es aber nicht mit dem christlichen Auftrag für vereinbar, eine lesbische Ärztin oder einen wiederverheirateten Erzieher nicht zu beschäftigen .
Auch das Streikrecht sei mit dem Tendenzschutz kirchlicher Arbeitgeber zu vereinbaren. Für „entbehrlich“ halten beide den Blasphemie-Paragrafen im Strafgesetzbuch. Nötig sei jedoch Respekt vor den innersten Überzeugungen anderer.
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Interview auf der Medienbühne des 98. Deutschen Katholikentages in Mannheim 2012
Zur Diskussion ihrer Thesen hatten Kretschmann und Giegold Experten verschiedenster Richtungen nach Stuttgart eingeladen. Der Münsteraner Soziologe Karl Gabriel bescheinigte dem Papier „sehr fruchtbare Anstöße“. Auch die liberale Rabbinerin Elisa Klappheck sprach von einem „guten Ansatz zur Beschreibung des Staat-Kirche-Verhältnisses“.
Für Kirsten Wiese von der Humanistischen Union ist in der Kretschmann-Giegold-Vorlage der Islam nur unzureichend berücksichtigt. Die katholische Tübinger Theologin Regina Ammicht Quinn plädierte für eine grundsätzliche Überprüfung kirchlicher Privilegien. Die Bochumer evangelische Theologin Isolde Karle warnte dagegen vor einem „Absolutismus der Gegenwart“. Wenn es viele kirchliche Angebote wie etwa Religionsunterricht nicht mehr gebe, habe „die Gesellschaft das größere Problem“.
Von Michael Jacquemain (KNA)