Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
mehr als eine Million Unterschriften in ganz Europa und volle Straßen bei den vielen Demonstrationen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ohne Glyphosat, Neonics und Co. zeigen Wirkung. Die letzten Wochen waren voll von guten Neuigkeiten und Initiativen, von denen ich einige hier vorstellen möchte. Da bewegt sich was in Europa!
Erfolg für die Bienen – Neonics jetzt auch in Deutschland verboten
Seit diesem Dienstag gilt das im April beschlossene EU-weite Verbot von drei Neonikotinoiden (kurz: Neonics) im Freiland auch in Deutschland. Das sind gute Neuigkeiten besonders für die Bienen. Studien hatten gezeigt, dass besonders sie unter dem Einsatz dieser Ackergifte leiden. Aber weiterhin sind schädliche Wirkstoffe wie Sulfoxaflor als Ersatz für die jetzt verbotenen Neonics zugelassen.
Reform des Zulassungsverfahrens ist dringend notwendig
Das macht klar: Es braucht eine grundlegende Reform des Zulassungsverfahrens in der EU. Dazu konnten wir die Einsetzung eines Sonderausschusses zur Pestizidzulassung (kurz: PEST) erreichen, der im Frühjahr diesen Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. Er soll die Unregelmäßigkeiten, die nicht erst bei der Wiederzulassung von Glyphosat deutlich wurden, untersuchen, Interessenkonflikte aufdecken und Empfehlungen machen. Ein erster Entwurf des Abschlussberichtes wird für die Sitzung am 27.9. erwartet. Ko-Author ist mein Grüner Kollege Bart Staes aus Belgien. Im Rahmen des PEST-Ausschusses hat unsere Fraktion vor zwei Wochen auch die Konferenz “Alles, was Sie schon immer über die Auswirkungen von Pestiziden auf Umwelt und Gesundheit wissen wollten“ in Brüssel veranstaltet. Neben Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft war die Eröffnungsrede der Rechtsanwälte, die gerade Monsanto in den USA verklagen und bereits große Erfolge erzielt haben, ein absolutes Highlight. Die gesamte Veranstaltung kann hier angeschaut werden: https://www.greens-efa.eu/en/article/event/greens-complementary-pest-hearing/
Verheerender Bericht über das geltende EU-Zulassungsverfahren
Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Kritik der Pestizidzulassung ist der am vergangenen Donnerstag, den 13.9., mit breiter Mehrheit des Europaparlaments verabschiedete Bericht über die Durchführung der geltenden Zulassungsverordnung der Kommission (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P8-TA-2018-0356&language=DE&ring=A8-2018-0268). Darin hat das Parlament dem aktuellen Zulassungsverfahren für Pestizide ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Der Bericht kritisiert scharf, dass die Auswirkungen von Pestiziden u.a. auf die ökologische Vielfalt, die Wasserqualität und Rückständen in Lebensmitteln nicht ausreichend einbezogen werden und mahnt eine stärkere Beachtung des Vorsorgeprinzips an.
“Nicht hinnehmbar” ist laut dem Bericht, dass auch neun Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung Zusatzstoffe, die die Wirksamkeit der Pestizide verändern, immer noch nicht dem regulären Genehmigungsverfahren unterzogen werden, und so potenziell gesundheitsgefährliche Produkte ohne ausreichende Prüfung auf den Markt gelangen. Auch die vorgeschriebene Negativ-Liste, die die Nutzung von schädlichen Zusatzstoffen ausschließt, ist immer noch nicht verabschiedet.
Dazu kommt, dass viele Mitgliedsländer inflationären Gebrauch von Notfallzulassungen machen, und so EU-weite Verbote zum Beispiel der Neonics in gefährlicher Weise umgehen. Zudem erhalten die zuständigen EU-Stellen oft keine ausreichende Informationen, um die mutmaßlichen “Notfälle” zu überprüfen. Auch die Praxis Zulassungen zu verlängern, während das Wiederzulassungsverfahren noch läuft, wird scharf kritisiert. Hier haben wir uns mit Sozialdemokraten, Liberalen und Linken gegen ein Bündnis von Christdemokraten und Rechtskonservativen durchgesetzt. Wir haben eine last-minute Änderung im Bericht erreicht, die fordert dass, Stoffe, die nachweislich gesundheitsschädlich für Mensch und Tier sind, diese so genannte “technische Verlängerung” nicht mehr bekommen.
Zugleich stieß die mangelnde Transparenz des Zulassungsverfahrens auf heftige Kritik des Parlaments. Doch hier gehen die Forderungen des Berichts, der einen parteiübergreifenden Kompromiss darstellt, noch nicht weit genug, denn an der Praxis nicht-öffentliche Industriegutachten zur Zulassung zu verwenden, wird nicht gerüttelt.
#SecretScienceIsNotScience – Grüne streiten vor Europäischem Gerichtshof für mehr Transparenz
Genau wegen dieser mangelnden Transparenz des Zulassungsverfahrens klagen vier Grünen/EFA-Abgeordnete vor dem EuGH auch mit meiner finanziellen Unterstützung gegen die Europäische Zulassungsbehörde (EFSA). Sie wollen erreichen, dass die Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat öffentlich gemacht werden. Denn eines ist klar: Die Entscheidung, ob ein Pestizid gefährlich ist oder nicht, muss auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. Diese Studien müssen öffentlich und von anderen, an der Studie unbeteiligten Wissenschaftler*innen überprüft (engl. peer-reviewed) sein. Die Pestizid-Hersteller Monsanto (jetzt: Bayer-Monsanto) und Cheminova versuchen das zu verhindern. Sie haben es aber nicht für nötig erachtet zu der ersten Anhörung am vergangenen Donnerstag zu erscheinen. Wir werden weiter für ein transparentes Verfahren kämpfen!
Ein Video mit einigen der Beteiligten nach der Anhörung ist hier zu sehen: https://www.facebook.com/greensefa/videos/280999929390994/
Vorschlag der EU-Kommission für mehr Transparenz ist ein guter Aufschlag
In der Zwischenzeit hat auch die EU-Kommission als Antwort auf die Bürgerinitiative gegen die Wiederzulassung von Glyphosat ihren Vorschlag für eine Verbessung der Transparenz im Zulassungsverfahren vorgelegt (LINK: http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne/com/2018/0179/COM_COM(2018)0179_EN.pdf), Dieser enthält bereits gute Vorschläge für mehr Transparenz, u.a. ein öffentliches Verzeichnis aller bei der Zulassung verwendeten Studien, wogegen sich die Pestizidhersteller schon jetzt in Stellung bringen. Der Umweltausschuss des Parlaments arbeitet zurzeit an seinen Änderungsvorschlägen, die dann die Grundlage für die Verhandlungen mit der EU-Kommission und den Mitgliedsländern sein wird. Hier ist mein deutscher Kollege Martin Häusling aktiv beteiligt um sicherzustellen, dass die Vorschläge so gestaltet werden, dass am Ende auch wirklich mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger heraus kommt und der Gesundheitsschutz vor Unternehmensinteressen steht (siehe auch hier: https://martin-haeusling.eu/images/180918_Briefing_Transparenz_in_der_Lebensmittelkette.pdf)
Ihr seht also: Es bewegt sich so einiges in Sachen Pestiziden in der EU. Das Europaparlament macht sich gerade auch auf Druck unserer Fraktion stark für mehr Transparenz und das Vorsorgeprinzip. Wenn in den nächsten Monaten alle konkreten Vorschläge des Parlaments vorliegen, liegt es an der Kommission und den Mitgliedsländern im Europäischen Rat diese aufzugreifen und gemeinsam mit dem Europaparlament das Zulassungsverfahren zu reformieren und Gesundheits- und Umweltschutz vor Konzerninteressen zu stellen. Die Verzögerungstaktik von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner beim Thema Glyphosat deutet schon an: Hier ist noch viel Druck nötig. Danke, dass Ihr in Euren Verbänden und Initiativen dabei mithelft! Es lohnt sich.
Mit hoffnungsvollen europäischen Grüßen,
Sven Giegold
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Links
Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32009R1107&from=EN
Abschlussbericht zur Durchführung dieser Verordnung
Einschätzung nach der ersten Anhörung der Grünen/EFA-Klage vor dem EuGH
https://www.facebook.com/greensefa/videos/280999929390994/
Aufzeichnung und Informationen der Grüner Faktencheck Glyphosat – Konferenz in Brüssel
https://www.greens-efa.eu/en/article/event/greens-complementary-pest-hearing/
Briefing von Martin Häusling zum Kommissionsvorschlag zu mehr Transparenz
https://martin-haeusling.eu/images/180918_Briefing_Transparenz_in_der_Lebensmittelkette.pdf