Der Deutsche Bundestag hat eine spannende Enquetekommission einberufen zu einem wichtigen und spannenden Thema. Leider ist die Runde der sachverständigen Mitglieder dieser Kommision rein männlich besetzt – als ob es keine kompetenten Wissenschaftlerinnen und Fachfrauen gäbe.
Deswegen hat eine Gruppe von WissenschaftlerInnen einen Appell gestartet, den ich ausdrücklich unterstütze, deswegen hier dokumentiere und um weitere Unterstützung werbe. Mehr Infos zum Appel findet Ihr auf der Website der Attac Gender AG.
Hier der Text des Appells:
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität –
(k)ein Thema für Fachfrauen?!
Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“
verzichtet auf die Expertise von Frauen aus Wissenschaft und Praxis
Am Montag, den 17. Januar 2011, hat die neu eingesetzte Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichen Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ ihre Arbeit aufgenommen. Wie es auf der Seite der Kommission heißt, soll sie „den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt ausloten“.
Damit reagiert Deutschland auf einen in Europa schon lange bestehenden Diskurs über das für viele nicht mehr selbstverständliche Verhältnis zwischen Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität: In den Ländern Südeuropas existiert dazu seit mehreren Jahren eine breit gefächerte soziale Bewegung. Seit einigen Jahren ist diese kritische Perspektive auch in Großbritannien durch die Arbeiten der dortigen „Sustainable Development Commission“ angekommen. Die vom französischen Präsidenten Sarkozy eingerichtete Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission hat einen umfangreichen Bericht dazu erarbeitet. Und endlich findet dieses Thema auch in Deutschland Beachtung. Aber wie?
Die Kommission ist paritätisch durch je 17 Bundestagsabgeordnete und von den Parteien vorgeschlagene Sachverständige besetzt. – Experten, die aus „fachlicher“ (wissenschaftlicher und gesellschaftlicher) Perspektive die Arbeit der Kommission unterstützen sollen. Und wer gilt als Experte? Männer, Männer, Männer.
Ja – es handelt sich wirklich um ExpertEN. Denn während die politische Besetzung der Kommission unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit sich durchaus sehen lassen kann, glänzt die Gruppe der Sachverständigen durch die totale Abwesenheit von Frauen. Unter den 17 Mitgliedern ist keine einzige Frau!
Dabei zählen zu den wichtigsten Beiträgen zu dem Kernthema der Kommission „Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichen Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ gerade die Forschungsarbeiten von prominenten Frauen aus Wissenschaft und Praxis, die sich seit Jahrzehnten mit alternativen Wohlstandsmodellen und Fragen des „guten Lebens“, mit der Verbindung zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten sowie mit Geschlechter- und Generationengerechtigkeit beschäftigen. Zum Beispiel liest sich schon das Buch „If Women Counted“ der Ökonomin Marilyn Waring von 1988 als ein Fanal gegen das falsche Rechnen der Ökonomen.
Vor diesem Hintergrund ist es unfassbar, dass die Auseinandersetzung mit der Frage von Wohlstand und Lebensqualität ohne die explizite Berücksichtigung dieser Beiträge und damit ohne die dort entwickelte lebensweltliche Perspektive auf die Wirtschaft erfolgen soll. Die Besetzung der Kommission gibt so ein ganzes falsche Signal. Mehr noch – sie ist ein Skandal und sollte umgehend korrigiert werden.
Falls Ihr auch unterschreiben wollt, schickt bitte eine Mail an:
Tanja von Egan-Krieger: tanja.egan(at)uni-greifswald.de oder an
Dr. Barbara Muraca: barbara.muraca(at)uni-greifswald.de