Sven Giegold

Appell von italienischen und deutschen Persönlichkeiten: Europäische Solidarität erfordert gemeinsame Anleihen

Heute wurde ein Appell von deutschen und italienischen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur veröffentlicht, in dem vier Forderungen zur Überwältigung der Coronakrise an die EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten gestellt werden (u.a. gemeinsame Anleihen). Zu den Erstunterzeichern gehören u.a Mario Monti und Enrico Letta (ehemalige Premierminister Italiens), Hans Eichel (ehemaliger Finanzminister Deutschlands) und der bekannte Europaabgeordnete a.D. Elmar Brok (CDU) sowie eine lange Reihe von Top-Ökonomen aus Italien und Deutschland. Initiiert wurde der Appell mit dem Titel  “We are together in this” von den Grünen-PolitikerInnen Sven Giegold MdEP, Franziska Brantner MdB und Alexandra Geese MdEP. Dazu sagt Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament:

“Europa befindet sich in einer entscheidenden Situation. Die Solidarität der europäischen Gemeinschaft steht auf der Probe. Die Coronakrise wurde von keinem Land allein verschuldet. Europäische Solidarität ist das Gebot der Stunde. Die Pandemie trifft uns als Europäerinnen und Europäer gemeinsam, wir müssen sie deshalb auch gemeinsam bewältigen. Statt europäischer Einheit, erleben nationale Spaltung unter den Regierungen. Eine Spaltung Europas ist die denkbar schlechteste Antwort auf diese gemeinsame Herausforderung. Die Bundesregierung befördert die Spaltung Europas. Europäische Solidarität bedeutet gemeinsame politische und finanzielle Verantwortung. Mit der Verweigerung von gemeinsamen Anleihen verweigert die Bundesregierung die nötige europäische Solidarität. Der deutsche Verweis auf ein ESM-Programm wird in Italien verständlicherweise als Verweigerung von Solidarität verstanden. Die Bundesregierung begeht einen historischen Fehler, der die europäische Gemeinschaft aufs Spiel setzt. Politische Verantwortung würde eine gemeinsame Fiskalpolitik der Eurozone bedeuten. Die Regierungen dürfen ihre Verantwortung nicht auf die Geldpolitik der EZB abwälzen. Beim anstehenden Euro-Finanzministertreffen sollte es ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Fiskalpolitik geben. Unser Appell zeigt, dass ein breites deutsch-italienisches Bündnis die Spaltung Europas nicht hinnehmen will. Europa muss in diesen schweren Tagen zusammenstehen. Wir sind in dieser Krise zusammen.”

Webseite des Appells: www.weareinthistogether.eu

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Hier der Appell im Wortlaut:

Wir fordern: Alle EU-Institutionen sowie die Mitgliedstaaten müssen sich dringend an einer gemeinsamen Anstrengung mit vier Schlüsselaktionen beteiligen:

1. Die EZB hat wichtige erste Maßnahmen ergriffen. Wir brauchen einen umfassenden finanziellen Schutzschild für Europa und den Euroraum.

2. Dies ist nicht nur die Aufgabe der Geldpolitik, sondern gehört auch demokratisch entschieden im Rahmen der Fiskalpolitik. Alle Mitgliedsstaaten der Eurozone müssen einen zuverlässigen und langfristigen Zugang zu den von der EZB ermöglichten Niedrigzinsfinanzierungen erhalten. Deshalb unterstützen wir die sofortige Eröffnung einer „Gesundheits“-Kreditlinie im ESM, mit fokussierten Bedingungen um sicherzustellen, dass die Kredite für genau definierte Kategorien von gesundheitsbezogenen Programmen verwendet werden, ohne dass zusätzliche Bedingungen gestellt werden.

3. Aber wir brauchen auch eine Lastenteilung, da die Krise alle Länder gleichzeitig trifft und sich kein einziges Land aufgrund schlechter wirtschafts- oder finanzpolitischer Entscheidungen der Vergangenheit in dieser Krise befindet. Wir brauchen eine Lastenteilung, weil einige Länder sonst Gefahr laufen könnten, nicht genug für Gesundheit und eine rasche Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten ausgeben zu können. Dies würde nicht nur dem betroffenen Land schaden, sondern den gesamten Binnenmarkt gefährden. Wir fordern daher die Ausgabe von Europäischen Gesundheitsanleihen mit einem klaren und definierten gemeinsamen Ziel und unter Einhaltung gemeinsam vereinbarter Richtlinien. Dies würde es ermöglichen, die Last gemeinsam und auf demokratische Weise zu schultern.
4. Die Dringlichkeit besteht in der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie und ihrer unmittelbaren Folgen. Wir sollten jedoch Maßnahmen vorbereiten, die notwendig sind, um zu einem guten Funktionieren unserer Gesellschaften zurück zu kehren und zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung überzugehen, indem wir unter anderem Klimaschutz und die digitale Transformation integrieren. Dies erfordert eine koordinierte Ausstiegsstrategie, einen umfassenden Konjunkturplan und beispiellose Investitionen. Wir fordern die Präsidenten der Kommission und des Europäischen Rates auf, in Zusammenarbeit mit dem Europäischem Parlament und anderen Institutionen, insbesondere der EZB und der EIB, einen entsprechenden Aktionsplan vorzulegen.

Dieser Appell wurde von Franziska Brantner MdB, Sven Giegold MdEP und Alexandra Geese MdEP initiiert.

Zu den Erstunterzeichner*innen gehören Mario Monti, Enrico Letta, Lorenzo Bini Smaghi, Carolin Emcke, Francesca Melandri, Marcel Fratzscher, Sebastian Dullien, Elmar Brok, Tito Boeri, Michael Hüther, Peter Bofinger, Jens Südekum, Christoph Trebesch, Gabriel Felbermayr, Hans Eichel, René Obermann, Emma Bonino, Ulrike Guérot, Ruprecht Polenz, Jagoda Marinic, Amelie Deuflhard, Matthias Lilienthal, Giuliano Pisapia, Beatrice Weder di Mauro, Leoluca Orlando, Carlo Feltrinelli, Igor Levit, Aleida Assman und Lars Castellucci.

Der vollständige Text mit allen Unterzeichner*innen steht offen zur Mitzeichnung unter: www.weareinthistogether.eu

Mit hoffnungsvollen europäischen Grüßen,
Sven Giegold

PS: Für nächsten Mittwoch, den 8. April um 19:00 Uhr, lade ich ein zu einer  “Europäischen Corona-Konferenz” mit prominenten Grünen aus ganz Europa im Webinar-Format. Anmeldung ist bereits hier möglich: https://attendee.gotowebinar.com/register/8782037271504747532