Sven Giegold

Semeta Interview: Eine Finanztransaktionssteuer ist ohne das Risiko von Verlagerungen möglich

Ein Interview mit Steuerkommissar Algirdas Semeta der französischen Tageszeitung „Les Echos“ zum Kommissionsvorhaben eine Finanztransaktionssteuer einzuführen:

Algirdas Semeta, EU-Kommissar für Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung
Algirdas Semeta, EU-Kommissar für Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung

Les Echos: Die Europäische Kommission, die bisher sehr zurückhaltend mit diesem Thema umgegangen ist, hat vergangenen Mittwoch einen Vorschlag für eine europäische Finanztransaktionssteuer vorgelegt. Woher kommt dieser Sinneswandel?

Semeta: Wir müssen unsere Entscheidungen aufgrund solider Analysen treffen. Letztes Jahr haben wir zwei Optionen zur Besteuerung des Finanzsektors vorgestellt, einerseits die Besteuerung von Finanzaktivitäten und andererseits die Besteuerung von Finanztransaktionen. Wir haben uns für Letztere entschieden, nachdem sie von Präsident Barroso, Frankreich und Deutschland beim G20-Gipfel vorgeschlagen wurde. Sobald sie auf europäischer Ebene eingeführt ist, wird es leichter, sie auch weltweit einzuführen. Unsere Risikoabschätzungen zeigen, dass eine europaweite Einführung ohne großen Verlust durchaus möglich ist, wenn einige Bedingungen berücksichtigt werden.

 

Les Echos: Welche wären das?

Semeta: Wir müssen eine möglichst breite gemeinsame Basis schaffen, sodass alle Finanzprodukte einbezogen werden: Aktien, Anleihen und Derivate. Die Steuersätze müssen sehr gering ausfallen, das heißt 0,1% für Aktien und Anleihen und 0,01 % für Derivate. Schließlich müssen wir für die Besteuerung das Wohnortkriterium – nicht den Ort der Transaktion – beibehalten, damit es eine gerechte Verteilung der Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten gibt.

 

Les Echos: Wie hoch werden die Einnahmen sein?

Semeta: Wir können zwischen 31,5 Milliarden und 54 Milliarden Euro einnehmen, wenn wir Devisengeschäfte mitbesteuern. Wenn wir traditionelle Ressourcen (das heißt Zölle), Mehrwertsteuereinnahmen und die beschriebenen Einnahmen aus der Transaktionssteuer zusammennehmen, kommen wir auf 60% des aktuellen EU-Haushalts. Für die Mitgliedstaaten ergeben sich daraus keine neuen Belastungen, da gleichzeitig ihre Beiträge zum EU-Haushalt, die immerhin 80 % desselbigen ausmachen, sinken würden. Neben den zu erzielenden Einnahmen soll die Steuer außerdem die Spekulation an den Finanzmärkten eindämmen, besonders das computergesteuerte Hochfrequenzhandeln.

 

Les Echos: Die Briten stehen dieser Steuer sehr skeptisch gegenüber. Gibt es eine Möglichkeit, sie von ihrem Nutzen zu überzeugen?

Semeta: Die Verhandlungen werden sehr schwierig sein. Alle steuerpolitischen Vorhaben auf europäischer Ebene brauchen ihre Zeit. Frankreich, Deutschland, aber auch Österreich, Finnland, Spanien, Griechenland und sogar Luxemburg sprechen sich für diese Steuer aus, genau wie das Europäische Parlament. Umfragen zufolge befürworten 61% der europäischen BürgerInnen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Im Hinblick auf Großbritannien ist zu beachten, dass sie inzwischen zwei Finanztransaktionssteuern eingeführt haben: eine auf die Aktivitäten und eine auf den Derivatehandel. Nichtsdestotrotz ist London immernoch der stärkste Finanzplatz in Europa…

 

Les Echos: Einige Nichtregierungsorganisationen werfen Ihnen vor, die Steuer Zweck zu entfremden, da sie eigentlich für Entwicklungsfinanzierung gedacht sein sollte.

Semeta: Ich denke, unser Vorschlag ist erst der Anfang. Die Mitgliedstaaten können über unseren Vorschlag hinausgehen, wenn sie das möchten. Außerdem werden wir weiterhin für eine globale Steuer eintreten. Wenn es uns gelingt, einen weltweiten Kompromiss zu schließen, könnten die Einnahmen auch anderen Zielen dienen.

 

Les Echos: Außerdem schlagen Sie vor, die Methoden der Mehrwertsteuerberechnung zu erneuern.

Semeta: Wir schlagen vor, das aktuell sehr komplexe System durch ein Einfacheres zu ersetzen, bei dem sich die Abgabe an die EU aus allen Gütern und Dienstleistungen berechnet, die in den Mitgliedsstaaten konsumiert werden und für die der reguläre Mehrwertsteuersatz gilt. Diese Bemessungsgrundlage ist harmonisiert. In Zukunft werden die reduzierten Sätze also nicht mehr eingerechnet. Auf dieser Grundlage wird dann ein Prozent an das EU-Budget abgeführt.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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