Heute haben der Wirtschafts- und Währungsausschuss sowie der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments über einen entscheidenden Teil des europäischen Aufbauprogramms “Next Generation EU” abgestimmt. Die sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität umfasst 312,5 Milliarden € Zuschüsse und 360 Milliarden € Kredite (Preise von 2018), die die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abmildern sollen. Um diese zusätzlichen Investitionen zu finanzieren, wird sich die EU erstmals gemeinsam Geld an den Kapitalmärkten leihen. Die Mitgliedstaaten haften dafür aber jeweils nur mit ihrem Beitrag zum europäischen Haushalt, nicht mit ihrem gesamten Staatsvermögen. Das Europäische Parlament hat die solidarische und ökologische Ausrichtung dieses Aufbauprogramms nun vor den abschließenden Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat weiter gestärkt.
Das Parlament besteht dabei auf zwei Anforderungen, die die Nachhaltigkeit der Investitionen sicherstellen sollen: Zum einen ökologischen Mindeststandards, die alle nationalen Aufbauprogramme erfüllen müssen. Zum anderen sollen mindestens 40% aller Gelder explizit für Klimaschutzmaßnahmen und den Erhalt der Artenvielfalt ausgegeben werden. Die Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli verständigt, dass 30% aller Ausgaben im Programm “Next Generation EU” und im Mehrjährigen Finanzrahmen für den Klimaschutz eingesetzt werden sollen. Nachdem das Europäische Parlament bereits ein ambitioniertes EU-Ziel zur Reduktion der Treibhausgasemissionen beschlossen hat, fordert es auch bei kurz- und mittelfristigen Aufbauhilfen konsequenten Klimaschutz.
Mit 84 Stimmen dafür, 11 dagegen, und 4 Enthaltungen haben die beiden Ausschüsse soeben entschieden, den parlamentarischen Verhandlungsführer*innen sofort das Mandat für den Trilog mit der Kommission und dem Ministerrat zu erteilen und so den Weg von der Gesetzgebung hin zur Umsetzung weiter zu verkürzen.
Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:
“Die europäischen und ökologischen Errungenschaften dieses Aufbauprogramms sind historisch. Erstmals reagiert Europa auf eine Krise mit starker finanzieller Solidarität finanziert durch gemeinsame europäische Anleihen, die durch gemeinsame EU-Steuern zurückgezahlt werden. Zum ersten Mal gibt es in großem Stil gemeinsame Schulden, die allen Mitgliedstaaten zu gleichen Konditionen Zugang zu dringend nötigen Finanzmitteln geben.
Dieses Aufbauprogramm ist auch aus grüner Sicht ein wichtiger Erfolg, denn: Mindestens 269 Milliarden Euro werden bis 2027 europaweit in Klimaschutzmaßnahmen und den Erhalt der Artenvielfalt fließen! Und wir haben uns dafür stark gemacht, dass alle geförderten Projekte verbindliche ökologische Standards einhalten müssen. Die Kriterien für diese ökologischen Mindeststandards wurden vom Parlament so definiert, dass keine europäischen Gelder für fossile Gasinfrastruktur fließen dürfen. So soll das “do no significant harm” Prinzip angewandt werden, in Anlehnung an die bestehenden Kriterien für nachhaltige Geldanlagen. Diese Kriterien legen Emissionsgrenzwerte fest, die fossiles Gas nicht erreichen kann. Damit verhindern wir Investitionen in Gasinfrastruktur, die nicht mit den Pariser Klimazielen kompatibel sind. Denn wir müssen in die Zukunft investieren, nicht in fossile Investitionsruinen. Gut, dass sich die Christdemokraten hier bewegt haben. Jetzt muss das Europaparlament sein Verhandlungsmandat auch gegenüber den Mitgliedsstaaten durchsetzen.
Im Vergleich zu den Errungenschaften fallen die Kritikpunkte weit weniger ins Gewicht: Wir wollten das Aufbauprogramm stärker fokussieren, und zwar auf die Prioritäten grün, sozial und digital. Diese Liste ist nun um die Punkte Jugend, Wirtschaft und Resilienz verlängert worden, was die Prioritäten erheblich weiter fasst. Allerdings besteht das Europäische Parlament bei der Umsetzung des Aufbauprogramms in den Mitgliedstaaten auf wichtigen Aufsichtsfunktionen, so dass wir dennoch eine gute Ausgangsposition für eine starke Umsetzung haben. Gleichzeitig konnten wir höhere Ausgaben für eine unserer Kernforderungen sichern: 20% aller Gelder sollen in die digitale Transformation fließen. Und die Mitgliedstaaten müssen darlegen, welche Auswirkungen ihre Aufbaumaßnahmen auf die Geschlechtergerechtigkeit haben werden. Gerade angesichts der Veränderung der Lebensrealitäten vieler Familien zurück in Richtung traditioneller Rollenverteilungen auch in Deutschland müssen öffentliche Gelder gleichermaßen beiden Geschlechtern zugute kommen.
Jetzt kommt es vor allen Dingen auf die Verhandlungen mit dem Rat an, denn es sind weiterhin die Mitgliedstaaten, die den nötigen ökologischen Wandel behindern. Das kann meine Freude über diesen historischen Fortschritt für Europa aber heute nicht trüben.”
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