Liebe Freundinnen und Freunde,
Sie und einige weitere Interessierte haben mir eine kritische Rückmeldung zu meiner Petition zu “Transparenz und Integrität im Europaparlament” geschrieben. Ihre Kritik nehme ich sehr ernst und wir haben uns im Team vor dem Start der Petition auch mit den Vorwürfen gegenüber change.org befasst. Die Kritik an mangelndem Datenschutz von change.org, etwa durch die Nichtregierungsorganisation digitalcourage ist uns bekannt und teilen sie in etlichen Punkten auch. Ebenso haben wir change.org mit der Kritik konfrontiert und um Stellungnahmen bzw. Beseitigung solcher Probleme gebeten. Trotzdem haben wir uns in der Abwägung des Für und Wider für die Petition auf change.org entschieden.
Wir sind im Europaparlament auf öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen, gerade wenn wir uns als Grüne gegen mächtige Interessengruppen und ihre Lobbyisten durchsetzen wollen. Das ist auch der Grund, warum wir viele Plattformen von Unternehmen im Internet nutzen, obwohl fast alle schwere Mängel beim Datenschutz aufweisen und auch das Internet selbst zur Massenüberwachung genutzt wird: Wir verbreiten unsere Informationen auf facebook. Wir sind auf twitter. Wir listen unsere Webseiten auf google. Und so weiter. Ein Boykott dieser Angebote schiene mir nicht sinnvoll, denn dann würden wir die Durchschlagskraft unserer eigenen Anliegen massiv senken. Wir müssen, vereinfacht gesagt, im Internet dort präsent sein, wo die Menschen sich aufhalten. Nutzen wir diese Plattformen nicht, um zahlreiche Menschen für unsere Anliegen zu mobilisieren, schaden wir mehr uns selbst und unseren Zielen als den Anbietern dieser Plattformen. So ähnlich ist es auch mit change.org.
Keine andere Petitionsplattform ermöglicht uns, so viele Bürgerinnen und Bürger direkt mit unseren Forderungen zu erreichen. Insbesondere ermöglicht change.org Petitionen über verschiedene Sprachen hinweg zu verbinden. Keine andere Organisation, die uns offen steht, hat auch nur annähernd eine so große europaweite Nutzerschaft. So wurde über unsere Petiton zu den PanamaPapers in großen deutschen und französischen Medien berichtet und hat mit insgesamt über einer halben Millionen Unterschriften für großes Aufsehen gesorgt. Zudem hat change.org sehr viele Bürgerinnen und Bürger international ermutigt, selbst politisch aktiv zu werden. Change.org unterstützt die Initiatorinnen und Initiatoren auch, wirkungsvoller zu machen. Das ist ein Beitrag zu einer lebendigen Demokratie.
Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft mit WeMove.eu zusammenarbeiten, deren Server in der EU stehen, deren proeuropäische und gleichzeitig kritische Mission uns Grünen im Europaparlament auch näher sind. Ich habe den Aufbau von WeMove auch selbst aktiv unterstützt.
Die Datenschutz-Probleme von change.org stellen sich für uns vor allem so dar:
- Change.org hat seine Server auch für die europäischen Daten in den USA (wie viele andere Unternehmen im Internet), betont allerdings immerhin, sich an europäische Datenschutzstandards zu halten.
- Change.org wird vorgeworfen, Daten zu verkaufen. Das scheint uns jedoch zumindest in jüngster Zeit nur halbrichtig: Auf change.org können Organisationen ihre eigene Petitionen bewerben lassen. Sie wird dann potenziellen Unterstützern angezeigt. Change.org verkauft dabei keine Email-Adressen an solche Organisationen, sondern einen Werbeplatz auf ihrer Seite. Nutzer entscheiden selbst, wenn sie eine solche “gesponsorte Petition” unterzeichnen, ob ihre Daten der Organisation zur Verfügung stellen. Dazu müssen die Nutzer selbst einen Kasten anklicken, ohne dass dies Voraussetzung zur Nutzung der Petitionen von change.org ist. Genau diese Funktion nutzen wir auch. So haben bisher über 2.000 Unterzeichner*innen meiner aktuellen Petition angegeben, in Zukunft meinen Rundbrief bekommen zu wollen. Das ist ein großer Vorteil für meine Arbeit, die damit mehr Bürgerinnen und Bürger erreicht. Dafür bezahle ich allerdings nichts.
- Change.org ist eine offene Plattform, die auch rechten Gruppen offen steht. Dieser Punkt ärgert mich persönlich am meisten. Ich konnte zwar keine offen verfassungswidrigen Inhalte finden. Aber es gibt ausländerfeindliche Petitionen. Immerhin scheint change.org in Europa diesen Gruppen nicht zu helfen, während sie viele progressive Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen bei der Verbreitung ihrer Petitionen aktiv unterstützt. In den USA allerdings scheinen sie auch rechte Gruppen bei ihren Petitionen zu unterstützen.
Diese Kritikpunkte sind relevant. Ich werde change.org weiterhin damit konfrontieren und auf Verbesserungen drängen. Allerdings könnte ich ähnliche Kritikpunkte für fast alle Internet-Unternehmen auflisten, die wir trotzdem nutzen, um unsere Inhalte an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen und im Austausch mit ihnen zu bleiben.
Vor allem werden wir Grünen im Europaparlament nicht aufhören, mit den Mitteln der Gesetzgebung dafür zu sorgen, dass Grundrechte umfassend auch im Internet gelten. Mit der Verhandlung der Datenschutzgrundverordnung der EU haben wir hier wichtige Fortschritte erreicht. Das ändert letztlich auch die Bedingungen für Change.org.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Giegold