Sven Giegold

Gemeinsame Agrarpolitik: Rabenschwarze Woche für Natur und Klimaschutz

Landwirtschaft GAP CAP

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

soeben hat eine ganz große Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechten ihren faulen und schädlichen Deal für die Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik der nächsten sieben Jahre durchs Parlament gebracht. Damit wird die so dringend notwendige Agrarwende endgültig für sieben weitere Jahre aufgeschoben. Es ist klar: Die europäische Landwirtschaft wird ihren Teil zum Erreichen der Pariser Klimaziele nicht beitragen können.

Wir Grüne im Europaparlament haben uns in den Verhandlungen von Beginn an für eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik eingesetzt. Für uns steht fest: Es darf kein Cent mehr für eine industrielle Landwirtschaft fließen, die die Klimakrise und das Artensterben befeuert und das Tierwohl systematisch verletzt. Doch alle Versuche wurden von der rückwärtsgewandten Mehrheit aus Christdemokraten, LIberalen und auch Sozialdemokraten immer wieder blockiert.

Aber noch schlimmer: Auch der Rat der Mitgliedsländer hat diese Woche seine Haltung zur EU-Agrarreform verabschiedet. Diese ist ebenso schlecht für Klima, Artenvielfalt und Tierwohl wie die des Parlaments. Wenn jetzt Parlament und Rat mit diesen Positionen in die Verhandlungen gehen, kann dabei nichts Gutes herauskommen. Auch deswegen war die heutige Abstimmung der Höhepunkt einer wirklich rabenschwarzen Woche für Klima, Artenvielfalt und die vielen bereits nachhaltig wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe.

Dabei sind die Zeichen eindeutig: Erst diese Woche mussten wir lesen, dass 81 % der geschützten Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand sind. Vielen der besonders geschützten Arten geht es schlecht – und immer schlechter. Die EU-Klimaziele für 2030 sind mit sieben Jahren Weiter-so in der Landwirtschaft nicht zu erreichen. Millionen Tiere werden weiter unter den schrecklichen Bedingungen in der industriellen Landwirtschaft leiden. Das Höfesterben wird ungehindert weitergehen, da weiterhin vor allem große Betriebe gefördert werden sollen. Unten findet Ihr Details zum bisherigen Prozess und zu den Inhalten der Positionen von Rat und Parlament.

Was am Ende einer solchen Woche bleibt, ist das Vertrauen in die Zivilgesellschaft und der Dank für ihren unermüdlichen Kampf gemeinsam mit vielen fortschrittlichen Bäuerinnen und Bauern für eine zukunftsorientierte, nachhaltige Agrarpolitik. Auch wenn wir dieses Mal nicht das erhoffte Ergebnis erzielen konnten, bleibt doch noch die Möglichkeit, auf nationaler Ebene gegenzusteuern. Denn die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, über die heute beschlossenen und völlig unzureichenden Umweltauflagen hinauszugehen. Die Höhe der Zahlungen der neuen Ökologisierungsprämie, die sogenannten Eco-Schemes, darf je nach dem Ambitionsniveau variieren. Hier werden wir Grüne uns mit der breiten Unterstützung aus Zivilgesellschaft und Landwirtschaft weiterhin konsequent für Natur- und Klimaschutz und die wettbewerbsfähige Zukunft der Bäuerinnen und Bauern einsetzen.

Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold

 

P.S.: Auf Twitter und Facebook werde ich sehr schnell veröffentlichen, wie die deutschen Europaabgeordneten abgestimmt haben. Ich freue mich, wenn Sie in den nächsten Stunden reinschauen und die Abstimmungsergebnisse teilen.

 

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Mehr Details zur EU-Agrarpolitik und den faulen Deals der großen Koalition im Parlament und im Rat der Mitgliedsländer

Diese Woche verabschiedeten sowohl das Europaparlament als auch der Rat der Mitgliedstaaten ihre Positionen zur Zukunft der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Leider sind beide Ergebnisse kein Schritt in die Zukunft, sondern ein Verharren im Hier und Jetzt. Besonders dreist ist, dass Julia Klöckner und die ganz große GroKo im Europaparlament ihre schlechten Kompromisse als Systemwechsel verkaufen wollen. Das ist schlicht ein Etikettenschwindel.

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wurde in den letzten drei Jahren im Europaparlament und Rat verhandelt. Herausgekommen sind zwei Kompromisse, die das Wort Reform nicht verdienen. Die Subventionspolitik zugunsten der riesigen Agrarkonzerne – auf Kosten der Umwelt, des Tierwohls und der kleinen und mittelständischen Höfe – geht weiter. Wir Grüne lehnten die neue Gemeinsame Agrarpolitik in dieser Form deshalb im Europaparlament ab. Unser Antrag, den Gesetzesvorschlag an die Kommission zurückzusenden, um einen neuen Vorschlag auf Grundlage des Europäischen Green Deals und der EU-Biodiversitätsstrategie zu finden, wurde aber abgelehnt. Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale haben gemeinsam am Dienstag ihr Kompromisspaket durchgestimmt. Besonders die SPD versuchte mit Symbolpolitik sich im letzten Moment aus der Verantwortung zu stehlen, muss sich aber diese schlechte Reform genauso wie CDU/CSU und FDP auf die Fahnen schreiben lassen. Verhandlungsführerin für die sozialdemokratische Fraktion ist die deutsche SPD-Abgeordnete Noichl, für die Liberalen verhandelt die deutsche Abgeordnete Müller. Die SPD-Abgeordnete hatte über Monate eng mit unserem grünen Verhandlungsführer Martin Häusling (Hessen) zusammengearbeitet, aber dann zwei Wochen vor der Plenarabstimmung erklärt, dass die Kompromisse nun mit Christdemokraten und Liberalen gemacht werden. In der Schlussabstimmung hat die deutsche SPD-Delegation gegen die selbst ausgehandelte GAP gestimmt, für die eine Mehrheit der S&D-Fraktion aber trotzdem stimmte.

Die Gemeinsame Agrarpolitik ist der weitaus größte Posten des EU-Haushalts. In keinem anderen Wirtschaftszweig fliesst mehr EU-Geld. In den nächsten sieben Jahren soll die europäische Landwirtschaft mit fast 400 Milliarden Euro gefördert werden. Doch der allergrößte Teil dieser Fördergelder wird auch weiterhin ohne nennenswerte Umweltauflagen verteilt. Es ist schlechte Tradition, dass Gelder nach der Größe der Anbaufläche verteilt werden. Davon profitieren vor allem die riesigen industriellen Betriebe, kleine und mittlere Höfe werden weiter strukturell benachteiligt. Heute bekommen 20% der größten Betriebe 80% aller EU-Fördermittel. Daran wird diese sogenannte „Reform“ wohl nichts ändern – denn die Mitgliedstaaten wollen keine verpflichtende Deckelung der Zahlungen.

Im Europaparlament hat eine Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen einen Kompromiss durchgedrückt, dem es an allen Ecken und Enden an Ambition und Umweltschutz fehlt. Mit teils windigen Tricks (Abstimmungen wurden in letzter Minute vorgezogen, um größere Debatten zu vermeiden) erzielten sie eine Mehrheit für ihre Vorschläge gegen die Stimmen von uns Grünen und der Linken.

  • Das Parlament stimmte dafür, 60% der Gesamtzahlungen weiterhin nur nach Fläche auszuzahlen, mit wenigen und wachsweichen Umweltauflagen. Den Mitgliedstaaten ist es ausdrücklich untersagt, weniger als 60% nach Fläche auszuzahlen, selbst wenn sie mehr Geld für nachhaltige Landwirtschaft bereitstellen wollen. Während es im Vorschlag der EU-Kommission eine Reihe von Bedingungen für die Auszahlung von Direktzahlungen gab, verwässert der Kompromiss der drei Fraktionen diese an entscheidenden Stellen:
    • Nur auf 5% der landwirtschaftlichen Fläche soll verpflichtend die Biodiversität über sogenannte ökologischen Vorrangfläche gestärkt werden. Heute ist dies jedoch schon auf 9% der Flächen in der EU der Fall.
    • Der Schutz von Feuchtgebieten und Mooren, wie ursprünglich von der Kommission vorgesehen, wird ausgehebelt.
    • Das Pflugverbot in den wertvollsten Naturräumen “Natura 2000”, wie von der Kommission vorgesehen, findet sich nicht im Text des Parlaments wieder.
  • Nur 30% der Direktzahlungen sollen für eine Ökologisierungsprämie, sogenannte “Eco-Schemes”, reserviert werden. Landwirt*innen können freiwillig Anspruch auf diesen Bonus erheben, wenn sie weitere Umweltauflagen erfüllen. In der aktuellen GAP war das “Greening”, das durch die Eco-schemes in Zukunft ersetzt werden soll, noch verpflichtend. Da Umweltmaßnahmen in Zukunft freiwillig sein werden, gibt es keine Pflicht, in nachhaltige Praktiken zu investieren. Und die Eco-schemes sind auch in sich ein leeres Versprechen. Denn die drei großen Fraktionen haben es geschafft, den Inhalt der Eco-schemes komplett zu verwässern. Sie sollen in Zukunft nicht nur Umweltziele berücksichtigen, sondern Eco-Schemes sollen auch mit Einkommens- und Wettbewerbszielen der GAP kompatibel sein. Die laschen Umweltauflagen sind schon erreicht, wenn Landwirte die so genannte “Präzisionslandwirtschaft” anwenden. Im Gesetz ist die Präzisionslandwirtschaft nicht definiert, sie setzt aber zentral auf den Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln. Der Einsatz von Pestiziden soll auch in Zukunft mit zusätzlichen Fördermitteln aus den Eco-schemes belohnen werden.  Einzige Bedingung ist der “nachhaltige und reduzierte Einsatz von Pestiziden”. Diese absichtlich sehr schwammige Formulierung ist so unkonkret, dass sie wohl praktisch den gleichbleibenden Einsatz von Pestiziden erlaubt.
  • Direktzahlungen sollen bei 100.000 Euro pro Jahr gedeckelt werden. Wir Grüne hatten eine Deckelung bei 60.000 Euro gefordert. Dies ist zwar ein Fortschritt zur aktuellen GAP, die keine verpflichtende Deckelung vorsieht, aber mit einem so hohen Deckel wird weiterhin viel Geld an besonders große Betriebe fließen, die das Geld viel weniger benötigen.
  • Extensivierung der Viehzucht: Wir Grüne haben vergeblich versucht, einen allgemeinen Rückgang der Fleisch- und Milchproduktion und einen Übergang von der Unterstützung der sehr intensiven Tierhaltung zur Unterstützung der extensiven Tierhaltung durchzusetzen. Wir wollen das Ende der massenhaften Tierquälerei und eine artgerechte, tierwohlorientierte Art der Landwirtschaft in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik verankern.

Obwohl wir Grüne in vielen Punkten nicht unsere Positionen durchsetzen konnten, haben wir es dennoch geschafft, für einige positive Elemente Mehrheiten im Plenum des Europaparlaments zu finden: Die Kommission muss überprüfen, ob die nationalen Strategien zur Umsetzung der GAP mit den Pariser Klimazielen übereinstimmen, bevor sie die Pläne genehmigt.  Eine Mehrheit des Europaparlaments stimmte für unseren Grünen Änderungsantrag, der verhindert, dass EU-Länder die Zucht von Stieren für den Stierkampf finanziell unterstützen. 

Der Rat hat, unter dem Vorsitz der deutschen Landwirtschaftsministerin Klöckner ein ebenso ambitionsloses Weiter-so beschlossen.

  • Die Ökologisierungsprämie “Eco-schemes” gar soll auf nur 20% der Direktzahlungen begrenzt sein. In den ersten zwei Jahren der Anwendung dieser neuen Prämie sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, nicht genutzte Eco-schemes als Direktzahlung  ohne weitere Umweltauflagen zu verteilen. So werden zwei Jahre lang die schwachen Regeln der Eco-schemes praktisch komplett ausgehebelt.
  • Ebenso wie das Europaparlament legten sich die Mitgliedstaaten darauf fest, dass die Eco-schemes freiwillig sind. Damit sind auch die Umweltauflagen der Eco-Schemes freiwillig. Die verpflichtenden Auflagen sind in Zukunft um einiges weicher als aktuelle Regeln.
  • Direktzahlungen sollen weiterhin hektar-basiert und mit wachsweichen Umweltauflagen fliessen können. Die kleinsten Betriebe sollen aber von jeglichen Direktzahlungen ausgenommen werden und keine Förderung erhalten. Das zeigt deutlich, wo die Prioritäten der Mitgliedstaaten liegen.
  • Die Mitgliedstaaten sollen individuell entscheiden können, ob sie eine Deckelung der Direktzahlungen einführen oder nicht. So könnten weiterhin immense Summen an die besonders große Betriebe ausgeschüttet werden.
  • Die Bedingungen, an die Direktzahlung geknüpft sind, werden ähnlich wie im Europaparlament verwässert
    • Es gibt kein explizites Pestizidverbot auf ökologischen Vorrangflächen mehr.
    • Feuchtgebiete und Moore, die jetzt unter Schutz stehen, sollen erst ab 2025 “angemessen“ geschützt werden. Was “angemessen” bedeuten soll, ist völlig unklar.
    • Der Rat legt keine verbindlichen Schutzstreifen für den Schutz der Gewässer vor Einträgen fest.
    • Die Verpflichtungen zur Erhaltung der Flächen in einem „guten ökologischen Zustand“ wurde aus dem Vorschlag der Kommission gestrichen.

In den kommenden Verhandlungen werden sich Rat und Europaparlament auf einen gemeinsamen Text einigen müssen. Änderungen zum Positiven sind in diesem Stadium nicht mehr zu erwarten. Im Angesicht von Klimakrise und Artensterben ist diese Agrarreform ein Armutszeugnis. Die Kompromisse in Rat und Europaparlament stellen die Weichen für die Zuspitzung der Klimakrise. Was Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner als Vorsitzende des Rats und die GroKo im Europaparlament als Systemwechsel verkaufen, ist schlichtweg ein Etikettenschwindel. Die Beschlüsse der Regierungen und des Parlaments untergraben die Ziele des Europäischen Green Deals. Unser Antrag, die konkreten Ziele des Green Deal, EU-Biodiversitätsstrategie und der EU-Agrarstrategie “Vom Hof auf den Tisch” in der Gemeinsamen Agrarpolitik festzuschreiben, wurde abgelehnt. So haben der Rat und die Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechten im Europaparlament einen schlechten Kompromiss auf Kosten des Klimas und der Artenvielfalt gemacht.

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P.S.: Webinar “Der Weg zu 1,5 Grad”? – Vorstellung und Diskussion der 1,5°C-Studie des Wuppertal Instituts für Fridays For Future. Mit den Studienautor*innen Jenny Kurwan & Prof. Stefan Lechtenböhmer, Anke Herold (Öko-Institut), Michael Bloss MdEP & Oliver Krischer MdB. Moderation: Sven Giegold MdEP. Mittwoch, 28.10.2020, 20:00 Uhr. Gleich hier anmelden!

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Link zur Position des Rates (nur auf Englisch verfügbar):
https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2020/10/21/council-agrees-its-position-on-the-next-eu-common-agricultural-policy/

Die finale Position des Parlaments liegt noch nicht vor.

Rubrik: Europaparlament, Klima & Umwelt

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