Sven Giegold

Gastbeitrag im neuen deutschland: „Europas Demokratie steht auf dem Spiel“

Europas Demokratie steht auf dem Spiel – Gastbeitrag im neuen deutschland

Nach dem Rausch des beeindruckenden OXI der griechischen Bürgerinnen und Bürger kann für Griechenland leicht ein schlimmer Kater folgen. Das Referendum hat Griechenland nach innen geeint. Mit Ausnahme der Kommunisten und der Rechtsextremen haben sich alle Parteien hinter Ministerpräsident Alexis Tsipras versammelt. Der griechische Premier hat nun ein sehr starkes Mandat von seiner Bevölkerung. Nach außen jedoch ist Tsipras geschwächt. Die Entscheidungsträger in der Eurozone sind ebenso zusammengerückt. Die Stimmungslage ist in vielen europäischen Ländern noch kritischer gegenüber neuen Zugeständnissen an Griechenland geworden. Fraglos wollen praktisch alle Regierungen der Eurozone am Kurs der Kaputtsparpolitik festhalten.

Hier rächt sich nun, dass die SYRIZA-Regierung in den ersten fünf Monaten bei den zentralen Problemen – Leistungsfähigkeit der Verwaltung, Klientelismus und Steuerverwaltung – so wenig auf die Reihe bekommen hat. Anders als versprochen wurde die Lagarde-Liste mit 2062 reichen griechischen Kontoinhabern in der Schweiz nicht abgearbeitet. Stattdessen bekamen auch Steuerzahler mit Millionenausständen gegenüber dem Fiskus Rabatte, wenn sie ihre Steuern doch begleichen. Der Vorschlag, die Namen von Steuersäumigen mit mehr als zum Beispiel 500 000 Euro Rückstand ins Internet an den öffentlichen Pranger zu stellen, wurde nicht umgesetzt. Bei der Kürzung der Militärausgaben ist es unter SYRIZA nicht weiter vorangegangen. Es ist eine wenig überzeugende Ausrede, dass die Erfolge nur wegen der Troika ausgeblieben sind. Dagegen sprechen viele Beispiele: Auch die SYRIZA-Regierung pflegt ihre mächtigen Klientelismen. All das ist für eine unerfahrene Partei vielleicht nachvollziehbar, aber in dieser Situation ist der Mangel an Erfolgen leider fatal.

Das war ein Hauptgrund, warum es so leicht war, die griechische Regierung in der Eurogruppe zu isolieren. Bei sichtbaren Erfolgen hätten Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis mit einer ganz anderen Glaubwürdigkeit auftreten können. Es ist einfach nur bitter, dass sie es Schäuble und anderen Scharfmachern gegenüber Griechenland so leicht gemacht haben.

Jetzt ist guter Rat teuer. Noch teurer wäre allerdings, Griechenland aus dem Euro zu drängen. Die Argumente, dass die Menschen in Griechenland von einer neuen schwachen Währung profitieren würden, überzeugen nicht. Nach der brutalen Anpassung des Lohnniveaus in Griechenland ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit für neue Projekte weitgehend wiederhergestellt. Die Leistungsbilanz ist schon jetzt in etwa ausgeglichen. Dass Investitionen trotzdem ausbleiben, liegt neben der fortgesetzten Austeritätspolitik und einem ineffizienten Staatswesen, vor allem an einer Vertrauenskrise in die Stabilität des wirtschaftlichen Umfelds und der Währung. Jetzt das Land mit den enormen Kosten einer Währungsumstellung zu belasten, würde bedeuten, die Menschen in Griechenland doppelt zu bestrafen.

Doch auch für Gläubiger wäre der Grexit der GAU – der Größte Anzunehmende Unfall – des Euro. Zum einem müssten die Gläubigerstaaten und damit die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen einen noch größeren Teil der Schulden abschreiben, zum anderen würde der Euro für alle sichtbar zu einer instabilen Währung. Bei der nächsten ökonomischen oder politischen Krise würde die Panik von Anlegern und Unternehmen ungleich größer und die Kosten der Bewältigung der Krise noch höher. Man kann nur hoffen, dass diese Argumente zusammen mit den vielen anderen ungelösten Problemen Europas auch die Falken unter den Regierungen überzeugen. Daher setzen sich die Grünen in ganz Europa in einem gemeinsamen Appell für eine faire Einigung ein. Es muss ein neuer Vorschlag auf den Tisch, der sich auf das Wesentliche konzentriert: Reformen des Steuersystems und in der öffentlichen Verwaltung, Kampf gegen Korruption und eine Wiederbelebung der Wirtschaft. Es muss eine Vereinbarung sein, die auf Krisen verschärfende Austeritätsmaßnahmen verzichtet. Eine Vereinbarung mit nachhaltigen Investitionen. Eine Vereinbarung, die die Restrukturierung der griechischen Schulden und Schuldenerleichterungen vorbereitet.

Es geht nicht nur um Griechenland. Es geht um die Europäische Union. Unser gemeinsames Ziel, die europäische Demokratie weiterzuentwickeln, steht auf dem Spiel.