Sven Giegold

Deutschlandfunk-Interview: „Schäuble darf sich nicht länger ins Boot der Steueroasen setzen“

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Die Europäische Union hat 92 Ländern, deren Steuergesetzgebung als problematisch gilt, einen Fragenkatalog geschickt. Ziel ist es, eine schwarze Liste zu erstellen. Doch der Grüne Europaabgeordnete Sven Giegold ist skeptisch, ob das gelingen wird. Mehrere Mitgliedsstaaten blockierten nämlich das Vorhaben – auch Deutschland.

Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide

Jürgen Zurheide: Der Kampf der Europäischen Union gegen Steuerparadiese – das ist ein Kampf, der schon eine Menge Papiere produziert hat, allerdings die Frage ist immer, was passiert dann ganz konkret. Jetzt haben die Behörden und die Verantwortlichen in Europa insgesamt 92 Ländern Fragen gestellt. Die Steuergesetzgebung dort wird als problematisch eingestuft. Das ist diese Woche bekannt geworden. Was sich dahinter verbirgt, wollen wir diskutieren, und das wollen wir tun mit dem grünen Abgeordneten des Europaparlamentes Sven Giegold. Den habe ich jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Giegold!

Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Zurheide!

Zurheide: Herr Giegold, erst einmal, nach jahrelangem Reden folgen jetzt Taten, das könnte man zumindest glauben. Bekommt die Europäische Union jetzt gute Noten von Ihnen? Sie haben das ja oft vorher kritisiert.

Giegold: Man muss erst mal sagen, die Kommission, die Europäische Kommission, hat unter Juncker mehr gegen Steueroasen und gegen aggressive Steuervermeidung von großen Unternehmen getan als irgendeine Kommission vorher. Es gab eine lange Reihe von Vorschlägen, dazu gehört auch die Planung einer europäische Schwarzen Liste von Steueroasen, die Sie eben erwähnt haben, darüber hinaus gibt es aber weitere Vorschläge. Leider sind die allesamt derzeit durch die Mitgliedsstaaten blockiert, sodass wir derzeit keinen weiteren Fortschritt haben, und das ärgert mich ungemein und freut natürlich diejenigen, die es mit dem Steuerzahlen nicht so genau nehmen.

Zurheide: Wir reden gleich noch über den Europäischen Rat, der da ja etwas dran ändern könnte, bleiben wir zunächst bei den Vorschlägen. Immerhin sagen manche, auf der Liste und auf der Staatenliste, die jetzt kritische Fragen geschickt bekommen haben, stehen auch die Vereinigten Staaten zum Beispiel wegen Delaware. Das, war ja meine Frage, können Sie eigentlich nicht kritisieren, das haben Sie immer gefordert, oder?

Giegold: Die Schwarze Liste ist ein guter Schritt. Die EU-Kommission hat an gut 90 Staaten jetzt Briefe verschickt mit Fragen, darunter auch die Vereinigten Staaten, weil die Vereinigten Staaten leider den automatischen Informationsaustausch über Steuerdaten zwar von anderen Ländern einfordern …

Zurheide: Zum Beispiel der Schweiz …

Giegold: Aber auch von Deutschland und das aber nicht selbst praktizieren. Der Punkt ist, die OECD hat bisher davor zurückgeschreckt, auf ihre Schwarze Liste deshalb die USA zu setzen, obwohl es von den Kriterien her völlig angemessen wäre. Und dass die EU-Kommission jetzt zumindest nachfragt, das ist schon mal ein guter Schritt. Das Ärgerliche ist bloß, dass die Kriterien, nach denen letztlich die Liste zusammengestellt wird – weil das ist erst mal nur eine Rundfrage –, die werden derzeit blockiert von Großbritannien, Luxemburg und Irland. Gerade Großbritannien blockiert eine ganze Reihe auch der weiteren Vorschläge, und das ist schon absurd, dass die Briten auf der einen Seite aus der EU austreten und auf der anderen Seite die EU daran hindern, selbst entschiedene Maßnahmen gegen aggressiven Steuerwettbewerb vorzunehmen.

Zurheide: Lassen Sie uns noch über die Kriterien sprechen, das sind ja im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, drei Kriterien: Das ist die Transparenz des Steuersystems, das sind Steuervorzüge für Unternehmen – da haben wir ein paar mal auch öffentlich diskutiert – oder fehlende Unternehmensbesteuerungen insgesamt. Reicht Ihnen das noch nicht? Was fehlt?

Giegold: Nein, die Kriterien sind gut, sie sind bloß bisher nicht beschlossen. Die Vereinigten Staaten haben bei der Steuertransparenz vor allem ein Problem, aber umstritten ist eben dieses Prinzip der fairen Besteuerung, und darunter zählt eben auch, ob Länder eine Nullbesteuerung vornehmen. Wir haben ja auch in der EU Länder, die unter ganz bestimmten Bedingungen Nullbesteuerung vornehmen oder auch die britischen Kronkolonien wie Jersey und Guernsey und so weiter, die haben alle eine Nullbesteuerung für Körperschaftssteuern, und zwar auch von Unternehmenstöchtern, von Unternehmen, die eigentlich ihre Gewinne in Europa erwirtschaften und dadurch eben Steuervermeidung praktizieren. Und dass dieses Nullbesteuerungskriterium so umstritten ist, das ist nicht hinnehmbar.

Zurheide: Jetzt haben Sie gerade schon gesagt, da kommt der Europäische Rat ins Spiel, das sind natürlich die jeweiligen Mitgliedsländer. Da sind dann die Briten, die Luxemburger haben Sie genannt, die Iren, die da ganz besonders auf der Bremse stehen – wie bewerten Sie denn das Vorgehen der deutschen Bundesregierung? Schäuble ist nach meiner Beobachtung verbal häufig dabei, aber wenn es dann wirklich ans Eingemachte geht, hab ich da eine andere Einschätzung. Ist meine Einschätzung richtig?

Giegold: Sehen Sie, blockiert ist neben der Schwarzen Liste die Richtlinie gegen aggressive Steuervermeidung von Großunternehmen. Dort ist die Niederlande vor allem blockierend. Die gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer, das zentrale Vorhaben überhaupt in dem Bereich wird von einer ganzen Reihe von Ländern blockiert: Die Finanztransaktionssteuer kommt seit zweieinhalb Jahren nicht voran, die Mitgliedsländer verweigern unserem Untersuchungsausschuss nach dem Panama-Paper-Skandal den Dokumentenzugang, und zu guter Letzt wird blockiert der Vorschlag der EU-Kommission, dass Großunternehmen transparent machen müssen, wo sie wie viel Steuern zahlen. Und bei diesem Thema ist Deutschland der wichtigste Blockierer, und da darf sich Schäuble einfach in Brüssel nicht länger ins Boot der Steueroasen setzen, und er redet da in Deutschland anders, als er in Brüssel handelt. Und das ist extrem ärgerlich, weil mit dieser Maßnahme könnten wir ohne Einstimmigkeit einen großen Fortschritt machen. Die anderen Vorschläge brauchen im Wesentlichen Einstimmigkeit der Mitgliedsländer, die natürlich schwer herzustellen ist. Aber gerade da, wo die Europäische Union durch Transparenz effektiv handeln könnte, schützt Deutschland die Großunternehmen, die im Steuerwettbewerb sich unfaire Vorteile verschaffen gegenüber kleineren Unternehmen.

Zurheide: Nun haben wir jetzt Wahlkampf in Deutschland, der ist sicherlich eröffnet – das könnte ja ein gutes Thema sein. Sie werden das weiter bespielen?

Giegold: Ja, natürlich, und da muss man natürlich auf eins hinweisen: Ich will die Schulzfestspiele ja nicht stören, ich freue mich, dass es härteren Wettbewerb um die Kanzlerschaft gibt, allerdings muss man dabei eins sagen: Noch ist kein Wahlkampf, und da muss man die Worte des Kandidaten Schulz auch an den Taten des Parteichefs Schulz messen. Er hat ja mehrfach die Frage der Steuerpolitik in Europa zum Wahlkampfthema erklärt, aber die Bundesregierung blockiert derzeit die Fortschritte in Brüssel. Und da erwarte ich von Herrn Schulz, dass er nicht nur lauthals gegenüber den Wählern ist und dann kleinlaut gegenüber der Kanzlerin, sondern in Europa als Parteichef dafür sorgt, dass die Blockadehaltung der Bundesregierung aufhört.

Zurheide: Das war Sven Giegold für die Grünen im Europäischen Parlament über die europäische Steuerpolitik und die unterschiedlichen Blockierer in unterschiedlichen Ländern. Herr Giegold, ich bedanke mich für das Gespräch!

Giegold: Sehr gerne für Ihre Geduld!

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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