EU-Konferenz über das Verfahren zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte sieht Handlungsbedarf bei Defizit- und Überschussländern
Am 06. und 07. März veranstaltete die EU-Kommission in Brüssel eine Konferenz zum Umgang mit makroökonomischen Ungleichgewichten. Die versammelten Experten erörterten die Gründe für die anhaltenden Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der Eurozone, die aktuellen Probleme der Defizitländer und die von Überschussländern ausgehenden Gefahren für den Fortbestand des Euro.
Die Gründung der europäischen Währungsunion basierte auf zwei falschen Annahmen. Erstens hatte man angenommen, dass solide Geld- und Haushaltspolitik ausreichen würden, um Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsländern zu verhindern. Zweitens war man davon ausgegangen, dass die Finanzmärkte durch ihre disziplinierende Wirkung eventuell entstehende Ungleichgewichte umgehend korrigieren würden. Beide Erwartungen haben sich als falsch erwiesen. Statt einer Angleichung unter den Euroländern ist zu beobachten, dass seit Gründung der Währungsunion die Disparitäten zugenommen haben und die Finanzmärkte die Länderrisiken zu keiner Zeit rational einschätzten.
Mit Vollzug der Währungsunion 1999 fielen innereuropäische Wechselkursrisiken weg und die Liquidität des europäischen Finanzmarktes erhöhte sich beträchtlich. Die in der Folge sinkenden Zinsen nutzten insbesondere die aufholenden Volkswirtschaften in der Peripherie der Eurozone. Die dort vergleichsweise hohe Rentabilität ermutigte Investoren dazu, ihr Geld in Projekte in Spanien, Portugal, Griechenland und Irland zu stecken. Da dies nicht über ausländische Direktinvestitionen geschah, sondern über die Gewährung von Krediten, verschlechterte sich zwangsläufig die Leistungsbilanz der entsprechenden Länder.
Außergewöhnlich ist die Verschuldung der Peripherieländer gegenüber dem Ausland keineswegs, sondern bestätigt lediglich die theoretischen Vorhersagen in der Praxis. Nicht gerechnet hatte man jedoch damit, dass die südeuropäischen Euroländer den ihnen gewährten Kredit fast ausschließlich für Konsumzwecke verwenden würden.
Da zu wenig Geld in nachhaltige Investitionen floss, gerieten die Schuldenländer in Schwierigkeiten, als die ihnen gewährten Kredite fällig wurden. Eine Zeit lang konnten die auslaufenden Kredite noch durch neue ersetzt werden, doch irgendwann schwand das vertrauen der Investoren in die Schuldnerländer und die Risikoprämien schossen in die Höhe. Aus der Liquiditäts- wurde eine Solvenzkrise und die europäische Staatengemeinschaft musste in Form von EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) und ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) einspringen, um den Kollaps abzuwenden.
Das heutige Problem der Schuldenländer besteht darin, dass sie ihre Produktivität in den vergangenen zehn Jahren trotz großer Kreditsummen nicht erhöht haben. Ohne ausreichende Wettbewerbsfähigkeit sind sie jetzt nicht in der Lage, das Einkommen zu erwirtschaften, das sie zur Rückzahlung ihrer Schulden bräuchten.
Verantwortlich für die Überschuldung ist in erster Linie der private Sektor, der die Kredite vorwiegend zur Finanzierung des laufenden Konsums ausgab oder in unrentable Projekte steckte. Die Missallokation von Kapital war eine entscheidende Krisenursache, daher müssen in Zukunft die Finanzmärkte europaweit reguliert und überwacht werden. Das Anfang 2011 eingerichtete Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Kurzfristig ist die Finanzierung über die Rettungsschirme EFSF und ESM gewährleistet. Langfristig aber müssen strukturelle Reformen für eine Normalisierung der Lage sorgen. Eine Empfehlung ist die Finanzierung von Projekten durch ausländische Direktinvestitionen, weil das Empfängerland dadurch keine finanziellen Verpflichtungen eingeht, wie dies bei der Finanzierung über Kredite der Fall ist.
Anders als die Peripherieländer hat Deutschland historisch gesehen stets Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Einzige Ausnahmen sind die Perioden nach der Ölkrise und nach der Wiedervereinigung. Ein Teil des großen Leistungsbilanzüberschusses erklärt sich durch die starke Exporttätigkeit Deutschlands. Ein Blick auf die Nettoauslandsverschuldung zeigt aber, dass der Überschuss in erster Linie auf das Konto der privatwirtschaftlichen Nettoauslandsinvestitionen geht.
Abbildung 1: Leistungsbilanz und Nettoauslandsvermögen Deutschlands in % des BIP.[1]
Zurückführen lässt sich das enorme Nettoauslandsvermögen Deutschlands auf die hohe Sparquote der Deutschen und die geringe Investitionsrate im Inland. Angesichts des demografischen Wandels ist die hohe Sparneigung nicht überraschend. Die seit zehn Jahren niedrigen Investitionen in den Standort Deutschland sind vor allem dem Konsolidierungseffekt nach der Wiedervereinigung geschuldet. Langfristig bedeutet diese Investitionszurückhaltung aber, dass Wachstumspotenzial vergeben und die deutsche Wirtschaft unterdurchschnittlich wachsen wird.
Die Asymmetrie des Überwachungsmechanismus makroökonomischer Ungleichgewichte entsprechend des EU-Sixpack (Untergrenze -4% Leistungsbilanzdefizit des BIP, Obergrenze +6% Leistungsbilanzüberschuss) ergibt sich durch Anwendung einer statistischen Methode. Doch unabhängig davon, welches Verfahren zur Berechnung von Benchmarks herangezogen wird: Alle Modelle kommen zu dem Ergebnis, dass Deutschland derzeit übermäßig hohe Überschüsse einfährt.
Für die Stabilität der Eurozone ist jedoch nicht nur die Höhe der Abweichung vom Gleichgewicht, sondern auch die Größe des Landes von Bedeutung. Insofern sollte die EU-Kommission nicht nur Länder mit einem Leistungsbilanzdefizit streng überwachen, sondern auch große Länder wie Deutschland zum Handeln auffordern. Die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Euroländer mit Leistungsbilanzüberschüssen und -defiziten haben wir bereits mehrfach angeprangert. Der Link dazu findet sich hier.
Die Diskussionspapiere gibt es hier: http://ec.europa.eu/economy_finance/events/2012/2012-03-06-lime/index_en.htm
Detaillierte Informationen der Bundesbank zur Leistungsbilanz Deutschlands unter http://www.bundesbank.de/download/volkswirtschaft/monatsberichte/2011/201110mb_bbk.pdf