Sven Giegold

Chance vertan: Enttäuschende Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft in Sachen Steuergerechtigkeit

Liebe Freund*innen,

liebe Interessierte,

seit Monaten drängen wir darauf, dass im Rat der Mitgliedsstaaten ein wichtiger Vorschlag für mehr Steuertransparenz zur Abstimmung gestellt wird. Dieser Vorschlag sieht vor, dass Großunternehmen verpflichtet werden, über ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Land Bericht zu erstatten. Mit dieser Transparenz pro Geschäftsland wird dem Verschieben von Gewinnen in Steueroasen massiv erschwert. Das ist ein unerlässlicher erster Schritt hin zu fairer Unternehmensbesteuerung überall in Europa. Jetzt wäre die Zeit diese Steuertransparenz endlich zu beschließen. Denn viele Unternehmen mit lokalen Geschäftsmodellen leiden unter der Covid-Krise während Amazon & Co. Rekordgewinne machen und nicht mal ihre Gewinne anständig versteuern.

Nun hat Deutschland seit dem 1. Juli die Ratspräsidentschaft inne und kann dadurch sechs Monate lang bestimmen, was, wann und ob überhaupt Themen im Ministerrat besprochen und beschlossen werden. Und die Gestaltung der Tagesordnung sowie der Zeitpunkt einer Abstimmung haben mitunter großen Einfluss auf das Ergebnis einer Abstimmung.

Heute war das letzte Treffen der Minister*innen für Wirtschafts-, Industrie- und Forschungspolitik aus ganz Europa (genannt COMPET) während des deutschen Ratsvorsitzes. Das COMPET fällt u.a. in den Zuständigkeitsbereich von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD)  – und damit auch die Hoheit über die Tagesordnung. Dieses COMPET Treffen war eine der letzten Möglichkeiten in diesem Jahr, den Vorschlag für mehr Steuertransparenz zu diskutieren. Der Vorschlag selbst ist schon mehrere Jahre alt: die Kommission hat bereits 2016 einen Gesetzesvorschlag zu länderbezogener Steuerberichterstattung vorgelegt und das Parlament hat 2017 seine Position verabschiedet. Die Verzögerung während der deutschen Ratspräsidentschaft ist nun besonders enttäuschend, da erstmals die Aussicht auf eine Mehrheit im Rat bestand.

Damit ist klar: die Bundesregierung hat den sechsmonatigen Ratsvorsitz nicht für ehrgeizige Fortschritte, sondern für eine Blockade genutzt. Und das in einer Zeit, wo die öffentliche Hand dringend Einnahmen braucht, um die Corona-Wirtschaftshilfen und die nötigen Investitionen in unsere Zukunft zu stemmen. Es ist bitter, dass die CDU/CSU die länderbezogene Steuertransparenz in der Bundesregierung blockiert, während sie den Vorschlag im Europaparlament unterstützt. Es ist aber auch enttäuschend, dass die SPD hier nicht härter kämpft, nachdem Bundesfinanzminister Scholz zu Beginn der Ratspräsidentschaft Fortschritte in Sachen Steuertransparenz im Bundestag angedeutet hatte.

Es besteht nur noch eine kleine Chance auf eine Abstimmung über das Verhandlungsmandat des Rates im Ausschuss der Ständigen Vertreter*innen unter der deutschen Ratspräsidentschaft. Danach hat die portugiesische Regierung die Chance, es besser zu machen.

Im Juni hatte ich eine Petition an die Bundesregierung gestartet, um genau diese ernüchternde Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft noch zu verhindern. Bisher haben bereits mehr als 96.000 Menschen meinen Appell unterstützt. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir helfen, diesem wichtigen Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen. Es kann nicht sein, dass Großunternehmen von so simpler Steuerberichterstattung ausgenommen werden. Wir machen weiter! Und wenn es nicht unter der deutschen Ratspräsidentschaft entschieden wird, dann unter der portugiesischen!

Mit entschlossenen europäischen Grüßen

Sven Giegold

 

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