Sven Giegold

Gift in Lebensmitteln: Europaparlament legt Veto gegen zu hohe Grenzwerte für Acrylamid und Zulassung von Titandioxid ein

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Interessierte,

immer wieder setzt sich das Europaparlament für besseren Verbraucherschutz ein, ohne dass die Öffentlichkeit davon viel hört. So zum Beispiel letzte Woche, als wir gegen zu hohe Grenzwerte für Acrylamid und die Zulassung von Titandioxid unser Veto eingelegt haben. Diese Substanzen finden sich in vielen Lebensmitteln und können besonders für Kinder gesundheitsschädlich sein. 

Das Europaparlament lehnte zwei Gesetzesvorschläge ab, da sie nicht den nötigen Gesundheitsschutz für Kinder sicherstellen. Wir fordern von der Kommission neue Vorschläge, um für Acrylamid deutlich niedrigere Grenzwerte festzulegen und Titandioxid ganz von der Liste der erlaubten Substanzen in Lebensmitteln zu streichen. Die Vetos wurden jeweils von grünen Abgeordneten, nämlich Jutta Paulus und Michèle Rivasi, entworfen und von einer breiten Mehrheit aus Grünen, Sozialdemokraten, Liberalen und Linken getragen. Die Christdemokraten haben sich bei beiden Abstimmungen mehrheitlich enthalten.

Acrylamid ist eine chemische Verbindung, die in einer Vielzahl alltäglicher Lebensmittel vorkommt und sich bei der Verarbeitung bei hohen Temperaturen, z.B. beim Braten, Rösten und Backen, bildet. Acrylamid wird in der Leber zu Glycidamid abgebaut. Acrylamid als auch Glycidamid binden direkt an die DNA und können so das Erbgut schädigen, im Tierversuch sogar über mehrere Generationen hinweg. Diese DNA-schädigenden Wirkung kann zu Entstehung von Krebs führen. Entsprechend zeigen Studien, dass Acrylamid in Lebensmitteln das Krebsrisiko für Verbraucher aller Altersgruppen potenziell erhöht. Kinder sind jedoch aufgrund des geringen Körpergewichts am stärksten betroffen. Gegenwärtig gibt es in Europa keine (verbindlichen) Grenzwerte für Acrylamid in Lebensmitteln. Es besteht lediglich eine Verpflichtung für die Hersteller die Acrylamidgehalte unter bestimmten „Richtwerten“ zu halten. Die EU-Kommission schlug vor, gesetzlich bindende Höchstwerte für Acrylamid für nur zwei ganz bestimmte Lebensmittelkategorien festzulegen, nämlich für „Kekse und Zwieback für Säuglinge und Kleinkinder“ (150 µg/kg, was dem derzeitigen Richtwert entspricht) und für „Babynahrung, Getreidebeikost für Säuglinge und Kleinkinder, ausgenommen Kekse und Zwieback“ (50 µg/kg, was sogar 10 µg/kg über dem derzeitigen Richtwert von 40 µg/kg liegt).

Stattdessen fordert das Parlament von der EU-Kommission, Grenzwerte für alle Lebensmittel einzuführen, die von Kindern gegessen werden. Diese Grenzwerte müssen auch deutlich unter den aktuellen Richtwerten liegen. Denn einige Hersteller zeigen bereits heute, dass Lebensmittel mit sehr viel weniger Acrylamid hergestellt werden können. Die Kommission muss ihren Vorschlag nun zurückziehen und einen neuen Gesetzestext vorlegen.

Titandioxid (E 171) ist ein Zusatzstoff, der verwendet wird, um Lebensmitteln eine weiße Farbe zu verleihen. Es findet sich daher hauptsächlich Süßigkeiten und Backwaren. Der Gesetzentwurf der Kommission stellt fest, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass Titandioxid gesundheitlich bedenklich wäre. Wir Grünen waren mit dieser Einschätzung nicht einverstanden und haben daher den Einspruch eingeleitet. Denn erste Studien zeigen, dass neben Inhalation von Titanoxid-Staub, Titandioxid-Nanopartikel, wie sie z.B. in Kosmetik und in Lebensmittelzusätzen vorkommen, über die die Atemwege und die Nahrung aufgenommen werden und dann innere Organe schädigen können. Sowohl Entzündungsreaktionen als auch direkte DNA-Schädigung, die zu Krebs führen könnte, wurden beschrieben. Aufgrund dieser ersten Anzeichen für eine mögliche Gesundheitsgefahr, hat Frankreich bereits als Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher*innen den Verkauf von titandioxidhaltigen Lebensmitteln ab dem 1. Januar 2020 verboten. 85.000 Bürger*innen in ganz Europa unterzeichneten eine Petition zur Unterstützung des französischen Verbots. Titandioxid wird als „Weißer“ nur zu ästhetischen Zwecken verwendet und hat keinen Nährwert und es besteht keine überzeugende technologische Notwendigkeit für seine Verwendung. Wir fordern die Kommission also auf, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und Titandioxid von der Liste der zulässigen Lebensmittelzusatzstoffe zu streichen. Auch diesen Vorschlag muss die Kommission nun zurückziehen, überarbeiten und dem Europaparlament erneut vorlegen.

Mit beiden Entscheidungen konnten wir vorerst verhindern, dass zu lasche Regeln für gefährliche Substanzen und Zusatzstoffe in Europa eingeführt wurden. Wir Grüne werden die neuen Vorschläge der Kommission wieder genau auf ihre Ambition prüfen und nur zustimmen, wenn der Schutz der Gesundheit von Kindern und allen Verbrauchern sichergestellt ist.

Mit europäischen grünen Grüßen

Sven Giegold

Link zum Beschluss des Parlaments zu Acrylamid: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0256_DE.pdf

Link zum Beschluss des Parlaments zu Titandioxid: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0255_DE.pdf

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Rubrik: Europaparlament, Klima & Umwelt

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