Sven Giegold

Europaparlament fordert grundlegende Reform der EU-Wettbewerbspolitik

Heute hat das Europäische Parlament den seinen jährlichen Initiativbericht zur EU-Wettbewerbspolitik mit einer großen fraktionsübergreifenden Mehrheit verabschiedet. Mit diesem Bericht bezieht das Europäische Parlament Stellung zu aktuellen wettbewerbspolitischen Entwicklungen und fordert erstmals eine grundlegende Überholung der EU-Wettbewerbspolitik. Der Bericht stammt aus der Feder des grünen österreichischen Berichterstatters Michel Reimon. Er rückt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in wettbewerbspolitischen Entscheidungen in den Vordergrund. Damit kritisiert er Fusionen und Übernahmen wie die von Bayer und Monsanto und die damit verbundene hohe Marktkonzentration in Lebensmittel-Lieferketten. Der Bericht fordert zudem die Möglichkeit zur Kooperation von Unternehmen einer Lieferkette für Fair-Trade-Standards. Weitere Schwerpunkte stellen die Marktmacht und Besteuerung der Digitalwirtschaft, staatliche Subventionen für Atomenergie und Kohle und die wettbewerbsrechtlichen Implikationen der Bankenrettung dar.

 

Dazu sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:

 

“Es ist höchste Zeit für eine grundlegende Überholung der EU-Wettbewerbspolitik. Bei Fusionen und Übernahmen müssen endlich die Auswirkungen auf Bereiche wie Verbraucher- und Klimaschutz mitbeachtet werden. Nur die Folgen auf Verbraucherpreise zu berücksichtigen ist unzureichend, um die Wirkungen von Marktmacht auf Mensch, Natur und Wirtschaft zu bewerten. Staatlichen Subventionen von Atomenergie und Kohle muss endlich der Riegel vorgeschoben werden, denn sie verzerren den Wettbewerb. Wir fordern die EU-Kommission auf zu untersuchen, ob Beteiligungen großer Investoren wie Blackrock bei Konkurrenten derselben Branche den Wettbewerb schwächen. Eine immer stärkere Konzentration des Eigentums von Großinvestoren ist eine Bedrohung für Wirtschaft und Menschen. Kleinere Unternehmen einer Lieferkette oder Branche sollen in Zukunft leichter gemeinsame Fair-Trade-Standards festlegen können, ohne in Konflikt mit dem Wettbewerbsrecht zu geraten. Unternehmen könnten sich so gemeinsam dem negativen Wettbewerb um niedrige Sozial- und Umweltstandards entgegenstellen.

 

Wir brauchen neue Wege in der wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Digitalunternehmen wie Facebook, Whatsapp und Google. Internetriesen üben durch die Kontrolle unzähliger Nutzerdaten erhebliche Marktmacht aus und verdrängen Konkurrenten. Die Marktmacht von Internetriesen ist eine immense Wettbewerbsverzerrung, der wir nicht länger zusehen dürfen. Auch für die Besteuerung von Digitalkonzernen müssen Kommission, Rat und EU-Parlament endlich eine umfassende Lösung finden. Nur so entsteht Wettbewerb auf Augenhöhe zwischen Digitalkonzernen und traditionellen Unternehmen. Das Parlament fordert von der Kommission, die Widersprüche vergangener zweifelhafter Bankenrettungen mit Steuergeldern zu erklären. Die Kommission soll auch untersuchen, ob Banken in der Krise durch die Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbank von impliziten Subventionen profitiert haben.”

 

Link zum Bericht (Stand vor der Abstimmung): http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A8-2018-0474+0+DOC+PDF+V0//EN&language=EN

 

Liste an Forderungen:

I. Allgemeine Punkte zur Durchsetzung von EU-Wettbewerbsrecht:

  • Forderung an die Kommission, die ökologischen und sozialen Externalitäten bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen
  • Forderung an die Kommission, den Schaden durch zu wenig Wettbewerb nicht nur über den Verbraucherpreisansatz zu analysieren
  • Forderung nach Einbeziehung der Verhaltensökonomie in die Gestaltung von Kartellverfahren

II. Umwelt/ Nachhaltigkeit:

  • Forderung an die Kommission, die EU-Fusionskontrollverordnung zu überprüfen und zu analysieren, inwieweit die Europäische Kommission im Rahmen der Fusionskontrolle Maßnahmen zum Schutz von Rechten und Grundsätzen des AEUV und der EU-Grundrechtecharta ergreifen kann, einschließlich des Umweltschutzes. Dies bedeutet, dass die GD Wettbewerb Fusionen wie Bayer/Monsanto nicht genehmigen kann, indem sie sich hinter dem Argument versteckt, nicht befugt zu sein die aus dem Zusammenschluss resultierenden Umweltprobleme einzubeziehen.
  • Kritik an der Fusion Bayer-Monsanto und an der Konzentration in der Lebensmittelversorgungskette unter besonderer Berücksichtigung von Fragen der Biodiversität und der Einkommen für Kleinbauern.
  • Einbeziehung von Kernenergie und fossilen Brennstoffen in die Leitlinien der Kommission für Energie und staatliche Beihilfen (die 2020 überarbeitet werden sollen). Derzeit umfassen die Leitlinien für staatliche Beihilfen der Kommission Infrastruktur- und Betriebsbeihilfen für erneuerbare Energien einer strengeren Prüfung als die Beihilfen für Kernkraftwerke
  • Der Bericht kritisiert Beihilfen für Kapazitätsmechanismen in der Energiepolitik und betont, dass jede Genehmigung von Beihilfen für solche Regelungen sicherstellen muss, dass diese nicht für umweltschädliche Investitionen offen sind.
  • Die Kommission soll innerhalb der Wettbewerbspolitik Kooperationen zwischen Unternehmen zulassen, die entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette gemeinsam mehr Nachhaltigkeit und faire Arbeitsnormen sicherstellen wollen.

 

III. Digitale Wirtschaft:

Zur digitalen Wirtschaft enthält der Bericht eine sehr konkrete Liste von Empfehlungen an die Kommission zur Anpassung der Wettbewerbsinstrumente an das digitale Zeitalter:

  • Interoperabilität zwischen Online-Plattformen und Anbietern von sozialen Netzwerken.
  • Beurteilung Marktmacht durch Kontrolle von Daten, nicht nur Umsätzen
  • Überarbeitung der Schwellenwerte, die eine Fusionskontrolle durch die Kommission auslösen. Berücksichtigung der Zahl der betroffenen Verbraucher und nicht nur des Umsatzes (siehe Merger von Facebook und WhatsApp).
  • Forderung an die Kommission, Preisobergrenzen auf Online-Plattformen für Hotellerie und Tourismus zu überwachen
  • Forderung an die Kommission, den Werbesektor zu untersuchen

VI. Finanzdienstleistungen:

  • Erstmals wird die Kommission in einem Bericht des EP aufgefordert, die Diskrepanzen zwischen den Vorschriften über staatliche Beihilfen im Bereich der Liquidationsbeihilfe und der BRRD zu untersuchen und ihre Bankenmitteilung 2013 zu überarbeiten.
  • Die Kommission soll prüfen, ob Banken seit Beginn der Krise implizite Subventionen und staatliche Beihilfen durch Liquiditätshilfen erhalten haben. Prüfung möglicher Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus dem Anleihenkaufprogramm der EZB ergeben (die EZB investiert massiv in umweltschädliche, sogenannte “braune” Vermögenswerte)
  • EP betont die versteckten sozialen Kosten und den geringeren Wettbewerb durch horizontale Eigentumskonzentrationen und fordert die Europäische Kommission auf, eine Überarbeitung der Fusionskontrollverordnung in Betracht zu ziehen und Leitlinien für die Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV in solchen Fällen vorzulegen.