Der Verfassungsausschuss des Europaparlaments hat heute den Bericht für “Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen” mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Nur die deutschen Christdemokraten stimmten gegen den Bericht. Der Bericht war bereits im September 2016 abstimmungsreif, aber Konservative (CDU/CSU bzw. EVP), Sozialdemokraten und Liberale hatten damals die Abstimmung verhindert. Viele der besonders umstrittenen Regeln für Abgeordnete wurden dann bereits im Corbett-Bericht über die Änderung der Geschäftsordnung des Europaparlaments entschieden.
Der Giegold-Bericht für “Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen” wird in einigen Wochen im Plenum abgestimmt. Er setzt auch einen Rahmen für die Position des EU-Parlaments zum Transparenzregister für Lobbyisten. Repräsentanten aller Fraktionen arbeiten dazu an einem Mandat für die Verhandlungen über eine Überarbeitung der “Interinstitutionellen Vereinbarung” zwischen Parlament, Kommission und künftig eventuell auch dem Rat der Mitgliedstaaten. Eurogruppe und EU-Agenturen sollen besser parlamentarisch kontrolliert werden.
Den Beschluss des Verfassungsausschuss kommentiert Sven Giegold, Berichterstatter für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU Institutionen sowie Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament:
“Die heutige Abstimmung fordert große Schritte zu mehr Transparenz und Integrität der EU-Institutionen. Das Ansehen der EU-Institutionen wird steigen, wenn sie sich selbst starke Regeln gegen Interessenkonflikte und für mehr Transparenz geben. Das EU-Parlament legt wichtige Punkte zur Stärkung des Vertrauens in die EU-Institutionen vor, die in Junckers Weißbuch völlig fehlen. Nach den Skandalen um Manuel Barroso und Neelie Kroes verlangen wir EU-Abgeordneten eine wirkliche Reform des Verhaltenskodex für EU-Kommissare. Ehemalige Kommissare sollen mindestens 3 Jahre abkühlen, bevor sie als Lobbyist tätig werden können. Außerdem: Es muss eine unabhängige und strenge Prüfung neuer Beschäftigungen von ehemaligen EU-Kommissaren geben.
Europäische Politik muss für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer werden. Wir EU-Abgeordnete wollen, dass die Dokumente des Trilogs zwischen Parlament, Kommission und Rat endlich öffentlich zugänglich werden. Der Zugang zu Dokumenten muss nicht nur für die großen EU-Institutionen gelten, sondern auch für andere EU-Organe wie die EZB und den Europäischen Gerichtshof. Wir EU-Abgeordnete wollen die demokratischen Kontrolle aller wichtigen Organe der EU stärken.
Die EU-Abgeordneten fordern eine stärkere Transparenz beim Lobbyismus. Das EU-Transparenzregister muss mit deutlich mehr Ressourcen ausgestattet werden, damit die Daten über Lobbyisten aktuell und vollständig sind. In Zukunft sollen auch die Zuwendungen für Lobbyorganisationen ab einem Betrag von 3.000 Euro transparent gemacht werden. Es ist wichtig für die Bürger zu wissen, wer die Aktivitäten im Brüsseler Lobbydschungel finanziert. Bei der Selbstverpflichtung zu mehr Lobbytransparenz waren die EU-Abgeordneten nicht konsequent genug. Das Parlament fordert von der Kommission, dass alle Mitarbeiter, die Politik mitprägen, auch ihre Lobbytreffen offenlegen müssen. Bisher ist das zwar für Kommissare und Generaldirektoren vorgeschrieben, die Kommissionsmitarbeiter, die etwa über TTIP und CETA verhandelten, sind bisher aber nicht zu Lobbytransparenz verpflichtet. Diese Forderung des Parlaments an die Kommission ist richtig, aber zum Scheitern verurteilt. Die EU-Abgeordneten könnten nicht mehr Lobbytransparenz von Kommissionsmitarbeitern einfordern, aber für sich selbst lockerere Maßstäbe anlegen. Die Koalition der Blockierer im Parlament aus Christdemokraten, Liberalen und vielen Sozialdemokraten muss sich für die Plenarabstimmung einen Ruck geben und eine Selbstverpflichtung zu Lobbytransparenz mittragen. Nur so haben die Parlamentsforderungen an die Kommission und den Rat der Mitgliedstaaten eine Chance.”
Grüner Plan für Transparenz und Integrität: https://sven-giegold.de/2016/gruener-plan-fuer-transparenz-und-integritaet-im-europaparlament/
Ergebnis der Abstimmung über die Geschäftsordnung des Europaparlaments (“Corbett-Bericht”): https://sven-giegold.de/2016/ep-verhaltensregeln-eu-parlament-staerkt-seine-effizienz-und-integritaet-konservative-blockieren-lobbytransparenz/#
HINTERGRUND: Gewonnen und verloren im Verfassungsausschuss
BESCHLOSSEN
Mehr Lobbytransparenz
Der Rat der Mitgliedstaaten und deren ständige Vertretungen sollen nur registrierte Lobbyisten treffen. (COMP IV – Absatz 1 c)
Ausweitung der Lobbytransparenzregeln in der Kommission für alle politischen Mitarbeiter: Nicht nur Kommissare und Generaldirektoren sollten ausschließlich registrierte Lobbyisten besprechen und über sie öffentlich berichten. (Kompromiss X, Absatz 2)
Unregistrierte Lobbyisten sollen von Veranstaltungen in allen EU-Institutionen als Referenten, Gäste auf dem Gelände oder Experten in beratenden Gremien ausgeschlossen werden. (COMP XIII – Ziffer 2 c)
Alle Informationen über Lobbyismus gegenüber den EU-Institutionen sollen über einen One-Stop-Shop zugänglich sein. Dazu gehören Interessenkonflikte, Interessenkonflikte und Expertengruppen. (COMP XIV – Ziffer 3)
Lobby-Organisationen sollten alle Geber in ihre Budgets veröffentlichen, die mehr als 3 000 EUR geben. Spenden über 12 000 EUR sind unverzüglich zu melden. (KOMP XVIII Ziffer 6a)
Lobbyisten sollen sanktioniert werden, wenn sie Parlamentsanhörungen boykottieren oder während dieser Anhörungen unzureichende oder irreführende Informationen liefern. (COMP XXII – Ziffer 10)
Lobbyierende Anwälte dürfen nicht vom Berufsgeheimnis profitieren, sondern müssen alle Klienten offenlegen, für die sie im Rahmen des Transparenzregisters handeln. (KOMP XXIII – Ziffer 10 a, KOMP XXIV – Ziffer 11, KOMP XXV – Ziffer 11 a)
Das Sekretariat der Transparenzregistrierung sollte wesentlich mehr Ressourcen haben, um sicherzustellen, dass die Daten der Registrierten sinnvoll, genau, aktuell und umfassend sind. (KOMP XXVIII- Ziffer 13)
Der Rat sollte sich dem Transparenzregister anschließen, einschließlich seiner Vorbereitungsgremien. Die Mitgliedstaaten sollten zumindest dort Lobbytransparenzregeln einführen, wo EU-Gesetzgebung beeinflusst wird. (KOMP XX – Ziffer 8)
Die Drehtür zwischen EU-Kommission und Lobbyjobs schließen
Ehemalige Kommissare sollten mindestens 3 Jahre (statt 1,5 Jahre) warten müssen, bis sie Lobbyisten werden dürfen. (COMP XLV – Ziffer 22)
Diejenigen, die beurteilen, ob die neuen Jobs ehemaliger Kommissare regelgemäß sind, sollten unabhängig von den Betroffenen sein statt wie der derzeitige ad-hoc-Ausschusses von der Kommission selbst handverlesen zu werden. (COMP XLVI – Ziffer 22 a)
Eine Abkühlperiode von 18 Monaten sollte auch für externe und ad hoc-Mitglieder des Regulatory Scrutiny Board im Rahmen einer besseren Rechtsetzung und für Mitglieder des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank in Erwägung gezogen werden. (COMP XLVIII – Ziffer 22 c)
Die Integrität der EU-Kommission stärken
Die Rechte und Pflichten der Kommissionsmitglieder sollten in einem EU-Gesetz geregelt werden, das im üblichen Verfahren von Parlament und Rat der Mitgliedstaaten gemeinsam entschieden wird. Dies sollte die gegenwärtige Selbstregulierung der Kommission und den Mangel an Aufsicht durch das Parlaments ablösen. (COMP LV – Ziffer 26 a)
Die Kommission sollte alle Protokolle der Expertengruppensitzungen einschließlich der vertretenen Meinungsvielfalt veröffentlichen. Expertengruppen sollen ihr Veto dazu verlieren. (COMP LII – Ziffer 24 a)
Open government: Leichterer Zugang zu Dokumenten, mehr Transparenz im Rat der Mitgliedsländer
Der Zugang zu Dokumenten soll leichter werden auch für den Europäischen Rat, die Europäische Zentralbank, den Gerichtshof und alle EU-Organe und -Agenturen indem Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 auch für sie Anwendung findet. (COMP LVII – Ziffer 27)
Trilog-Dokumente sollen auf der Website des Parlaments wie andere Legislativdokumente öffentlich zugänglich sein. Dies gilt für Tagesordnungen, Zusammenfassungen von Ergebnissen, Protokollen und allgemeinen Ansätzen im Rat. (COMP LVII – Ziffer 27)
Der Rat der Mitgliedstaaten soll Dokumente, insbesondere Protokolle der Sitzungen der Arbeitsgruppen des Rates, veröffentlichen, die die Position der einzelnen Mitgliedstaaten klären. (COMP LVII – Ziffer 27)
Ob EU-Dokumente wirklich geheim sein müssen, sollte von einer unabhängigen Behörde zur Einstufung und Freigabe von Dokumenten überprüft werden. (COMP LVII – Ziffer 27)
Die Gremien, in denen das Parlament seine Agenda bestimmt, sollen ihre Dokumente veröffentlichen: Die Ausschusskoordinatoren, das Präsidium und die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden. (COMP LVII – Ziffer 27)
Mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht in den EU-Handelsverhandlungen
Dokumente über Handelsverhandlungen sollten so öffentlich sein wie von der Europäische Bürgerbeauftragten empfohlen, einschließlich Lobby-Meetings, Entwürfen von Tagesordnungen für Sitzungen, endgültige Tagesordnungen und Berichte nach Verhandlungen. (COMP LXI – Ziffer 38)
Wichtige handelspolitische Dokumente sollten dem Parlament leichter zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Abgrenzung des Umfangs, Mandate und Entwicklung von Verhandlungen (COMP LX – Ziffer 37 a)
Das Parlament sollte mehr über die Mandate für internationale Verhandlungen im Vorfeld der internationalen Verhandlungen entscheiden, anstatt nur das zu implementieren, was bereits international beschlossen wurde. Zu diesem Zweck solle die Kommission Leitlinien für die Annahme und Kohärenz der europäischen Standpunkte im Vorfeld von großen internationalen Verhandlungen einführen. Die Kommission sollte für die Vertretung in internationalen Organisationen und Gremien einen Verhaltenskodex für Transparenz, Integrität und Rechenschaftspflicht vorlegen und verwirklichen. (COMP LXV – Ziffer 41 a)
Ethik-Regeln für alle EU-Einrichtungen
Der Rat und andere EU-Organe oder Gremien ohne Verhaltenskodex sollten solche Ethik-Regeln einschließlich Sanktionen einführen. (COMP XL – Ziffer 20 b)
Mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht in der EU-Finanzpolitik
Bislang intransparente Gremien wie die Eurogruppe, der Wirtschafts- und Finanzausschuss, „informelle“ Ratssitzungen der Finanzminister (ECOFIN) und Euro-Gipfeltreffen müssen institutionalisiert, transparent und rechenschaftspflichtig werden. (COMP LXVI – Ziffer 42)
Whistleblower verbindlich schützen
Um Whistleblower zu schützen, sollte die Kommission umgehend einen Rechtsrahmen für ihren wirksamen Schutz vorschlagen. (COMP LXVIII – Ziffer 44)
Vorbeugung gegen Korruption stärken
Die Auswahl von Kandidaten für EU-Wahlen sollte strengeren demokratischen Mindestnormen genügen, beispielsweise der geheimen Wahl und angemessener Mitsprache der Parteimitglieder. (COMP LXIX – Ziffer 45)
Verurteilte Verbrecher, die der Korruption gegen die finanziellen Interessen der EU oder innerhalb von Mitgliedstaaten schuldig sind, sollen von der Kandidatur für EU-Wahlen ausgeschlossen werden. Für solche Disqualifizierungsverfahren, die in einigen Mitgliedstaaten bereits bestehen, wollen wir gemeinsame Mindeststandards festlegen. (COMP LXIX – Ziffer 45)
Die EU sollte so bald wie möglich Mitglied in der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) werden. (COMP LXX – Ziffer 45 a)
Die EU-Kommission soll den zweiten EU-Anti-Korruptionsbericht ohne weitere Verzögerungen veröffentlichen. Das Parlament antwortet damit auf das Schreiben von Kommissar Timmermans, in dem er von seinem Versprechen diesen Bericht vorzulegen, vor kurzem abgerückt war. (COMP LXXIII – Ziffer 46 b)
Interessenskonflikte bei wissenschaftlicher Expertise vermeiden
Zur Vermeidung von Interessenkonflikten und unangemessener Einflussnahme bei Studien, auf denen die EU-Gesetzgebung beruht, sollen z.B. Studien vor der Durchführung registriert werden. Auch falls der Auftraggeber unzufrieden ist, sollen die Ergebnisse dann trotzdem einbezogen werden. Die Kommission soll mehr in eigene Kapazitäten für unabhängige wissenschaftliche Gutachten investieren. (COMP LXXV – Ziffer 46 c)
Gemeinwohl-Interessen in EU-Beratungsgremien stärken
Experten, die Nichtregierungsorganisationen in EU-Beratungsgremien vertreten, sollen eine angemessene Entschädigung erhalten, damit schwächere Interessen besser vertreten werden. Dies entspricht der bewährten Praxis der europäischen Aufsichtsbehörden wie z.B. der Europäischen Bankenaufsicht. (COMP LXXVII- Ziffer 47 a)
Parlamentarische Kontrolle von EU-Agenturen stärken
Die Kommission soll dem Parlament Mitentscheidungsbefugnisse bei der Ernennung oder Entlassung von Direktoren der EU-Agenturen gewähren. (COMP LXXVI – Ziffer 47)
ABGELEHNT
Diese Vorschläge waren in meinem Entwurf des Berichts enthalten, aber in den Verhandlungen oder in der Abstimmung nicht durchsetzbar (Auswahl):
Ein Legislativer Fußabdruck bleibt rein freiwillig, auch für Berichterstatter und Ausschussvorsitzende, die von ihren Kollegen gewählt werden, um das Parlament durch die Gesetzgebung zu führen. (Absatz 1 und 5 im Berichtsentwurf)
Weder Abgeordnete noch Lobbyorganisationen sind verpflichtet, ihre Treffen zu veröffentlichen. Das Präsidium des Parlaments ist nur aufgerufen, Infrastruktur für diejenigen zu schaffen, die dies freiwillig tun wollen. (Abs. 1 und 9)
Keine Abkühlperiode für Europaabgeordnete: Sie können die Drehtür in Lobbyjobs direkt nach dem Ende ihres Mandat nehmen. (Abs. 21)
Der Ethikausschuss des Parlaments bleibt für eine Ergänzung durch externe Sachverständige verschlossen. Die Abgeordneten werden nur von anderen Abgeordneten geprüft. (Abs. 16)