„Banken erpressen immer noch Parlamente“
BZ – INTERVIEW mit dem Europa-Abgeordneten Sven Giegold (Grüne) über Schwierigkeiten und Versäumnisse bei der Regulierung des europäischen Finanzmarkts
FREIBURG. Die deutsche Wirtschaft ist erstaunlich schnell aus der schwersten Rezession seit Jahrzehnten herausgekommen – und viele Banken melden wieder Milliardengewinne. Doch welche Lehren hat Europa für seinen Finanzmarkt gezogen? Zu wenige, meint Sven Giegold (41),Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac-Deutschland und Europa-Abgeordneter der Grünen. Mit ihm sprach Arne Bensiek.
BZ: Herr Giegold, einige Banken machen schon wieder hohe Gewinne und zahlen ihren Managern großzügige Boni. Müssen sich Bankkunden um die Sicherheit ihres Geldes nun nicht mehr sorgen?
Giegold: Wer sein Geld auf einem Sparbuch liegen hat, kann beruhigt sein. Wer aber glaubt, mit dem aktuellen Aktienboom in die nächste Runde gehen zu können, dem würde ich zu großer Vorsicht raten. Weltwirtschaftlich ist die Krise überhaupt nicht vorbei. Es bleiben hohe Unsicherheiten: die Verschuldung der USA, die steigenden Öl- und Rohstoffpreise. Es kann noch keiner sagen, ob das zu einem weiteren Absturz führen wird.
BZ: Aber es sieht doch zumindest aus, als stünden wir in Deutschland jetzt besser da als andere Länder.
Giegold: Unsere mittelständisch geprägte, leistungsfähige Wirtschaft ist sehr schnell wieder auf die Beine gekommen. Andererseits ist Deutschland sehr exportabhängig. Daher war bei uns der Einbruch in der Krise auch besonders heftig. Die deutsche Wirtschaft ist stark und verletzlich zugleich.
BZ: Ist die Finanzwelt durch die Krise sicherer geworden?
Giegold: An den Rändern ja, aber im Zentrum der Probleme keinesfalls. Was die Besteuerung des Finanzsektors angeht, sind wir nicht substanziell weitergekommen. Wir haben Großbanken und einige große Versicherungsunternehmen, die faktisch vor dem Konkurs geschützt sind. Sie wissen, sie können weiterhin hohe Risiken eingehen, weil die Allgemeinheit sie retten wird. Damit erpressen die Banken immer noch die Parlamente.
BZ: Fällt Ihnen eine Bank ein, die Sie über die Klinge hätten springen lassen?
Giegold: Vor die Wahl gestellt, eine Bank zu retten oder den Zusammenbruch des Finanzsystems zu riskieren, ist es vernünftig, sich für die Rettung der Bank zu entscheiden. Trotzdem tut das weh, niemand mag diese Entscheidung. Nicht richtig war es aber, die Banken in Deutschland nicht gleichzeitig für eine gewisse Zeit zu verstaatlichen. Denn vor dem Steuerzahler müssen die Eigentümer haften. Der Bund hat die Banken mit stillen Einlagen gestützt, ohne dafür Entscheidungsgewalt zu verlangen.
BZ: Warum hat sich die Regierung denn selbst so schwach gemacht?
Giegold: Sie hat sich offensichtlich gescheut, die Interessen der Steuerzahler vor die der Finanzlobby zu stellen. Die Schieflage der Dresdner Bank sollte zum Beispiel die Allianz nicht belasten. Daher hat der Bund der Allianz zu einem guten Preis die Trennung von der maroden Dresdner Bank ermöglicht. Diese ganze Aktion war eine Subventionierung der Allianz auf Kosten der Steuerzahler …
BZ: … die damit das Risiko tragen.
Giegold: Ja, und das hat mit Sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Wenn man eine Großbank führt und mit dem Geldwesen einen Teil der öffentlichen Infrastruktur stellt, hat man faktisch eine Art öffentlichen Schutz. Aber man muss umgekehrt auch haften, wenn man seinen Laden in den Sand setzt.
BZ: Immerhin gibt es neue Eigenkapitalregeln für Banken.
Giegold: Noch gelten die Regeln nicht, und wie sie im Detail aussehen werden, ist noch gar nicht entschieden. Die wichtigste Frage ist, ob Großbanken zukünftig relativ mehr Eigenkapital zurücklegen müssen als zum Beispiel Volksbanken und Sparkassen, die als kleine Banken kein Systemrisiko darstellen. Stattdessen beschließt die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Bankenabgabe, die alle Banken belastet. Die Sparkassen und Volksbanken sind zurecht stinksauer. Sie, die die Realwirtschaft mit Krediten versorgen, sollen jetzt dafür bezahlen, dass andere Banken spekulieren und das gesamte Systemgefährden.
BZ: Wie sehr hilft es, dass Hedgefonds sich in Europa nun registrieren müssen?
Giegold: Das ist ein Fortschritt. Was wir aber eigentlich wollten, ist, dass die Hedgefonds nicht mehr unbegrenzt mit wenig Eigenkapital und hoher Verschuldung an den Märkten spekulieren und so ein neues Systemrisiko schaffen. Die Chance, dies zu ändern, ist vergeben worden. Frankreich und Großbritannien wollten keine schärferen Regeln, ebenso die FDP.
BZ: Ist Europa lahm bei der Finanzmarktregulierung?
Giegold: Zum Teil. Wir haben jetzt eine Europäische Finanzmarktaufsicht mit neuen Behörden für Märkte, Banken und Versicherungen, die auch die Anleger als Konsumenten schützen sollen. Davon erhoffe ich mir Fortschritte. Die USA, bei denen man immer glaubt, sie wollen nicht regulieren, sind aber wesentlich weiter. Sie haben Maßnahmen gegen die Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen eingeleitet. Gegen die gleichen Vorhaben laufen in Europa die Lobbys Sturm.
BZ: Die starken Lobbys bremsen Europa bei der Regulierung aus?
Giegold: Wir brauchen länger, weil wir keinen europäischen Staat haben. Die Bürger in Europa wollen eine starke Rolle der Nationalstaaten, das heißt dann aber auch, dass europäisches Recht länger dauert. In der Finanzkrise ist das sehr schädlich, weil die Bürger zurecht schnelles Handeln erwarten. Die USA haben eine unabhängige Behörde für Finanzmarkt- Konsumentenschutz geschaffen. Bei uns gibt es keine ähnlich starke Institution.
BZ: Dafür haben wir ein Produktinformationsblatt für Finanzprodukte.
Giegold: Aber nicht jeder will Finanzexperte werden. Besser wäre eine Ampel: Bei Grün gehe ich kein Risiko ein, bei Rot habe ich hohe Risiken, Gelb liegt dazwischen. Das verstehen auch Leute ohne Wirtschaftsstudium. Schlimmer ist aber, dass Banken weiter nach Provision beraten. Vermittelt die Bank einen Immobilienfonds, bekommt sie zehn Prozent Provision, verkauft sie einen Bundesschatzbrief, ist es ein halbes Prozent. Wenn die Bank weiß, sie bekommt für ein Produkt 20-mal mehr, macht das die Beratung nicht gerade besser. Hier redet Verbraucherschutzministerin Aigner viel, harte Maßnahmen sind bislang Fehlanzeige.
BZ: Die öffentliche Forderung, die Finanzmärkte stärker zu regulieren, ist leiser geworden. Sind wir vielleicht doch zu glimpflich durch die Krise gekommen?
Giegold: Ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen sehr beunruhigt sind. Sie haben vielleicht ihren Arbeitsplatz nicht verloren, aber wegen der exorbitanten Staatsverschuldung sorgen sich viele.
BZ: Sie kämpfen für eine globale Finanztransaktionssteuer, die den Staaten Milliarden einbringen könnte, die aber derzeit weltweit nicht durchsetzbar ist. Ist es nicht an der Zeit, sich ein praktikableres Ziel zu setzen?
Giegold: Nein, wir sollten einfach mit dieser Steuer in Europa anfangen. In Großbritannien gibt es schon eine Börsenumsatzsteuer, und zwar für die Segmente, die nicht abhauen können. Das können wir auch in ganz Europamachen. Die Einnahmen wären milliardenschwer. Die Großbankenverbände behaupten ganz bewusst, eine solche Steuer würde nur global funktionieren, um zu verhindern, dass sie kommt.