Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Interessierte,
am 16.05. habe ich Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht! Mit den pauschalen Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen verstößt die neue Bundesregierung bewusst gegen Europarecht. Als Staatssekretär war ich für die Einhaltung des Europarechts durch die Bundesrepublik Deutschland in der Bundesregierung bis November 2024 federführend zuständig.
Noch nie hat eine neue Regierung eines großen Mitgliedslandes mit der quasi ersten Amtshandlung den Bruch europäischen Rechts in Kauf genommen. Dadurch wird die Grundlage der EU gefährdet, die auf dem Vorrang des Europarechts vor nationalem Recht beruht. Die europäische Glaubwürdigkeit Deutschlands hängt an der Einhaltung des Europarechts durch die Bundesregierung. Die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission hängt an der Durchsetzung des EU-Rechts auch gegenüber dem größten Mitgliedsland!
Den Wortlaut meiner Beschwerde findet Ihr und finden Sie unten samt meines Anschreibens an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Mich würde sehr freuen, wenn Ihr diese Initiative in den sozialen Medien verbreitet und unterstützen würdet:
https://bsky.app/profile/sven-giegold.de/post/3lp7du3tkd22h
https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7328742770439815168/
https://www.facebook.com/photo?fbid=1219918652837973&set=pcb.1219919639504541
https://x.com/sven_giegold/status/1922970305770738052
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Sven Giegold
P.S: Hier kann übrigens jeder und jede einen Verstoß eines Mitgliedstaats gegen EU-Recht ganz einfach bei der EU-Kommission melden:
https://commission.europa.eu/about/contact/problems-and-complaints/complaints-about-breaches-eu-law-member-states/report-breach-eu-law-eu-country_de
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Hier findet ihr meine Beschwerde:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrte Präsidentin von der Leyen,
mit großer Sorge beobachte ich den Umgang mit dem europäischen Recht durch die neue deutsche Bundesregierung bei der Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen. Als Staatssekretär war ich für die Einhaltung des Europarechts durch die Bundesrepublik Deutschland in der Bundesregierung bis November 2024 federführend zuständig.
Nach meiner Erinnerung hat noch nie eine neue Regierung eines großen Mitgliedslandes mit der quasi ersten Amtshandlung den Bruch europäischen Rechts in Kauf genommen. Dies gefährdet die Grundlagen der Europäischen Union, die auf dem Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht beruht. Insbesondere die pauschale Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen erfüllt das Kriterium der Nichtkonformität mit dem EU-Recht. Diese Zurückweisung erfolgt systematisch und nicht etwa nur in Einzelfällen.
Die Europäische Kommission wurde gegründet um die Einhaltung europäischen Rechts durch alle Mitgliedsstaaten zu überwachen. Vor 75 Jahren initiierte Robert Schuman die hohe Behörde, was wir gerade überall in Europa gefeiert haben. Die Einhaltung europäischen Rechts muss dabei für alle Mitgliedsstaaten verbindlich sein, auch für die größten und einflussreichsten. Auf diesem Prinzip beruht unsere Union. Das gilt ganz besonders für Rechtsverstöße mit den größten Auswirkungen auf Menschen und Unternehmen, wie sie hier in herausragender Weise gegeben sind. Gerade deshalb darf die EU-Kommission nicht in den Verdacht geraten, mit zweierlei Maß zu messen. Die Regierungen und die Öffentlichkeit mehrerer EU-Nachbarländer haben sich deutlich und laut über die Verletzung europäischen Rechts beschwert.
Daher bitte ich Sie formal als deutscher Bürger und als Unionsbürger gegen die Verletzung europäischen Rechts durch die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich vorzugehen. Die Kriterien für prioritäre Vertragsverletzungsverfahren aus der einschlägigen Mitteilung “Enforcing EU law for a Europe that delivers” vom 13.10.2022 sind in herausragender Weise erfüllt. Daher habe ich eine entsprechende Beschwerde heute im Portal der EU-Kommission eingereicht.
Mit freundlichen europäischen Grüßen
Ihr Sven Giegold
Stv. Bundesvorsitzender & europäischer Koordinator
Bündnis 90/Die Grünen
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- Sachverhalt/Problem
Zum Geschehen:
Der deutsche Innenminister Alexander Dobrindt hat am 06./07. Mai 2025 eine Weisung an die Bundespolizei erlassen. Darin wird die Bundespolizei angewiesen, ab sofort Menschen an den deutschen Grenzen, die ein Asylgesuch stellen, pauschal zurückzuweisen, weil sie ja aus einem angrenzenden sicheren Drittland eingereist seien. Eine Ausnahme davon gilt nur für Kinder, schwangere Frauen und andere vulnerable Gruppen. Die Bundespolizei hat daraufhin mit verstärkten Kontrollen an den deutschen Grenzen begonnen und angekündigt, der Weisung nachzukommen.
Rechtliche Würdigung:
Dieses Vorgehen führt zu einer systematischen Nichtanwendung von EU-Recht, insbesondere von Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-Verordnung). Deutschland verstößt damit gegen seine Pflichten aus Art. 288 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Der Innenminister beruft sich in seiner Weisung auf § 18 Abs. 2 Nr. 1 des deutschen Asylgesetzes (AsylG). Diese nationale Vorschrift sieht vor, dass einem Ausländer die Einreise zu verweigern ist, wenn er aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a einreist. § 26a AsylG nennt auch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als sichere Drittstaaten.
Dabei verkennt die Bundesregierung aber, dass deutsches Recht hier keine Anwendung findet, da einheitliche Regelungen des EU-Rechts vorgehen. Art. 3 der Dublin-III-Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, einen Drittstaatsangehörigen zunächst aufzunehmen. Anschließend muss der aufnehmende Mitgliedstaat dann das Verfahren zur Klärung, welcher Mitgliedstaat nach den Kriterien aus Artikel 7 ff. der Dublin-III-Verordnung für das Asylverfahren zuständig ist, durchführen. Eine pauschale Zurückweisung von Drittstaatsangehörigen, die an der deutschen Grenze ein Asylgesuch stellen, ist daher mit der Dublin-III-Verordnung unvereinbar.
Unklar war bisher, ob sich die Bundesregierung mit ihrem Vorgehen auch auf Art. 72 AEUV stützen will. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für Art. 72 AEUV aber bereits gar nicht vor. Zwar sieht Art. 72 AEUV die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vor, von EU-Recht abzuweichen. Nach Rechtsprechung des EuGH ist dies aber nur in “ganz bestimmte(n) außergewöhnliche(n) Fälle(n)” (EuGH, Urteil vom 02.04.2020 – C-715/17, C-718/17, C-719/17) möglich. Solche Verhältnisse sind hier aber nicht einschlägig. Insbesondere ist eine Überforderung Deutschlands nicht festzustellen, so ist z.B. die Zahl der Asylgesuche in der letzten Zeit sogar deutlich gesunken. Mit GEAS gibt es eine neue gemeinsame europäische Vereinbarung, über deren Wirksamkeit noch nichts bekannt ist. Bundeskanzler Friedrich Merz hat zwischenzeitlich öffentlich klargestellt, dass er keine Notlage ausrufen will.
Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Möglicherweise verstößt das Vorgehen der Bundesregierung daneben gegen weitere Vorgaben des EU-Rechts.