Sven Giegold

Regulierung des Versicherungsmarkts braucht demokratische Kontrolle

Am 19. Januar 2011 hat die EU-Kommission ihren Richtlinienvorschlag „Omnibus II“ vorgestellt. Die Richtlinie setzt die neue Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswirtschaft (EIOPA) und den Lissabon-Vertrag in der Versicherungsregulierung um. Leider versucht die EU-Kommission durch die Hintertür, die Umsetzung der beschlossenen europäischen Versicherungsregulierungen für bis zu 10 Jahre auszusetzen und zwar ohne Beteiligung der Parlamente. Dazu berichtet das Handelsblatt:

Handelsblatt vom 19.01.2011

EU-Kommission rüttelt an Kapitalregeln für Versicherer

Brüsseler Behörde will wichtige Elemente der EU-Richtlinie für zehn Jahre außer Kraft setzen und davon abweichende Eigenkapital-Vorschriften erlassen.

Ruth Berschens, Brüssel. Die EU-Eigenkapital-Richtlinie für Versicherer, genannt Solvency II, soll teilweise erst nach einer Übergangszeit von bis zu zehn Jahren wirksam werden. Das geht aus einem Richtlinienentwurf der EU-Kommission hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. Die Brüsseler Behörde reagiert damit auf zahlreiche Klagen aus der Branche. In Deutschland und anderen Staaten grassiert die Befürchtung, dass kleine und mittlere Versicherungsunternehmen die extrem komplexen und bürokratischen Solvency-IIVorschriften nicht erfüllen können. Die Richtlinie könnte am Ende zu einem Massensterben kleiner Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und damit zu einer unerwünschten Marktkonzentration führen, klagt die Assekuranz.
Die EU-Kommission trägt dem nun Rechnung – und löst damit prompt neuen Ärger aus. Im Europaparlament regt sich Protest. „Die EU-Kommission will wichtige Regeln der Solvency-IIRichtlinie für ein Jahrzehnt außer Kraft setzen und stattdessen am Parlament vorbei eigene Ausführungsbestimmungen erlassen“, beschwert sich Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen in der europäischen Volksvertretung. Davon betroffen seien wichtige Fragen wie die „Höhe und Qualität des Eigenkapitals oder die versicherungstechnischen Rückstellungen“.
Die Kommission entziehe so die Gestaltung des ganzen Versicherungsmarktes der notwendigen parlamentarischen Kontrolle. Dies sei „juristisch bedenklich“ und „nach der Finanzkrise erst recht nicht zu verantworten“, sagt Giegold. Stein des Anstoßes ist ein Richtlinienentwurf mit dem schönen Namen „Omnibus II“, den die EU-Kommission heute vorlegt. Ursprünglich sollte es sich dabei um ein rein technisches Regelwerk handeln. So sollte die Richtlinie die Kompetenzen der neuen EU-Versicherungsaufsichtsbehörde Eiopa regeln, die im Januar in Frankfurt ihre Arbeit aufgenommen hat.
Die politische Brisanz von „Omnibus II“ ist in Artikel 308 des Entwurfs versteckt. Dort sind eine ganze Reihe von Bestimmungen der Solvency-Richtlinie aufgelistet, die bis zu zehn Jahren ausgesetzt werden können, sofern die EU-Kommission eine anders lautende Ausführungsbestimmung erlässt. Mit der Arbeit daran hat die Brüsseler Behörde bereits begonnen. Erste Ergebnisse sind der Versicherungswirtschaft bereits zu Ohren gekommen und haben keine Begeisterung ausgelöst. Es gebe erhebliche technische Bauchschmerzen, heißt es in der Branche. Sie setzt deshalb darauf, dass mit der Vorlage der Omnibus-II-Richtlinie noch einmal eine Grundsatzdebatte über Solvency II beginnt.
Parlamentarier Giegold wundert sich derweil, wieso die Banken nach der Finanzkrise viel härter reguliert werden als die Versicherer. Die Banken müssten demnächst in einen Krisenfonds gegen mögliche Pleiten in der Branche einzahlen. Bei den Versicherern werde über so etwas noch nicht einmal geredet. Dabei habe die Finanzkrise auch Versicherungsunternehmen getroffen. Giegold verweist auf die 100 Milliarden Dollar, mit denen die US-Regierung den Versicherungsriesen AIG vor der Pleite retten musste. Giegold schlussfolgert: „Eine Debatte über einen Rettungsfonds für Versicherungen ist dringend notwendig.“

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Handelsblatt vom 20.01.2011

Versicherer lehnen weitere Rettungsfonds ab

Die Branche hält ihre eigenen Sicherungssysteme für ausreichend und sperrt sich gegen gesetzliche Regelungen.

Frank M. Drost, Thomas Schmitt, Berlin, Frankfurt. Die deutschen Versicherer halten nichts von einem zusätzlichen Rettungsfonds für ihre Branche. Bei ihren Kunden möchten die Unternehmen künftig lieber mit mehr Offenheit punkten. Als Vorreiter präsentierte sich in Berlin Marktführer Allianz, tatkräftig unterstützt vom Branchenverband GDV. Durch ihr Vorpreschen wollen sie gesetzliche Regeln verhindern.
Einen verpflichtenden Krisenfonds, um mögliche Insolvenzen zu bewältigen, hatte  der EU-Parlamentarier Sven Giegold (Grüne) im Handelsblatt vorgeschlagen. Für die Verbände GDV und private Krankenversicherung (PKV) geht der Vorschlag allerdings ins Leere. In Deutschland seien Insolvenzsicherungssysteme für die Lebensversicherung mit Protektor und für die Krankenversicherung mit Medicator schon seit langem bekannt, erklärte der GDV. Der Schutz für die Kunden sei hoch. Denn die Sicherungseinrichtungen führten die Verträge bei einer Anbieterpleite zu unveränderten Konditionen fort.
Die Verbände sehen sich im Übrigen durch die Europäische Kommission bestätigt. Diese plant, alle Versicherungskunden vor Insolvenzen zu schützen. Wie das umgesetzt wird, überlasse die EU aber den Mitgliedstaaten. Das Prinzip findet der GDV gut: Nur wenn die Sicherungssysteme zu den Besonderheiten der einzelnen Märkte und Produkte passten, könnten Kunden optimal geschützt werden. Auf Bewährtes sollte man nicht ohne Not verzichten. Ein neuer europäischer Fonds oder die gegenseitige Unterstützung nationaler Sicherungssysteme würde dagegen falsche Anreize für Aufsicht und Unternehmen setzen.
Der PKV-Verband sieht seine Branche zudem gut aufgestellt. Selbst in der Finanzmarktkrise sei der Garantiezins von 3,5 Prozent stets übertroffen worden. Für den FDP-Finanzexperten Björn Sänger hat der  Vorschlag des Europaabgeordneten Giegold dagegen durchaus Charme. Dabei hat Sänger insbesondere die Debatte über eine stärkere Gläubigerhaftung bei Staatsanleihen im Kopf. Wenn Schuldenschnitte, sogenannte Haircuts, beispielsweise für griechische Anleihen nicht länger ausgeschlossen würden, müsse man sich natürlich Gedanken über die finanzielle Verfassung von Versicherern machen, die zu den großen Anleihen-Investoren gehören. Es sei im staatlichen Interesse, wenn Versicherer, denen viele ihre Altersvorsorge anvertraut hätten, im Notfall aufgefangen würden.
Die Versicherer glauben dagegen, dass sie mit mehr Transparenz das Vertrauen der Kunden erhalten können. Künftig will die Allianz zum Beispiel die effektive Rendite auf die gezahlten Beiträge in ihren Produktinformationen nennen. Das entspricht einer Forderung der Verbraucherschützer. Bisher nennt die Branche in ihren jährlichen Zinsdeklarationen eine Zahl, die sich nur auf den Sparanteil der Beiträge bezieht – nach Abzug der Kosten des Versicherers. Dadurch sind Vergleiche mit anderen Anlageformen nur sehr schwer möglich. Allianz-Leben-Chef Maximilian Zimmerer geht davon aus, dass die Branche dem Vorbild der Allianz in diesem und dem nächsten Jahr folgen wird.

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Hier der Link zum Richtlinienentwurf der Kommission (für Laien unverständlich):

http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/committees/supervision/omnibus2/com2011_en.pdf

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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