Von Stefan Sauer (FR vom 25.6.2014)
Dutzende Staaten verhandeln über die Privatisierung von Leistungen, die bisher oft in öffentlicher Hand liegen. Damit wollen Tisa, TTIP und Ceta Staaten und Bürger entmündigen.
Freier Handel ist ein Gewinn für alle, Menschen tauschen untereinander Güter und Dienstleistungen aus, wovon alle Seiten profitieren. Jedenfalls theoretisch. In der Praxis präsentiert sich das Ergebnis oft durchwachsen, wie der europäische Binnenmarkt zeigt. Einerseits konnte der Wirtschaftsraum ohne Frage vom Abbau der Zollschranken, Einfuhrbeschränkungen und anderer Handelshemmnisse profitieren. Insbesondere exportstarke Volkswirtschaften wie die deutsche zählen zu den Gewinnern. Andererseits bedeuten Außenhandelsüberschüsse des einen Landes immer Schulden eines anderen. Auch laufen nationale Regelungen zum Erhalt der Umwelt, zum Schutz der Verbraucher oder Sozialstandards Gefahr, um einheitlicher Geschäftsbedingungen willen abgebaut zu werden.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich an drei umfangreichen Freihandelsabkommen, die vor dem Abschluss stehen, die Geister scheiden. Das bekannteste ist das Abkommen zur „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der EU und den USA, das sich in fortgeschrittenem Stadium befindet. Bereits abgeschlossen sind die Gespräche zum „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Ceta) zwischen der EU und Kanada.
Bei der dritten Vereinbarung handelt es sich um das „Trade in Services Agreement“ (Tisa) zwischen den EU-Ländern und 21 weiteren Staaten zum Handel mit Dienstleistungen. Die Gespräche zu Tisa gehen in dieser Woche in die siebte Verhandlungsrunde.
Und sie haben es in sich. Denn das Abkommen umfasst weite Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge: die Versorgung mit Energie und Trinkwasser, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, Müllabfuhren und Postzustelldienste, aber auch den Kommunikationssektor, Finanzdienstleistungen, Teile des Justizvollzugs und Leiharbeit. Ziel des Abkommen ist es, dass Privatunternehmen solche Dienstleistungen in allen Vertragsländern ohne Einschränkung anbieten können. Öffentliche Aufgaben, vom Betrieb eines Schwimmbads bis zur Stromversorgung, müssten ausgeschrieben und den Unternehmen zugänglich gemacht werden. Wie die Vereinbarungen im Detail aussehen, welche Übereinkünfte bereits erzielt wurden, und an welchen Punkten es Meinungsunterschiede gibt, bleibt der Öffentlichkeit verborgen.
Denn wie auch bei TTIP und Ceta finden die Verhandlungen streng geheim statt. Und dabei bleibt es noch eine Weile: Der Vertragstext des Tisa soll erst fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten veröffentlicht werden.
Dass Öffentlichkeit und demokratische Kontrolle damit ausgehebelt werden, liegt auf der Hand. Immerhin bekannt sind die teilnehmenden Staaten: Neben den 28 EU-Mitgliedern sind es Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz, die Türkei, Israel und Pakistan, die USA, Australien, Neuseeland und Kanada, Japan, Südkorea, Taiwan und Hongkong, Chile, Kolumbien, Peru, Paraguay, Costa Rica, Panama sowie Mexiko. Gemeinsam decken die 50 Staaten mehr als zwei Drittel des globalen Dienstleistungshandels ab. China, Indien, Brasilien und andere Schwellenländer beteiligen sich nicht.
Tisa wird auch nicht unter der Ägide der Welthandelsorganisation WTO ausgehandelt. Da sich in diesem Rahmen keine Einigung für eine Liberalisierung des globalen Dienstleistungsmarkts hatte erzielen lassen, riefen 21 WTO-Mitglieder die Gruppe der „Really Good Friends of Services“ ins Leben, der „wirklich guten Dienstleistungsfreunde“. Diese Koalition der Willigen ist nach Ansicht der grünen Europa-Abgeordneten Ska Keller wesentlich dafür verantwortlich, dass keine Informationen zum Verhandlungsinhalt an die Öffentlichkeit gelangen. „Dadurch, dass die Verhandlungen außerhalb der WTO stattfinden, laufen sie noch intransparenter ab und sind jeder institutionellen Kontrolle entzogen“, sagte Keller der FR. Als vor mehr als zwei Jahren erste Gespräche zu Tisa geführt wurden, habe die EU-Kommission nicht einmal über ein Verhandlungsmandat der Mitgliedsstaaten verfügt. Erst im Nachhinein hätten die Handelsminister das Mandat – einmütig – erteilt. „Bei einem solchen Verfahren wird die Zivilgesellschaft jeden Einflusses beraubt“, kritisiert die Europaabgeordnete.
Hin und wieder dringt aber doch mancher Verhandlungsgegenstand an die Öffentlichkeit. Wikileaks hat jüngst Dokumente ins Netz gestellt, denen zufolge eine weitgehend uneingeschränkte Übermittlung privater Kontodaten ermöglicht werden soll. Kellers Fraktionskollege Sven Giegold sieht darin eine ernste Gefahr für den europäischen Datenschutz. Die neuseeländische Wirtschaftsjuristin Jane Kelsey warnte, das Tisa werde den Vertrieb von Versicherungs- und Finanzprodukten deregulieren, die für den Ausbruch der Weltfinanzkrise mitverantwortlich waren.
Und die internationale Dienstleistungsgewerkschaft PSI stellt in einem 25-seitigen Gutachten fest, dass durch Tisa sämtliche öffentlichen Leistungen privaten Anbietern offen stünden, sofern die Leistungsbereiche nicht ausdrücklich vertraglich ausgeschlossen würden. Nachteil einer solchen Negativliste: Dienstleistungen, die sich nicht darauf befinden, und auch solche, die es noch nicht gibt, werden ein für allemal der Liberalisierung überlassen. Ein nachträgliches „Zurückholen“ sei ausgeschlossen.
Dies gilt laut Ska Keller auch für einst privatisierte öffentliche Betriebe: „Die können, wenn Tisa kommt, nie mehr in kommunale Hände zurückgeführt werden. Eine erneute Verstaatlichung ist ausgeschlossen. Privatisierung wird dann zum Ewigkeitsbeschluss.“