Die Staatschefs waren sich einig: Internationale Großkonzerne sollen künftig darlegen, wie viel sie in jedem Land verdienen – und wie viel sie an Steuern zahlen. Jetzt zeigt sich: Im Geheimen torpedieren die Europäer, was sie zuvor lautstark forderten
Von Alexander Hagelüken
München – Es klang so entschieden, was die Regierungschefs der größten Industrienationen im Juni forderten: ‚Wir rufen die OECD auf, eine allgemeine Vorlage zu entwickeln, wie multinationale Konzerne über ihre Gewinne und Steuern in jedem Land berichten.‘ Endlich ein Vorstoß dagegen, dass Großfirmen wie Apple, Starbucks oder Google gut verdienen, aber kaum Steuern zahlen. Dass Amazon in Deutschland nur 3,2 Millionen Euro ans Finanzamt entrichtet, obwohl der Umsatz zweitausend mal so hoch ist. Der Vorstoß klang so entschieden, aber womöglich scheitert er – und es bleibt an den Beschäftigten hängen, richtig Steuern zu zahlen.
Die Idee des G8-Gipfels im Juni war einfach: Internationale Unternehmen sollen aufschlüsseln, wie viel sie in jedem Land genau umsetzen, verdienen und wie viel Steuern sie zahlen. Riesiger Umsatz in Deutschland, aber dort kaum Zahlungen ans Finanzamt? Besteuerung vor allem in einem Land, in dem kaum etwas verkauft wird? Mit einem genauen Ländertableau könnten nicht nur Finanzbehörden die meist legale Verschiebung von Steuerlasten an den günstigsten Ort prüfen. Es könnten auch die Bürger sehen, was läuft, und darüber diskutieren – für das Image der Konzerne nicht unbedeutend. Aktivisten fordern so etwas schon seit Jahren. Im Sog der Enthüllungen über die Konten Reicher in Steuerparadiesen (‚Offshore-Leaks‘) machten sich das auf einmal die Regierungschefs der größten Nationen zu eigen. Aber was wird daraus?
In Europa, sonst international Vorreiter bei staatlichen Regeln etwa für den Klimaschutz oder die Finanzmärkte, wird das ganze nun hintertrieben. Noch vor dem G8-Gipfel hatten die EU-Regierungschefs am 22. Mai anvisiert, großen Unternehmen die ländergenauen Reports in einem neuen Gesetz vorzuschreiben. In den Verhandlungen von Parlament und Mitgliedsstaaten zu diesem Gesetz versuchen nun viele Regierungen, das ganze zu stoppen oder zumindest zu verzögern – das geht aus einem Protokoll der Gruppe der Mitgliedsstaaten hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. In der Sitzung vor drei Wochen erklärte der britische Vertreter unumwunden, er sei dagegen, ‚contre cette extension‘, wie es in dem französischsprachigen Protokoll heißt. Sofort danach unterstützte der Luxemburger die Briten: ‚Ok avec UK‘, vermerkt das Protokoll. Und die Niederlande, die ebenso wie Luxemburg oder Großbritannien gerne Firmen mit Niedrigsteuer-Modellen ins Land lockt, führt wortreich Einwände an.
Dass es Kontroversen gibt über die doch scheinbar eindeutigen Beschlüsse von EU- und G8-Gipfel, mag Beobachter überraschen, Experten weniger: Zu bekannt sind die unterschiedlichen Interessen in Europa, wo manche Staaten den Nachbarn eben gerne Firmen durch Steuerdumping abjagen. Deshalb scheiterten bisher jegliche Versuche, die ruinöse Konkurrenz durch Gesetze zu unterbinden, an der Einstimmigkeitsregel der europäischen Steuerpolitik – schon eine einzige Regierung kann eine Richtlinie durch ihr Veto stoppen.
Beim Plan für genaue Länderreports wären die Chancen ungleich besser: Das Gesetz über Financial Reporting braucht nur eine Mehrheit der Regierungen. Doch auch damit sieht es trotz des Votums des Brüsseler Gipfels vom Mai schlecht aus. Im Protokoll der Gruppe lässt sich nachlesen, dass sich von allen 28 Staaten nur Frankreich und Belgien klar für die Länderreports aussprechen. Auch die Bundesregierung zögert – und fordert erst mal eine Abschätzung der Folgen für ‚Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen, Kreditzugang und Stabilität des Finanzsystems‘. Also für ziemlich viel. Ein Sprecher erklärt, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unterstütze Länderreports gegenüber den Finanzbehörden. Eine Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit sei dagegen ‚eine ganz andere Frage‘. Die Ergebnisse von Firmen könnten aus den verschiedensten Gründen unterschiedlich ausfallen, und nicht nur wegen Gewinnverlagerung.
Der Grüne Sven Giegold aus dem EU-Parlament, das gemeinsam mit den Regierungen über das Gesetz entscheidet, hält die deutsche Abwartehaltung für einen Fehler. ‚Deutschland würde von den Länderreports profitieren, weil internationale Konzerne am Ende auch in Deutschland mehr Steuern zahlen würden‘. Giegold erwartet, dass Detailreports Überraschungen bringen. ‚Bisher sind immer US-Firmen das Beispiel für Steuervermeidung, weil da bessere Daten vorliegen. Ich glaube aber nicht, dass deutsche oder andere europäische Firmen immer die guten sind, die brav Steuern zahlen.‚ Genaue Übersichten könnten also enthüllen, wer sich in den Ländern Steuern spart, in denen er viele Produkte verkauft – und wer so den Beschäftigten und übrigen Steuerzahlern dieser Staaten die Aufgabe aufhalst, das Gemeinwesen zu finanzieren.
Was wird nun aus dem Plan, Transparenz in das Handeln der Großkonzerne zu bringen? Bei den Mitgliedsstaaten, die am 22.Oktober erneut tagen, stehen heiße Debatten bevor. Das Parlament hat sich bisher stets für mehr Transparenz eingesetzt, so für Banken und Rohstoffkonzerne, für die genauere Reports vorgeschrieben wurden. Diesmal ist das Parlament noch nicht entschieden. ‚Die Vermeidung von Steuerflucht ist ein wichtiges Ziel, braucht aber Augenmaß‘, erklärt der CDU-Abgeordnete Burkhard Balz. Von der Ausweitung der Berichte wären direkt mittelständische Firmen betroffen, und ‚das sehe ich kritisch‘.
(SZ vom 10.10.2013)