Sven Giegold

Die EZB-Geldpolitik wird grüner und lebensnäher

Heute, am 8. Juli 2021, hat die Europäische Zentralbank (EZB) das Ergebnis ihrer Strategieüberprüfung vorgestellt. 18 Monate lang hatte die EZB alle Elemente ihrer Geldpolitik überprüft und dabei versucht, eine Vielzahl von Interessengruppen zu berücksichtigen. Die endgültige Entscheidung wurde gestern vom EZB-Rat getroffen. Ursprünglich war der Abschluss der Überprüfung erst für September erwartet worden. Die aktuelle Überprüfung war die erste formale Überarbeitung der EZB-Geldpolitik seit der letzten Überprüfung im Jahr 2003. Die Grünen haben in der Vergangenheit versucht, die Verpflichtungen der EZB zur Bekämpfung des Klimawandels zu stärken sowie die Inflation bei den Immobilienpreisen besser zu berücksichtigen.

Die EZB wird weiterhin eine Inflationsrate von 2% anstreben, ihr Ziel in Zukunft aber symmetrisch auffassen. Bisher lag das Ziel der EZB “unter, aber nahe bei 2%” und war damit eher vage. Außerdem will die EZB, dass selbst genutztes Wohneigentum künftig in den Harmonisierten Verbraucherpreisindex von Eurostat aufgenommen wird. Derzeit wird das selbstgenutzte Wohneigentum bei der Inflationsmessung ignoriert, was zu einer starken Unterschätzung der Kosten für Wohnraum führt. In der Zwischenzeit wird die EZB die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum als ergänzenden Inflationsindikatoren berücksichtigen. Zur Unterstützung der wirtschaftspolitischen Strategie der EU – dem EU Green Deal – hat die EZB einen klimabezogenen Aktionsplan verabschiedet. Insbesondere wird die EZB den Klimawandel und damit zusammenhängende Politikmaßnahmen in ihre Modelle integrieren, Nachhaltigkeitsoffenlegungen bei Sicherheiten und Anleihekäufen verlangen sowie systemweite Stresstests zum Klimawandel durchführen. Darüber hinaus wird sie das Problem angehen, dass Ratingagenturen die Risiken des Klimawandels oft nicht angemessen berücksichtigen. Vor allem aber wird die EZB die Risiken des Klimawandels in ihrem Sicherheitenrahmen berücksichtigen und ihre Wertpapierkäufe an den Zielen des Pariser Abkommens ausrichten, um die CO2-Verzerrung der Finanzmärkte zu auszugleichen.

 

Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

“Die Geldpolitik der EZB wird grüner und sich künftig stärker an der Alltagserfahrung von der Bürgerinnen und Bürger Europas orientieren. Das symmetrische Inflationsziel ist keine große Neuerung. Das Ziel selbst hat sich kaum verändert. Auch das neue Inflationsziel ist deutlich niedriger als die von der guten alten Bundesbank tatsächlich erreichte Inflation. Die EZB wird auch in Zukunft nicht tatenlos bleiben, wenn relevanter Inflationsdruck in der realen Welt entsteht – und nicht nur in den Köpfen nervöser Beobachter.

Es entspricht dem gesunden Menschenverstand, dass die EZB die explodierenden Hauspreise in ganz Europa nicht länger ignoriert. 70% aller Europäer leben in selbstgenutztem Wohneigentum. Deren Lebenshaltungskosten wurden bisher in den offiziellen Inflationszahlen ignoriert. Damit entfernte sich die Kommunikation der von der Alltagserfahrung der Bürger Europas. Wir Grüne fordern seit langem die Einbeziehung von selbst genutztem Wohneigentum in die Inflationsmessung. Die Inflationszahlen werden in Zukunft die Lebensumstände der Bürger Europas besser widerspiegeln.

Es ist sehr zu begrüßen, dass die EZB das Problem von Kreditratings angeht, welche Umweltrisiken unterschätzen. Bis heute erhalten selbst die größten Umweltverschmutzer mit Geschäftsmodellen, die vollständig auf fossilen Brennstoffen basieren, positive Kreditratings. Nimmt man den EU Green Deal ernst, sollten Wertpapiere dieser Unternehmen nach den Regeln der EZB nicht mehr als Sicherheiten und für Wertpapierkäufe zugelassen sein. Die EZB muss das Marktversagen auf dem Ratingmarkt kompensieren und die großen Ratingagenturen mit eigenen Bewertungen herausfordern.”

 

Ernest Urtasun, Mitglied der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

“Die heute angekündigten Klimamaßnahmen sind ein guter erster Schritt. Die heute vorgestellte Roadmap hat einige positive Elemente. Es gibt keinen Weg zurück für die Klimapolitik der EZB. Die EZB wird den Klimawandel in ihrer Geldpolitik in Bezug auf Modelle, Statistiken, Stresstests, Sicherheitenrahmen, Anleihekäufe und Offenlegungspflichten berücksichtigen. Das bedeutet, dass der Klimawandel sowohl in der Bankenaufsicht als auch im geldpolitischen Instrumentarium einbezogen wird.

Allerdings mangelt es den Plänen an Ehrgeiz und Gespür für die Dringlichkeit, den Klimanotstand zu bekämpfen. Beim Abbau von CO2-lastigen Wertpapieren setzt die EZB einen Rahmen, der die Risiken des Klimawandels auf den Finanzsektor betont. Sie ergreift aber keine Maßnahmen gegen die Kreditvergabe an die Kohlenstoffwirtschaft, die die Klimakrise beschleunigt. Die Kreditvergabepolitik der EZB ist nicht zielgerichtet und es wird keine grünen TLTROs geben, die wir seit langem fordern. Auch im Hinblick auf die Marktneutralität haben wir nach den starken Aussagen von Präsidentin Lagarde mehr erwartet. Die EZB verpflichtet sich lediglich, im Jahr 2022 Vorschläge für alternative Benchmarks vorzulegen.”

 

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Die heutige Mitteilung der EZB über das Ergebnis ihrer Strategieüberprüfung:
https://www.ecb.europa.eu/home/search/review/html/index.en.html

Der neue klimabezogene Aktionsplan der EZB:
https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2021/html/ecb.pr210708_1~f104919225.en.html

Inflation in Deutschland unter der Bundesbank:
https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/inflation-lehren-aus-der-geschichte-614516

 

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