Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
nach langen Verhandlungen steht ein Kompromiss zwischen Europaparlament und Rat zur neuen Gemeinsamen Agrarpolitik. Die Verhandler*innen der beiden Gesetzgeber haben sich gemeinsam mit der EU-Kommission auf einen Text geeinigt. Dieser muss noch von Parlament und Rat bestätigt werden. Doch herausgekommen ist leider ein erschreckend schlechter Deal. Die Agrarpolitik entfernt sich weiter vom europäischen Green Deal. Keine der guten Ziele des Green Deal zu Biodiversität, Pestizid- und Düngereinsatz oder Naturschutz wurden verbindlich in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik festgeschrieben. Bis 2027 wird so ein Drittel des EU-Haushalts, oder knapp 387 Milliarden Euro, nicht an die Ziele des Green Deal gebunden sein. Damit droht der Green Deal ein gewaltiges Stück seiner Durchschlagskraft zu verlieren. Das Europaparlament hat seine ohnehin schon schlechte Ausgangsposition, ausgehandelt von Christdemokrat*innen, Liberalen und Sozialdemokrat*innen, weiter verwässert und ist dem Rat in vielen entscheidenden Punkten entgegengekommen.
Agrarwende für sieben weitere Jahre aufgeschoben
Nach der gestrigen Abstimmung für ein europäisches Klimagesetz, das nicht für das Pariser Abkommen reicht, ist diese Entscheidung der zweite schwere Schlag gegen den Klimaschutz innerhalb von 24 Stunden.
Auf Basis der schlechten Ausgangspositionen von Europaparlament und Rat konnte kein gutes Ergebnis erwartet werden. Dennoch ist diese Nachricht nur schwer zu verdauen. Die so dringend notwendige Agrarwende wird endgültig für sieben weitere Jahre aufgeschoben. Es ist klar: Die europäische Landwirtschaft wird ihren Teil zum Erreichen der Pariser Klimaziele ebenso wenig beitragen können wie zum Schutz der Artenvielfalt und des Tierwohls.
Subventionspolitik wird Arbeitsplätze kosten
Die neue Agrarpolitik ist nicht nur schlecht für Klima, Umwelt und Tiere. Die Subventionspolitik zugunsten der riesigen Agrarkonzerne wird die soziale Ungleichheit weiter fördern. Eine wirtschaftlich sinnvolle und sozial gerechte gleichmäßigere Verteilung zwischen großen und kleinen Betrieben wurde verhindert. Heute bekommen 20% der größten Betriebe 80% aller EU-Fördermittel – auf Kosten der Umwelt, des Tierwohls und der kleinen und mittelständischen Höfe. Daran wird diese sogenannte „Reform“ nichts ändern – denn die Mitgliedstaaten wollen keine verpflichtende Deckelung der Zahlungen und auch keine effektive Verteilung an kleinere landwirtschaftliche Betriebe. Das Höfesterben wird ungehindert weitergehen und so in vielen Regionen Deutschlands Arbeitsplätze kosten.
Ökoprämie ausgehöhlt
Nur 25% der Direktzahlungen sollen für eine Ökologisierungsprämie, sogenannte “Eco-Schemes”, reserviert werden. Landwirt*innen können freiwillig Anspruch auf diesen Bonus erheben, wenn sie weitere Umweltauflagen erfüllen. In der aktuellen GAP war das “Greening”, das durch die Eco-schemes in Zukunft ersetzt werden soll, noch verpflichtend. Da Umweltmaßnahmen in Zukunft freiwillig sein werden, gibt es keine Pflicht, in nachhaltige Praktiken zu investieren. Und die Eco-schemes sind auch in sich ein leeres Versprechen. Denn der Rat und die drei großen Fraktionen im Europaparlament haben es geschafft, den Inhalt der Eco-schemes komplett zu verwässern.
Bundesregierung blockierte jedes bisschen Umweltschutz
Wir Grüne im Europaparlament – und insbesondere unser Verhandlungsführer Martin Häusling – haben uns in den Verhandlungen von Beginn an für eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik eingesetzt. Für uns steht fest: Es darf kein Cent mehr für eine industrielle Landwirtschaft fließen, die die Klimakrise und das Artensterben befeuert und das Tierwohl systematisch verletzt. Doch alle Versuche wurden im Europaparlament von der rückwärtsgewandten Mehrheit aus Christdemokrat*innen, Liberalen und auch Sozialdemokrat*innen immer wieder blockiert. Im Rat war es vor allem die deutsche Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die jeden Fortschritt blockierte und mit den anderen Agrarminister*innen jedes Stückchen mehr Klima- & Umweltschutz in der Reform der EU-Agrarpolitik verhinderte. Damit blieb sie in Europa selbst hinter der nationalen Position für die Umsetzung der Agrarpolitik in Deutschland zurück. Ein völlig unverständliches Verhalten, das nicht nur zum Leidwesen von Natur, Tieren und Umwelt, sondern auch auf dem Rücken der vielen Landwirtinnen und Landwirte ausgetragen wird, die für eine zukunftssichere Landwirtschaft stehen.
Nationale Umsetzung kann Verbesserungen bringen
In drei Monaten sind Bundestagswahlen. Wir Grünen werden die Agrarwende weiter zum Wahlkampfthema machen. Mit Grünen an der Bundesregierung haben wir die Möglichkeit, dieses schlechte europäische Ergebnis in der deutschen Umsetzung zu verbessern. Europäisches Geld muss an die Landwirt*innen fließen, die umwelt-, tierwohl- und klimaschonend arbeiten oder dies wollen, nicht an eine Landwirtschaft, die unsere Lebensgrundlagen gefährdet. Das ist unsere Chance für die Natur und die Landwirt*innen! Viele von Ihnen und Euch wissen wir dabei auf unserer Seite. Mehr als 53.000 Menschen haben unsere Eil-Petition für eine Agrarwende bisher unterschrieben.
Mit entschlossenen Grünen Grüßen
Ihr und Euer Sven Giegold
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