Sven Giegold

Beschluss des Grünen Bundesparteitags: Neustart für den fairen Handel – CETA-Vertrag nicht zustimmen

Mit überwältigender großer Mehrheit haben die Delegierten diesen von mir auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antragstext beschlossen. Er ist die Synthese verschiedener Anträge, die im Vorfeld gestellt worden waren. Der Hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir hielt die Gegenrede und bekam für seine Position nur ganz wenige Stimmen. Auch in Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen wollen die Aktiven in den Grünen ein klares Nein zu diesem CETA-Vertrag im Europaparlament, im Bundestag und gerade auch im Bundesrat. Denn wir Grünen wollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einen Neustart in der europäischen Handelspolitik, der sich an unserem Leitbild des fairen Handels orientiert. Denn nur fairer Handel ist wirklich freier Handel!

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Der beschlossene Text:

Neustart für den fairen Handel – CETA-Vertrag nicht zustimmen

Die europäische Bewegung gegen die Handelsabkommen CETA und TTIP gehört zu den Sternstunden der europäischen Demokratie. Sie hat es geschafft, weitestgehend intransparente Verhandlungen öffentlich zu machen und eine breite Diskussion über die komplizierten und vielschichtigen Handelsbeziehungen zwischen Europa, den USA und Kanada zu erzeugen. Gleichzeitig war und ist der Umgang der EU-Kommission und der Regierungen der Mitgliedstaaten mit den berechtigten Kritikpunkten der Zivilgesellschaft, aber auch vieler europäischer Parlamente absolut inakzeptabel. Der Versuch, der Wallonie die alleinige Schuld für das Hin und Her um die Vertragsunterzeichnung zuzuschieben, war dabei der peinliche Versuch, von den eigenen Versäumnissen abzulenken. Trotz der frühzeitigen Warnungen in Form von vielen ablehnenden Parlamentsresolutionen und Bedingungen an den Handelsvertrag, die vor geraumer Zeit formuliert wurden, wurden die notwendigen Nachbesserungen am Vertrag eben gerade nicht vorgenommen.

Wir Grüne teilen das Anliegen der Zivilgesellschaft, das von Hunderttausenden auf die Straße getragen wurde, und von über 2000 europäischen Regionen und Kommunen, den internationalen Handel fair und ökologisch zu gestalten. In der Konsequenz haben wir uns von Beginn an der kritischen Auseinandersetzung mit CETA und TTIP beteiligt und unsere politischen Ziele in anspruchsvolle Kriterien für gute Handelsabkommen übersetzt. Zumindest der CETA-Vertragstext liegt nun in fertiger Form vor. Wallonien und andere belgische Regionen haben mit der zwischenzeitlichen Blockade im Handelsministerrat demonstriert, dass die Ratfizierung des Abkommens in einem demokratischen Europa offen und kein Selbstläufer ist, trotz des enormen wirtschaftlichen und politischen Drucks.  Dennoch haben auch diese Nachverhandlungen den CETA-Vertragstext nicht substanziell verändert. Um den Schaden für Belgien und seine Wirtschaft zu begrenzen, wurden von europäischer Seite weitere Auslegungserklärungen hinzugefügt, deren ökonomische Wirksamkeit und rechtliche Verbindlichkeit unsicher sind. Hilfreich könnten die Klarstellungen sein, dass die Investitionsschiedsgerichte nicht vorläufig angewandt werden und Belgien weiterhin aus dem Abkommen aussteigen kann. Zunächst wurde mit der erfolgten Zustimmung des Handelsministerrats aber der Weg geebnet für den weiteren Abstimmungsprozess auf europäischer und nationaler Ebene. Durch die Einstufung von CETA als gemischtes Abkommen werden wir Grüne im Europäischen Parlament und im Bundestag über den Vertrag abstimmen. Im Bundesrat werden Landesregierungen mit Grüner Regierungsbeteiligung über die Ratifizierung entscheiden. Nach Jahren der Aufklärung, des Protests und der politischen Kontroverse kommt nun der Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen, die von uns definierten Kriterien anzulegen und den Vertragstext als Partei zu bewerten.

I Grüne Kriterien für fairen Handel

Internationale Handelsabkommen können globale Standards positiv prägen und sinnvoll
harmonisieren. Die Vorteile von multilateralen Verträgen, die von einer großen Gruppe von
Vertragspartner*innen geschlossen werden, überwiegen in dieser Hinsicht die von bilateralen
Vereinbarungen, wie sie derzeit zwischen der EU und vielen anderen Staaten, darunter Kanada oder die USA, angestrebt werden. Nicht zuletzt nach dem Abschluss des Pariser Klimavertrags muss der internationale Wirtschaftsverkehr dringend reformiert und entlang der Ziele einer nachhaltigen Transformation verändert werden. Für Handelsverträge, die diesen Ansprüchen genügen, haben wir Grüne deshalb umfangreiche Kriterien definiert:

  • Multilaterale Lösungen haben für uns immer Vorrang vor bilateralen Abkommen, die immer nur die zweitbeste Lösung sein können.
  • Das bestehende Schutzniveau darf nicht abgesenkt werden, indem Standards in den
    Bereichen Verbraucher*innenschutz, Arbeitsschutz, Umweltschutz, Datenschutz, soziale Sicherheit, kommunale Daseinsvorsorge, Kultur und Bildung angefochten oder aufgeweicht werden. Stattdessen müssen Stärkung und Ausbau von Standards Maxime der Handelspolitik werden.
  • Es dürfen keine Sonderklagerechte für Investoren geschaffen werden.
  • Die Verhandlungen sollten unter größtmöglicher Transparenz stattfinden. Dazu gehört auch die umfassende und frühestmögliche Unterrichtung von Europaparlament, Bundestag und Bundesrat.
  • Das europäische Vorsorgeprinzip muss gewahrt bleiben. Seine Stellung in der internationalen Handelspolitik sollte gestärkt werden. Mit dem Rückgriff auf die Regeln der WTO, wie sie im Rahmen der Zusatzerklärung bei CETA erfolgte, wurde genau das nicht erreicht, im Gegenteil: das europäische Vorsorgeprinzip wurde bislang mit der Auslegung eben dieser Verträge untergraben. Wir fordern eine Verankerung des europäischen Vorsorgeprinzips in künftigen Verträgen. Nur so können wir unsere Zulassungs- und Einfuhrregeln für gentechnisch veränderte Organismen und das Anwendungsverbot von Hormonen zu Mastzwecken erhalten sowie in vielen anderen Bereichen, etwa bei Pestiziden, die notwendige Weiterentwicklung zum Schutz von Mensch und Umwelt voran bringen. Daraus folgt unter anderem der Erhalt von Zulassungs- und Einfuhrregeln für gentechnisch veränderte Organismen und das Anwendungsverbot von Hormonen zu Mastzwecken.
  • Die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Tierhaltung darf nicht
    beeinträchtigt werden. Dazu gehört der Schutz regionaler Erzeugnisse,
    Qualitätssicherung in der Lebensmittelkette und keine weitere Monopolisierung der
    landwirtschaftlichen Strukturen. Die EU sollte bei Marktöffnungen im Agrarbereich weiterhin die Möglichkeit zur Anwendung der WTO-Schutzklauseln im Falle von Marktungleichgewichten behalten.
  • Handelsabkommen müssen die Ziele des Pariser Weltklimavertrags und den Umstieg von fossilen auf erneuerbarer Energien unterstützen.
  • Kultur sollte kapitelübergreifend vom Regelungsbereich des Abkommens ausgenommen werden, um die mitgliedsstaatliche Kulturhoheit zu erhalten.
  • Die Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen geschützt werden und die Anwendung der ILO-Kernarbeitsnormen gestärkt werden.
  • Es darf kein zusätzlicher Privatisierungs- oder Liberalisierungsdruck auf die
    öffentliche Daseinsvorsorge ausgeübt werden – Rekommunalisierungen müssen weiter möglich bleiben. Um die Entscheidungsfreiheit der kommunalen Gebietskörperschaften nicht einzuschränken, muss die öffentliche Daseinsvorsorge komplett vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen werden.
  • Zudem muss das europäische Subsidiaritätsprinzip umfassend beachtet werden.

Aus Grüner Sicht braucht es deshalb einen Neustart der europäischen Handelspolitik. Handel muss so gestaltet sein, dass er nachhaltigen Wohlstand und Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und eigenständige Entwicklung aller Länder ermöglicht und zur Verwirklichung der Menschenrechte beiträgt. Konsultationen zu handelspolitischen Fragen sollten nicht nur möglich, sondern Standard sein – und deren Ergebnisse sollten eine andere Berücksichtigung erfahren als die Ergebnisse der Konsultation zum Investitionsschutz, bei der sich 97% der Befragten gegen Schiedsgerichte aussprachen, ohne dass dies einen spürbaren Effekt gehabt hätte. Verhandlungsmandate dürfen von der Kommission nicht länger als „interne Rechtsakte“ behandelt werden, zu denen Europäische Bürgerinitiativen unzulässig sind.

Handelsabkommen als Gesamtpakete zu verhandeln steht aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen der demokratischen Willensbildung entgegen. Dort, wo große Pakete aus sehr unterschiedlichen Materien (Zollsenkungen, Regulierungskooperationen, Marktöffnungen, Investitionsschutz u.a.) über so verschiedene Sektoren wie Energie, Landwirtschaft und Kultur verhandelt werden, drohen am Ende bestimmte Positionen im Rahmen von Deals über Bord geworfen zu werden. Wir halten deshalb eine verbindliche und umfassende Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Mandatserstellung sowie –erteilung für nötig sowie eine Debatte darüber, ob das Prinzip „alles wird in einem Paket verhandelt“ einem transparenten Verhandlungsprozess nicht entgegensteht.

Die Debatte der letzten Monate um die Frage der Einstufung des CETA-Abkommens als gemischtes Abkommen war symptomatisch für die Sackgasse, in die sich die EU-Handelspolitik manövriert hat. Wir GRÜNE bekennen uns gerade angesichts der Debatte um CETA und TTIP zu einer gemeinsamen europäischen Handelspolitik. Angesichts des Gezerres um die Frage, ob CETA als gemischtes oder „EU-only“-Abkommen vorgelegt wird, tut auch eine konsistentere Beachtung der Zuständigkeiten in der Handelspolitik not. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Bundesregierung nicht bereits früher eine Klärung dieser Frage erwirkt hat. Zur Verschärfung der Situation hat auch beigetragen, dass die Kommission nicht bereits von sich aus einen Vorschlag zur Ausnahme der Teile von der vorläufigen Anwendung vorgelegt hat, die (auch) in nationalstaatliche Kompetenz fallen.

 

II Investor-Staat-Klagen: Konzern-Justiz im neuen Gewand

Der vorliegende CETA-Vertrag wird diesem umfangreichen Kriterienkatalog nicht gerecht. Im Gegenteil widerspricht er in zentralen Punkten unserer Auffassung von einem fairen
Welthandel.

Aus guten Gründen lehnen wir Grüne Sonderklagerechte für internationale Konzerne ab. Die bisherige Praxis hat gezeigt, dass sogenannte „Investor-Staat- Schiedsgerichte“ von
transnationalen Konzernen genutzt werden, um Entscheidungen demokratisch gewählter
Regierungen zu verurteilen und Staaten auf Entschädigungszahlungen zu verklagen.

Die EU, Die USA und Kanada verfügen über funktionierende und an rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichtete Justizsysteme. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum es ein System braucht, das ausländischen Investoren ein exklusives, zusätzliches Klageprivileg einräumt, welches inländischen Investoren, anderen gesellschaftlichen Gruppen oder dem Staat selbst nicht zur Verfügung steht. Investor-Staat-Schiedsverfahren schaffen zudem eine Parallelstruktur zum nationalen Recht, indem es weder einen Vorrang des nationalen Rechtsweges gibt, noch jemals ein nationales Gericht mit dem Rechtsstreit befasst gewesen sein muss.

Angesichts der massiven Kritik an den herkömmlichen privaten Schiedsgerichten hat die EU-Kommission das gewohnte System im CETA-Vertrag leicht abgeändert. Das neue „Investment Court System“ (ICS) kann unsere Bedenken aber nicht entkräften.

Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung der „Richter“ des ICS noch deren Stellung genügt den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten. „Richter“ des ICS haben weiterhin einen materiellen Anreiz, die Zahl der aussichtsreichen Klagefälle zu erhöhen. Das vorgesehene „right to regulate“ bleibt zu unspezifisch und würde die öffentliche Regulierungshoheit nur unzureichend schützen.Vielmehr würden Investoren sich auf weitreichend interpretierbare und einseitig auslegbare Rechtsbegriffe, wie eine „faire und gerechte Behandlung“ sowie „legitime Erwartungen“, berufen können, um juristisch gegen demokratische Regulierungen vorzugehen, die ihre Geschäftspraktiken einschränken. Der Deutsche Richterbund hat grundsätzliche Bedenken gegen die Einrichtung des ICS vorgebracht: „Der Deutsche Richterbund (DRB) hat erhebliche Zweifel an der Kompetenz der EU für die Einsetzung eines ICS. Durch das ICS würde nicht nur die Rechtssetzungsbefugnis der Union und der Mitgliedsstaaten eingeschränkt, auch das etablierte Gerichtssystem innerhalb der Mitgliedsstaaten und der EU würde geändert werden.“

Die Erfahrungen aus anderen Handelsabkommen wie NAFTA, der nordamerikanischen Freihandelszone, zeigen, dass sich solche Klagen oft gegen Umweltgesetze richten. Im Ergebnis würde demnach vor allem grüne Politik unter den unzumutbaren Vorbehalt gestellt, eventuell Schadenersatzansprüche und Kompensationen bis zu mehreren Milliarden Euro nach sich zu ziehen. Jüngstes Beispiel ist die Klage des kanadischen Energiekonzerns TransCanada gegen die USA. Weil die USA aus Umweltschutzgründen den Ausbau der Keystone-Ölpipeline untersagt hatten, reichte TransCanada kürzlich eine Klage vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht ein und verlangt Schadensersatz in Höhe von 15 Milliarden US Dollar.

Bereits jetzt enthalten rund ein Drittel der bestehenden Investitionsschutzverträge, die Deutschland abgeschlossen hat, keinen Investor-Staat-Schiedsmechanismus. Investitionen in diese Länder sind trotzdem durch den Vertrag besonders geschützt und können beispielsweise durch eine öffentliche Investitionsgarantie abgesichert werden. Wir fordern, alle bisher abgeschlossenen Investitionsschutzverträge nachzuverhandeln, mit dem Ziel, die Vereinbarungen zu den Investor-Staat-Schiedsgerichten aus den Verträgen zu entfernen. Darum brauchen wir aber einen multilateralen Ansatz damit eine ausgewogene Rechtsprechung stattfinden kann, die nicht einseitig Investoreninteressen den Vorrang gegenüber Gemeinwohlinteressen gibt.

 

III Harmonisierung auf niedrigem Schutzniveau

Mit CETA wird die wechselseitige Anerkennung und Harmonisierung von Produktstandards
angestrebt. Konkret läuft der Vertrag darauf hinaus, wichtige politische Regeln und
Instrumente des Verbraucher*innenschutzes abzuschwächen und auszuhebeln. Das
Vorsorgeprinzip, ein unerlässliches Wesensmerkmal europäischer Zulassungsverfahren, wird
durch CETA degradiert. Aus einem bewährten Leitprinzip wird im Vertragstext eine Randnotiz einzelner Unterkapitel. Stattdessen wird der nordamerikanische Ansatz der Risikoüberprüfung aufgewertet. Dadurch wird die rechtliche Grundlage von präventiven Erzeugungs- und Einfuhrverboten von risikobehafteten Gütern untergraben. Demnach müssten gefährliche Güter solange zugelassen werden bis deren Gefährlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist (etwa durch Todesfälle oder wiederholt auftretende negative Langzeitfolgen).

Die europäischen Standards in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion würden durch
CETA ebenfalls aufgeweicht werden. Die vereinbarte Kooperation bei gentechnischen Verunreinigungen, der sogenannten ‚low level presence‘ in Exportgütern, würde die bisherige Nulltoleranz schwächen. Mit dem neuen Leitprinzip der wissenschaftsbasierten Zulassung, würde auch die geltende Opt-out-Regel ins Wanken geraten. Sie erlaubt es einzelnen EU-Mitgliedsländern bislang, den Anbau von Genpflanzen nicht zu genehmigen.

Darüber hinaus existiert in Kanada kein Schutzsystem geografischer Herkunftsangaben. Von mehreren tausend Herkunftsangaben wie zum Beispiel dem Schwarzwälder Schinken werden im CETA-Vertragstext nur 173 Produkte erfasst. Auch Vorhaben wie die Kennzeichnung von Fleisch- und Milchprodukten, bei deren Erzeugung die Tiere mit Gentech-Futter gefüttert wurden, könnten nach Unterzeichnung von CETA nicht mehr umgesetzt werden. Die Entwicklung einer ökologischeren Landwirtschaft, an der Verbraucher*innen bewusst teilnehmen können, ist im Vertrag unzureichend verankert und kaum geschützt.

Zudem ist zu befürchten, dass bereits die vereinbarten Zollsenkungen in den Abkommen in sensiblen Bereichen einen Wettbewerbsdruck schaffen, der zu einer Verdrängung von Produkten und Dienstleistungen mit hohen Standards durch Produkte, die unter schlechteren Standards hergestellten wurden und damit billiger sind, führen könnte. Verschärfter Wettbewerb zu Lasten der Beschäftigten bzw. der Standards in den genannten Bereichen wäre absolut inakzeptabel. Besonders kritisch sind Zollsenkungen im Agrarbereich, insbesondere bei tierischen Produkten, wenn nicht parallel gemeinsame hohe Standards z.B. beim Tierschutz vereinbart werden. Die jüngsten Enthüllungen über die Zustände in den Ställen hoher Verbandsfunktionäre offenbaren, wie der Tierschutz in globalisierten Agrarmärkten zu Lasten von Quantität und Kosteneffizienz unter die Räder kommt. Dem darf die EU-Handelspolitik nicht durch weitere drastische Marktöffnungen Vorschub leisten.

 

IV CETA gefährdet öffentliche Daseinsvorsorge und staatliche Regulierung

Öffentliche Dienstleistungen stellen für multinationale Konzerne lukrative Sektoren für
Investitionen dar. Mit CETA wird der Versuch unternommen, diese für private Konzerne weiter zu öffnen und damit die Privatisierung und Liberalisierung der Daseinsvorsorge und
öffentlicher Gütern voranzutreiben. Das betrifft besonders auch die Länder und Kommunen. Wir Grüne stellen uns dieser Entdemokratisierung entgegen.

Besonders problematisch ist der dabei angewandte Negativlistenansatz. Anders als bei
Positivlisten, mit denen die WTO arbeitet, werden dadurch prinzipiell alle öffentlichen
Dienstleistungen für Konzerne geöffnet. Nur die im Vertrag explizit aufgezählten Bereiche
werden partiell von diesem Privatisierungsdruck ausgenommen. Durch die Klagemöglichkeiten von Konzernen unter dem Investitionskapitel werden selbst die wenigen Ausnahmen unter einseitigen Druck geraten und weiter ausgehöhlt werden. Wie löchrig die Ausnahmen sind,zeigt das Beispiel Wasser. Während die Trinkwasserversorgung formal nicht privatisiert werden muss, endet diese Regelung bereits bei den Abwasserdienstleistungen, für welche die Ausnahmen beim Marktzugang und der Gleichbehandlung ausländischer Investoren nicht gelten. CETA bedroht hier wie auch in anderen Bereichen die kommunale Selbstverwaltung.

Der CETA-Vertrag läuft im Endeffekt darauf hinaus, die Reichweite und die Effektivität von
sinnvollen sozial-ökologischen Regulierungen auszuhöhlen. In der Logik des Abkommens, das politische Entscheidungen wie Handelshemmnisse behandelt, ist es folgerichtig, den
demokratischen Institutionen ein koordinierendes Gremium voranzustellen. In der geplanten
regulatorischen Kooperation könnten wirtschaftliche Interessen möglichst frühzeitig
berücksichtigt werden. Dadurch könnte ein Forum entstehen, das Lobbygruppen und Verbände bereits vor den zuständigen Parlamenten über neue Gesetze informiert und sie in deren Aushandlung einbezieht. Da die Arbeitsweise der Gremien nur unzureichend festgelegt und Transparenz der Gremienarbeit in CETA nicht ausreichend vorgeschrieben wird, besteht hier die große Gefahr, dass insbesondere finanzstarke Lobbygruppen und Verbände große Einflussmöglichkeiten erhalten. CETA würde praktisch ein Frühwarnsystem für Wirtschaftslobbys etablieren. Denn nur besonders finanzstarke Lobbyorganisationen können sich die Einflussnahme leisten. Dass solche Befürchtungen nicht übertrieben sind, hat unter anderem die Verwässerung der europäischen Kraftstoffqualitätsrichtlinie gezeigt. Sie wurde bereits im Jahr 2009 eingeführt, um die Emissionen im Verkehr um sechs Prozent zu senken. Zu diesem Zweck sollten die verschiedenen Treibstoffarten klassifiziert werden, um die besonders klimaschädlichen, darunter Fracking-Öl aus Kanada, besser aussortieren zu können. Durch eine groß angelegte Kampagne gelang es Öl-Unternehmen und Verbänden die Durchführungsbestimmungen der EU in ihrem Interesse zu beeinflussen. Anders als es ursprünglich geplant war, muss die Zusammensetzung von importiertem Öl nun nicht mehr offengelegt werden – die Klassifizierung der Treibstoffe läuft damit komplett ins Leere. Dieser Fall sollte zur Vorsicht mahnen. Statt offizielle und dokumentierte Kontakte zwischen Verbänden und Parlamentariern aufwändig pflegen zu müssen, könnten Partikularinteressen über CETA verstärkt informelle und intransparente Einflussmöglichkeiten bekommen. Und dies zu einem sehr frühen Stadium, wenn Vorhaben noch in ihrer Grundausrichtung verändert bzw. ganz verhindert werden können.

 

Neue Mandate nach grünen Standards: CETA, TTIP und TISA stoppen.  

In der Gesamtschau bestätigt der fertig vorliegende CETA-Vertrag unsere seit langem
geäußerten Befürchtungen vor den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen des
Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada. Unsere Kritik konnte durch die Nachverhandlung nicht entschärft werden.

Wir Grüne kritisieren die grundsätzliche Ausrichtung der vorliegenden bzw.  verhandelten Freihandelsabkommen, zu denen neben CETA auch TISA und TTIP gehören. In der gemeinsamen Logik von CETA, TTIP und TISA werden Standards und Regulierungen zum Schutz von Mensch, Natur und Umwelt als Handelshemmnisse betrachtet. Ein wirksamer Umwelt- und Verbraucherschutz wird hingegen nicht als Ziel der Verhandlungen ausgegeben. Eine regulatorische Kooperation in dieser Form und eine Marktöffnung für kommunale Dienstleistungen lehnen wir ab. Die vom Rat beschlossenen Mandate zeigen prinzipiell in die falsche Richtung. Sie überschreiten zudem den engeren Regelungsbereich der Handelspolitik und greifen in die Kompetenzen der Mitgliedsländer und der deutschen Bundesländer ein.

Die Potenziale fairen Handels, den Lebensstandard zu heben, die Rechte
von Arbeitnehmer*innen zu stärken und die ökologische Transformation der Wirtschaft
voranzubringen, wurden nicht ansatzweise ausgeschöpft. Stattdessen dominieren jenseits der
wohlklingenden Präambeln die Gewinninteressen von institutionellen Anlegern und
transnationalen Konzernen. Die gemeinsame Auslegungserklärung zum CETA-Abkommen, die auch auf Betreiben der Bundesregierung entstand, ist reine Augenwischerei, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und parteiinterne Mehrheiten zu sichern. Ein Gutachten im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion stellt dazu fest, „dass die gemeinsame Auslegungserklärung die bisherige Kritik am CETA-Kapitel zum Investitionsschutz nicht relativiert, da für keine der umstrittenen und kritischen Punkte rechtssichere Verbesserungen oder Lösungen angeboten werden.“ In der Gesamtbetrachtung ergibt sich für uns Grüne folgende Bewertung des Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada:

CETA widerspricht den Kriterien, die wir Grüne an faire Handelsabkommen anlegen. Die
Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen bekundet deshalb ihre Ablehnung des fertig vorliegenden Vertragstextes und fordert die grünen Entscheidungsträger*innen in
Europa, dem Bund und den Bundesländern dazu auf, dem Handelsabkommen nicht zuzustimmen.

Stattdessen setzen wir Grüne uns weiterhin für Handelsabkommen ein, die transparent
verhandelt werden, nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien
ausgerichtet sind und zugleich die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen
Institutionen nicht in Frage stellen. Nur wenn Handelsabkommen diesen Maßstäben folgen,
können sie hilfreich zur Erreichung unserer politischen Ziele sein. CETA muss deshalb
gestoppt und die Verhandlungen zu dem EU-Kanada-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben neu aufgestellt werden. Das gleiche gilt für TTIP und TISA, deren Verhandlungen auf der Grundlage eines sozial-ökologischen Kriterienkatalogs neu gestartet werden müssen.  Die EU sollte gleichzeitig alles daransetzen, die multilateralen Verhandlungen im Rahmen der WTO nach den Maßstäben des fairen Handels neu zu beleben.

 

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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