Sven Giegold

Brief von mir und Nicolae Stefanuta an Jens Spahn: Soziale und gesundheitliche Absicherung der EU-Arbeitnehmer*innen in Deutschland

13. Juli 2020

Soziale und gesundheitliche Absicherung der EU-Arbeitnehmer*innen in Deutschland

 

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,

während des Meinungsaustauschs zu den Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft im Ausschuss für öffentliche Gesundheit des Europaparlaments am 6. Juli 2020 haben wir jeweils die schlechte soziale und gesundheitliche Absicherung der EU-Arbeitnehmer*innen in Deutschland angesprochen. In Ihrer Antwort haben sie zwar unsere Sorgen geteilt, aber keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation angekündigt. Deshalb möchten wir Sie nochmals nachdrücklich bitten, als Ratspräsidentschaft die Initiative zu ergreifen und die umfassende soziale und gesundheitliche Absicherung aller EU-Arbeitnehmer*innen in Deutschland und Europa zu garantieren.

Die Corona-Krise hat die skandalösen Arbeitsbedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie offengelegt. Dabei ist der Skandal im Tönnies-Betrieb nur einer von vielen. Immer wieder hören wir von neuen Corona-Ausbrüchen. Diese betreffen überproportional oft EU-Arbeitnehmer*innen. Das Ende der Werkverträge in der fleischverarbeitenden Industrie ist ein erster Schritt, um die gesundheitlichen Gefahren einzugrenzen und für sozial gerechte Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Doch die schlechten Bedingungen, unter denen tausende weitere EU-Arbeitnehmer*innen als Werksarbeiter, entsandte Arbeitnehmer, Scheinselbständige, sowie informelle Beschäftigte leiden, werden so nicht verbessert. Fehlende Rechte und Würde sowie unanständig schlechte Bezahlung betreffen hunderttausende EU-Arbeitnehmer*innen alleine in Deutschland: Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, Frauen in der häuslichen Altenpflege, Paketlieferanten und Fernfahrer, Gebäudereiniger*innen, Ausgebeutete in sexuellen Dienstleistungen und Prostitution, Schwarzarbeit oder Scheinselbständigkeit am Bau und selbst in der Industrie werden ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet. Lange Subunternehmerketten und fragwürdige Arbeitsagenturen nehmen den Arbeitskräften ihren gerechten Lohn. Scheinselbständigkeit wird nicht unterbunden, sondern in vielen Branchen massenhaft geduldet. Auch die häufig prekäre Unterbringung von EU-Arbeitnehmer*innen ist weiterhin an der Tagesordnung.

Deutschland muss deshalb schnellstmöglich handeln. Den gesundheitlichen Schutz aller Arbeitnehmer*innen zu garantieren, muss eine Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft sein. Im Programm der Ratspräsidentschaft findet sich jedoch nur ein vager Verweis auf Saisonarbeitskräfte. Wir möchten Sie daher fragen: Was werden Sie darüber hinaus konkret unternehmen, um allen EU-Arbeitnehmer*innen den effektiven Zugang zu gesundheitlicher Absicherung zu gewährleisten? Wie werden Sie für gesunde Arbeitsbedingungen für EU-Arbeitnehmer*innen sorgen? Wie werden Sie im Gesundheits- und Pflegesektor für anständige Arbeitsbedingungen für Alle sorgen?

Wir zählen auf Ihre Initiative zum Schutz aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland und in der EU. Nutzen Sie die nächsten sechs Monate, um sich in Deutschland und Europa für sozial gerechte Arbeitsbedingungen für alle europäischen und internationalen Arbeitskräfte einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

MdEP Nicolae Ștefănuță
MdEP Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament

 

Link zum Brief: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2020/07/Brief_Nicolae-_tefanu_a-Sven-Giegold_13-Juli-2020.pdf

Rubrik: Klima & Umwelt, Wirtschaft & Währung

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