Sven Giegold

Giegold: Finanztransaktionssteuer ist nicht mehr zu stoppen

Eine Finanztransaktionssteuer galt lange als wenig re alistisch. Das habe sich geändert, sagt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Die Steuer werde kommen. Aber in welcher Gestalt?

Brüssel (dpa Insight) – Die umstrittene Finanztransaktionssteuer wird nach Einschätzung finanz- und wirtschaftspolitischen Sprechers der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, kommen. «Ich glaube auch, dass die Steuer im Kern nicht mehr zu stoppen ist, sondern dass die Koalition so breit ist, dass sie in irgendeiner Form umgesetzt wird», sagte er im Gespräch mit dpa Insight EU. «Aber die Frage ist, ob das, was jetzt beschlossen wird, dann noch eine Finanztransaktionssteuer ist oder nur eine Karikatur davon.» Die EU-Kommission will bis 2014 eine solche Steuer einführen – vorzugsweise in allen 27 Mitgliedstaaten. Ziel ist, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen.

Herr Giegold, das Thema Finanztransaktionssteuer bewegt Europa, Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat unterstrichen, die Kommission setze auf die große Lösung mit allen 27 EU-Staaten. Sie selbst setzen sich durchaus vehement für die Steuer ein – wie stehen Sie zu dem Projekt?

Giegold: «Vor allem setze ich mich schon sehr lange für die Steuer ein, schon als sie noch nicht so beliebt war. Damals war es so, dass man, gerade wenn man Wirtschaftswissenschaften studiert hatte und für die Steuer war, als Aussätziger galt. Heute ist es fast umgekehrt: Alle sind dafür und es geht nur noch um die Bedingungen, die Größenordnung, die Hebesätze. Das ist doch erst einmal eine erfreuliche Entwicklung. Ich glaube auch, dass die Steuer im Kern nicht mehr zu stoppen ist, sondern dass die Koalition so breit ist, dass sie in irgendeiner Form umgesetzt wird. Aber die Frage ist, ob das, was jetzt beschlossen wird, dann noch eine Finanztransaktionssteuer ist oder nur eine Karikatur davon.»

Sie sagten, die Zustimmung zur Finanztransaktionssteuer sei erfreulich – warum ist das denn so erfreulich?

Giegold: «Der Finanzsektor ist für die Krise mit verantwortlich. Es hat sich gezeigt, Finanzmärkte sind nicht effizient – sie neigen zur Blasenbildung. Entweder werden Länder oder bestimmte Vermögenswerte in ihrer Werthaltigkeit enorm überschätzt oder sie werden wie jetzt zum Teil deutlich unterschätzt. Das erzeugt externe Kosten bei Menschen und Unternehmen, die damit überhaupt nichts zu tun haben: Wenn beispielsweise derzeit die italienische Wirtschaft massiv unterschätzt wird, dann führt das gleichzeitig zur Verknappung von Krediten für die dortigen Unternehmen, obwohl sie dafür überhaupt nichts können.

Diese externen Kosten werden dem Finanzsektor aber nicht angelastet, weil er nämlich fast nicht besteuert wird. Es werden zwar Gewinne besteuert, aber anders als in anderen Branchn keine Umsätze, sämtliche Finanzgeschäfte sind von der Umsatzsteuer befreit. Dafür ist die Finanztransaktionssteuer ein fairer Ersatz, um einen Teil der Kosten für den Rest der Mitbürger und die Wirtschaft steuerlich zu erfassen. Soweit besteht auch weitgehend Konsens zum Fakt der Unterbesteuerung.

Nur: Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Folglich haben wir trotzdem Widerstand aus der Finanzwirtschaft, vor allem nach dem Motto, immer neue Bedingungen zu stellen, von denen man weiß, dass sie unerfüllbar sind, um die Einführung der Steuer zu hintertreiben. Das ist das derzeitige Spiel. Die erste Forderung lautete, die Steuer müsse mindestens global eingeführt werden, nachdem das ausgeräumt war, hieß die nächste Bedingung, es müssten mindestens 27 Staaten sein, nicht weniger.

Dann gibt es eine große Debatte um mögliche Ausnahmen; die großen Konzerne in Europa haben im Europaparlament eine Generalausnahme für die Realwirtschaft gefordert. Die Investmentbranche will die kapitalgedeckte Rente ausnehmen. So will jetzt jeder seine Extrawürste einführen und damit den Sinn hintertreiben, alle Geschäfte gleichmäßig zu besteuern.»

Die Frage ist aber auch, wie es um die Lenkungswirkung der Steuer bestellt ist – oder dient sie letztlich doch nur der Erhöhung des Steueraufkommens?

Giegold: «Die Steuer wirkt doppelt: Sie erzielt Einnahmen aus einem Sektor, der bisher unterbesteuert ist und auf der anderen Seite erreicht sie das nicht mit dem Holzhammer, sondern sie unterscheidet zwischen Geschäften, die kurzfristig orientiert sind, und Geschäften, die langfristig orientiert sind. Wer langfristig investiert ist, wird weniger Steuern bezahlen und jemand, der kurzfristig investiert ist, wird mehr bezahlen. Das ist der große Vorteil im Gegensatz zu dem Modell der Bankenabgabe, die von einem Teil der Finanzwirtschaft befürwortet wird. Denn mit Bankenabgaben belaste ich genauso auch das normale Geschäft etwa mit dem Mittelstand mit Krediten, während die Besteuerung der Transaktionen dazu führt, dass vor allem das Investmentbanking belastet wird. Diese Unterscheidung ist auch wirtschaftspolitisch intelligent.»

Kritiker warnen beispielsweise, die Steuer würde auf Kleinanleger und Verbraucher abgewälzt, auch seien Anlagen für die Altersvorsorge betroffen. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Giegold: «Zunächst einmal würde ich sagen, dass die Bevölkerung längst mehr Angst vor einer unregulierten Finanzwirtschaft als vor deren Besteuerung hat. Aber die Argumente muss man natürlich ernst nehmen. Es ist völlig klar, dass die Steuer auch überwälzt wird. Das bedeutet zunächst einmal, ein Großteil der hochspekulativen Geschäfte wird von den Banken selbst durchgeführt, im sogenannten Eigenhandel. Die Besteuerung dieser Umsätze wird nicht überwälzt. Bei Pensionsfonds allerdings, die für Alterssicherung da sind, wird Steueraufkommen erzielt.

Und jetzt beobachte ich mit Interesse, wie ausgerechnet die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank mit der Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken eine Studie herausgibt und sagt, über 40 Jahre werden mit der Steuer große Summen etwa für Riester-Sparer zusammenkommen. Worauf beruht das? Wer in einen langfristig solide wirtschaftenden Fonds einzahlt, der bezahlt sehr wenig Steuern. Wir sehen aber die Praxis bei vielen Riester-Fonds, diese regelmäßig zu drehen. Und das heißt, diese Studie sagt eigentlich etwas über das kundenunfreundliche Management der Riester-Fonds, denn diese hohen Steueraufkommen gibt es nur, wenn sie regelmäßig das Portfolio umschichten. Das machen viele Fonds, um damit Gebühreneinnahmen für ihre eigenen Verwahrbanken zu generieren. Das ist aber nicht im Interesse der Riester-Sparer.

Wer in Riester-Produkte investiert, die solide gemanagt sind, die nicht darauf aus sind, möglichst hohe Managementgebühren sondern langfristig Erträge zu erzielen, der wird von der Finanztransaktionssteuer kaum belastet. Das können Sie an einem ganz einfachen Beispiel festmachen: Wenn Sie in einem Fonds sind, der in Staatsanleihen investiert, diese kauft und bis zum Ende hält, dann haben Sie beim Kauf und beim Verkauf einen Umsatz, und die Besteuerung beträgt 0,1 Prozent beim Kauf und 0,1 Prozent beim Verkauf. Keine relevante Belastung für den Riester-Sparer. Aber wenn Sie einen Fonds haben, der ständig gedreht wird, dann sieht die Sache anders aus. Kurzum: Diese Studie fällt auf ihre Autoren zurück, sie ist entlarvend für die beiden Fondsbetreiber.

Ich beobachte mit Interesse, dass sich die deutschen Sparkassen anders aufstellen, dass die ganz klar sagen, sie unterstützen diese Besteuerung, weil sie genau wissen, dass das Alternativmodell einer Bankenabgabe ihr Brot- und Buttergeschäft betrifft, nämlich Sparprodukte auf der einen Seite und Vergabe von Krediten in der Region auf der anderen. Und diese Brot- und Buttergeschäfte werden ja von der Finanztransaktionssteuer gar nicht belastet. Darüber sollten vielleicht auch die Gruppe der Genossenschaftsbanken mal nachdenken, ob sie da mit dem richtigen Partner im Bett sind.»

Zur erwarteten Höhe des Steueraufkommens: Von 57 Milliarden Euro ist die Rede. Für wie realistisch halten Sie das?

Giegold: «In der Abschätzung der 57 Milliarden ist eine drastische Reduktion der Handelsgeschäfte enthalten, aber natürlich weiß niemand ganz genau, wie sich das verhalten wird. Es ist bereits eine konservative Schätzung. Das zweite Argument, das gebracht wird: werden die Geschäfte dann verlagert? In der deutschen Debatte wird von Kritiker oft wider besseres Wissen oder aus Unwissenheit nicht gesagt, wie die EU-Steuer konstruiert wird. Es wird immer wieder mit der schwedischen Steuer verglichen, die zwar schön klang, aber keine Einnahmen gebracht hat, weil sämtliche Umsätze im Ausland erbracht wurden.

Hier haben wir es aber mit einer Steuer zu tun, die am Wohnsitzprinzip ansetzt. Das heißt, wenn ein Deutscher Geschäfte in London macht,  muss er genauso Steuern bezahlen als wenn er diese Geschäfte in Frankfurt macht. Dieses Wohnsitzprinzip führt auch zu einer gleichmäßigen Verteilung des Steueraufkommens zwischen den EU-Staaten und es macht Umgehung schwerer. Jeder, der jetzt sagt, diese Steuer sei wie die schwedische damals, unterstellt im Grunde allen Deutschen den Willen zur Steuerflucht. Ehrlich gesagt, ich glaube, die Mehrheit der Bürger ist nicht bereit, angesichts der immer häufigeren Daten-Lecks und Steuer-CDs und der Verfolgung von Steuerflucht dieses Risiko einzugehen.

Deshalb glaube ich nicht, dass die Umgehungsmöglichkeiten so weitgehend ausgenutzt werden, wie das befürchtet wird. Und man darf Äpfel nicht mit Birnen vergleichen: die schwedische Steuer war falsch konstruiert und der Kommissionsvorschlag ist intelligent konstruiert.»

Muss man nicht vermuten, dass die Finanzbranche eilig darangehen wird, Produkte zu erfinden, die zumindest nach dem bisherigen Modell eben nicht unter die Finanztransaktionssteuer fallen?

Giegold: «Absolut! Das ist zu befürchten, deshalb ist auch wichtig, dass sich der Staat bei der konkreten Ausgestaltung der Gesetzgebung genug Reaktionsmöglichkeiten offenhält, darauf zu reagieren. Das liegt aber in der Natur der Sache. Nur weil wir Schwarzarbeit kennen, stellen wir nicht die Einkommensbesteuerung ein. Weil wir Unter-der-Theke-Verkäufe kennen, stellen wir nicht die Mehrwertsteuer ein. Besteuerung wird immer auch zu Vermeidungsreaktionen führen; das ist bedauerlich, weil ich glaube, dass wir vom Steuerzahlen große Vorteile haben. Man kann das sehen, wo der Staat nicht mehr seine Ausgleichsfunktion wahrnimmt, welch fatale Folgen das für die Gesellschaft hat.

Ich glaube, die leider trotzdem verbreitete Anti-Steuer-Haltung kommt aus der gleichen Zeit und der gleichen Haltung des Egoismus, die uns in diese Finanzkrise getrieben hat. Aber man muss die Vermeidungsreaktionen ernst nehmen und man muss dagegen handeln, um die Steuerfairness aufrechtzuerhalten. Dazu muss der Staat genügend Reaktionsmöglichkeiten bereithalten. Das heißt aber nicht, dass man deshalb eine Steuer per se abschafft oder gar nicht erst einführt.

Es ist schon perfide, dass mit der Begründung, die Steuer werde vermieden, gesagt wird, dann besteuern wir eine ganze Gruppe von Akteuren einfach gar nicht relevant, nämlich in diesem Falle die Finanzindustrie. Scheinbar sollen wir aber gerne die Rechnungen für die Kosten zahlen, die dieser Sektor erzeugt. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dies die Meinung der Bürger ist.

Was ist wirklich das Neue an dieser Steuer? Ich glaube, dies ist der Grund, warum der Widerstand dagegen so lange so groß war: Es ist das erste Mal, dass international koordiniert eine Steuer eingeführt wird. Das ist wirklich wichtig für die Frage, wie bekommen wir soziale und ökologische und demokratische Regeln in die Globalisierung. Es gibt etliche Güter, die wir nicht besteuern, obwohl man sie eigentlich vernutzt. Das gilt für den Verbrauch endlicher Rohstoffe, das gilt für das globale Gut Atmosphäre, das gilt für das Leerfischen der Meere. Eigentlich sind das alles Güter, die der Menschheit insgesamt gehören, und das gilt in gewisser Weise auch für das globale Finanzsystem. All diese öffentlichen Güter besteuern wir aber nicht, weil nicht ganz klar ist, wie nationale Steuerstaaten sie angehen sollen.

Und wenn wir jetzt erstmals übergreifend und nicht mehr nur auf nationalstaatlicher Ebene lernen, diese Güter zu besteuern, dann kommen wir letztlich zu mehr ökonomischer Effizienz und auch zu mehr Vernunft bei der Nutzung dieser globalen öffentlichen Güter. Das ist das eigentlich Interessante an dieser Steuer, deshalb finde ich es auch nicht so wichtig, ob diese Steuer 0,01 oder 0,1 oder 0,5 Prozent beträgt. Die Höhe kann man später noch anpassen. Das Entscheidende ist, dass die Menschheit damit einen weiteren Schritt der Zivilisierung des Globalisierungsprozesses der Wirtschaft macht.»

Zumal doch immer wieder Kritik am Wildwuchs der Finanzbranche aufgekommen war. Jetzt versucht man also, gewissermaßen eine Hecke zu pflanzen, um diesen Wildwuchs einzudämmen?

Giegold: «Und es ist doch interessant, zu sehen, wer sich dem Pflanzen dieser Hecke gegen den Wildwuchs widersetzt – in Deutschland die FDP, die zunächst diese Steuer skeptisch sah. Dann meinten die Liberalen, mindestens global müsse die Steuer eingeführt werden. Und jetzt, wenn es in Europa konkret wird, sagt die FDP, sie werde es europäisch akzeptieren – als sie wussten, dass London nich mitmacht. Und wenn es in der Eurozone konkret wird, macht sie genau das wieder zum Bedingungsmaßstab. Das ist einfach durchsichtig, es geht gar nicht um eine Debatte der konkreten Ausgestaltung, sondern darum, diese Hecke gar nicht erst ergrünen zu lassen. Ich finde, das darf man nicht durchgehen lassen.

Was mir noch sehr wichtig erscheint für die Frage, ob die Steuer letztlich ein Erfolg wird, ist auch: gelingt es, eine Koalition der Willigen über die Euroländer hinaus zu konstruieren? Das bedeutet, man muss auch Länder, Schwellenländer etwa, überzeugen mitzugehen. Das gelingt vor allem dann, wenn ein Teil der Einnahmen für globale öffentliche Güter ausgegeben wird – Klimaschutz, Armutsbekämpfung. Fast jede globale Konferenz der letzten Jahre ist an der Geldfrage entweder gescheitert oder mit Formelkompromissen beendet worden. Global koordinierte Steuern können helfen, dieses Problem zu lösen. Dann wird auch das Interesse der Schwellen- und Entwicklungsländer wachsen, dabei mitzutun.»

Was glauben Sie, mit wie vielen Staaten die Steuer schließlich an den Start gehen wird – und ist nicht alleine die Vorreiterrolle Europas schon Anreiz genug für andere Staaten, sich das mal sehr genau anzusehen?

Giegold: «Ich glaube, auf jeden Fall werden andere mitziehen, wenn Europa damit beginnt. Aber ob alle Euro-Länder mitmachen, das wird entscheidend davon abhängen, ob die Bundesregierung sich endlich einig wird, dies auch diplomatisch zu einer Priorität zu machen. Die Kanzlerin hat immer wieder gezeigt, dass sie in der Lage ist, Dinge durchzusetzen, die man vorher in der EU für unmöglich gehalten hat – manches davon zum Guten, manches davon zum Schlechten. Aber die Frage der Finanztransaktionssteuer wie überhaupt auch der Kampf gegen Steuerflucht hat bisher keine Priorität in der deutschen Krisenpolitik. Das ist ein schwerer Fehler, denn die Staaten können sich auf zwei Ebenen sanieren: Sie können entweder sparen oder sie können gerechte Mehreinnahmen einführen, die die Wirtschaft wenig belasten. Oder zumindest die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herstellen, indem man wirklich grenzüberschreitend gegen Steuerflucht vorgeht – oder eben eine Finanztransaktionssteuer einführt.

Und das ist bisher keine Priorität der deutschen Krisenpolitik. Ich finde, das ist ein Versäumnis, das nicht nachvollziehbar ist. Und ich wünsche mir, dass das bei dem Gipfel im März eine deutsche Priorität wird, die nicht nur die Finanztransaktionssteuer, sondern auch die europäische Steuerkooperation mit der Forderung nach Sparen und Haushaltsdisziplin auf die Tagesordnung setzt.»

Bis 2014 möchte die Kommission die Steuer einführen – halten Sie das für realistisch?

Giegold: «Das ist absolut realistisch. Das ist ein Zeitplan, in dem wir weiter sind, setzt aber voraus, dass die Logik des Verzögerns beendet wird. Die letzte Rats-Arbeitsgruppe hat es gerade einmal geschafft, zwei Artikel der vorgeschlagenen Richtlinie zu bearbeiten. Das Tempo muss deutlich erhöht werden. Das Parlament ist hier nicht in der Mitentscheidung, wir haben unsere Hauptaufgabe erfüllt: wir haben durch eine breit getragene Resolution beschlossen, obwohl es gegen die europäische Finanztransaktionssteuer auch erst Widerstand eines Teils der Konservativen und der Liberalen gab. Damit haben wir die Kommission zum Jagen getragen. Da sieht man, dass die Bürger hier auch eine Stimme haben.

Aber jetzt kommt es darauf an, dass der Rat mit dem Vorschlag der Kommission auch etwas macht. Die Krisen in den Ländern, die derzeit gleichzeitig unter Wirtschaftskrise und Sparen ächzen, die brauchen genau diese Art von Maßnahme. Und deshalb sind die auch dafür.»

Gleichzeitig sprechen Sie hier ein weiteres Problem an: Es dürfte nicht ganz einfach sein, die Einnahmen für etwas anderes als das klamme Staatssäckel zu verwenden – oder?

Giegold: «Ja, das ist mir auch klar. Die realpolitischen Chancen dafür, dass wirklich ein substanzieller Teil des Geldes bei den Zielen landet, die damals James Tobin oder auch Attac und die Kirchen und Entwicklungsorganisationen damit verbinden, die sind schlechter geworden durch die Finanzkrise. Umgekehrt ist auch klar – Krise hin oder her, wenn wir den Klimawandel nicht bekämpfen, wird es noch teurer. Denn die Klimakosten werden kommen, und je später wir dort handeln, desto teurer wird es.

Das hat Nicholas Stern ja gezeigt: Nichthandeln wird in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts 20 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts der Menschheit kosten. Es ist allemal billiger, jetzt den notwendigen Wandel anzugehen. Wobei ich nicht alles am Geld festmachen will: die eine Milliarde Menschen, die hungern, darf man einfach nicht verrechnen mit einer Schuldenkrise in Europa. Den Grundwerten der Europäischen Union bezüglich Solidarität und auch den christlichen Werten der Orientierung an den Schwächsten entspricht das nicht.»

Wird die Steuer Ihrer Meinung nach wirklich Lenkungswirkung auf die Märkte und Einfluss auf den Wildwuchs haben?

Giegold: «Die Steuer kann nicht alle Auswüchse des Finanzsystems regeln, sondern es bleiben andere Fragen ebenso wichtig, vor allem die ausreichende Eigenkapitalausstattung der Banken plus Einbeziehung aller Nicht-Bank-Akteure, sogenannte Schattenbanken wie Hedge Fonds. Und schließlich die Frage, wie sorgt man dafür, dass Banken letztlich die Kosten, die sie durch Fehlspekulationen erzeugen, selbst tragen können – und damit die Frage des „too big to fail“. Diese Frage muss angegangen werden in der Form, dass die Eigenkapitalausstattung umso größer sein muss, je größer eine Finanzinstitution ist. Das würde kleineren Akteuren helfen, aber das ist die Gretchenfrage der Finanzmarktregulierung, und die liegt auch in diesem Jahr auf dem europäischen Tisch.»

Interview: Thomas Strünkelnberg, dpa

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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